Für einen kurzen Moment liess Lewis Hamilton seine Fehde mit den Medien ausser Acht und gewährte einen tiefen Einblick in sein Seelenleben. «Ich weiss nicht genau, was ich in den nächsten Tagen mache», sagte er einem britischen TV-Sender: «Irgendwie abschalten, irgendwo hinfahren, keine Ahnung.»
Irgendwie, irgendwo, irgendwann hat der überragende Formel-1-Fahrer der letzten Jahre in den letzten Tagen seine Form und seine Fassung verloren.
Er wird von einem übermütigen Witzbold zu einem mürrischen Loser.
Nach dem enttäuschenden 3. Platz in Suzuka, der den Rückstand auf WM-Leader und Mercedes-Stallgefährte Nico Rosberg auf wohl vorentscheidende 33 Punkte ansteigen liess, sparte die britische Presse nicht an Kritik – und Häme.
Die Times schreibt unter anderem über «das zierliche Ego und den fragilen mentalen Zustand» des dreimaligen Weltmeisters: «Als er merkt, dass die Weltmeisterschaft durch seine Finger gleitet, wird er von einem übermütigen Witzbold zu einem mürrischen Loser.» Die Snapchat-Affäre, seine Affinität für die sozialen Medien – für den Guardian «ein Beweis für Hamiltons bodenlose Reserve an Kindlichkeit».
Als Lewis in Suzuka die erste Kurve erreichte, war Nico Rosberg schon am Horizont verschwunden.
Klingt die mediale Revanche der grundsätzlich nicht gerade zimperlichen Briten für Hamiltons Presseboykott in Suzuka auch etwas zu drastisch, so bleibt doch eine Tatsache unübersehbar: Der «Alien Driver» ist wieder ein Mensch, angeschlagen und verunsichert. Er kann einfach nicht umgehen mit der aktuellen Situation, in der er die WM von Rennen zu Rennen mehr aus den Augen verliert.
«Als Lewis in Suzuka die erste Kurve erreichte, war Nico Rosberg schon am Horizont verschwunden – vermutlich mit dem WM-Pokal im Gepäck», schrieb der Daily Telegraph. Vier Rennen vor Schluss liegt Hamilton schon 33 Punkte hinter dem Deutschen. Am 23. Oktober findet das nächste Rennen in Austin (Texas) statt.
Sendebezug: SRF zwei, sportlive, 9.10.16, 08:50 Uhr