Ungläubig schlägt er die Hände vors Gesicht. Dann ballt er die Faust, zum Zeichen des Triumphes. Es ist der 6. November 2005, kurz vor Mittag. Tom Lüthi krönt sich in Valencia zum Weltmeister, gerade einmal 19-jährig. Er, der schon damals, abgeklärt wirkt, hat Tränen in den Augen, als ihn die Crew im Zielraum umarmt. «Ein Traum ist in Erfüllung gegangen. Die letzten fünf Runden waren richtig lang. Jetzt ist die Anspannung der ganzen Saison auf einen Schlag weg.»
Die letzten fünf Runden waren richtig lang.
Tom Lüthi wächst in Linden, einem Dorf mit gut 1300 Einwohnern im Emmental auf, gemeinsam mit zwei älteren Schwestern. Als Achtjähriger rast er auf dem Pocketbike über den elterlichen Hof, gewinnt später zweimal die Schweizermeisterschaft. 2001 wechselt er in die 125er-Klasse.
Überraschung nach misslungener Vorsaison
Sein erstes Rennen gewinnt Lüthi im Mai 2005, am GP von Frankreich. Einer von insgesamt vier Siegen, die ihm den Titel bringen. Den ersten Solo-WM-Titel eines Schweizer Fahrers seit 20 Jahren. Etwas überraschend kommt dieser Titel schon, ist die Saison zuvor mit Stürzen und Schlussrang 25 doch eine zum Vergessen.
Zum Glück sind meine Eltern hier. Ohne sie wäre ich nie Weltmeister geworden.
Schon am GP von Istanbul 2005 bietet sich Tom Lüthi dann die Chance, Weltmeister zu werden. Er verpasst sie um läppische 261 Tausendstelsekunden. Doch auch darob gerät der Stilist nicht aus der Kurvenlage. Ein Rennen später in Valencia gelingt ihm der Coup: Der 9. Rang reicht zum Titel, mit fünf Punkten Vorsprung auf Mika Kallio.
1500 Schweizer Fans, die extra anreisen, und seine Familie bejubeln ihn. Und der damalige Sportminister Samuel Schmid gratuliert ihm am Handy, bietet ihm das Du an, von Berner zu Berner. «Ich bin so müde wie nie am Abend eines Renntages. Zum Glück sind meine Eltern hier. Ohne sie wäre ich nie Weltmeister geworden.»
Stets an der Weltspitze, aber ohne weiteren Titel
Nicht erst seit da zählt Lüthi zu den besten Fahrern der Welt. Für einen weiteren Titel hat es bislang allerdings nicht gereicht, auch auf der grösseren 250er-Maschine nicht. Und das obschon er in jeder Saison als Titelkandidat antritt. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Aber: Er hat sich stets unter den ersten sechs behauptet, auch in der aktuellen Saison.
Lüthi sticht gar Federer aus
Und: Dem 29-Jährigen werden sich weitere Möglichkeiten auf einen WM-Titel eröffnen. Das Talent dazu hat er schon lange bewiesen. Gerade mit einem Blick zurück auf die Saison 2005, in der er gar zum Sportler des Jahres gekürt wird. Und das noch vor dem Weltsportler Roger Federer, dem damals mit elf Turniersiegen eine nahezu perfekte Saison gelingt.
Doch der junge, unkomplizierte Bauernjunge begeistert die ganze Schweiz und löst eine neue Motorradeuphorie aus, die bis heute anhält.
Sendebezug: SRF zwei, sportpanorama, 01.11.2015, 18:15 Uhr