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David Hablützel.
Legende: Muss zuschauen David Hablützel. Keystone

Snowboard-Teamarzt Fröhlich «Ist man nicht bei 100 Prozent, ist das Risiko erheblich»

Nach Iouri Podladtchikov hat auch David Hablützel seine Teilnahme am olympischen Halfpipe-Wettkampf verletzungsbedingt absagen müssen. Angesichts der Verletzungsmisere hat Stefan Fröhlich, Teamarzt der Schweizer Snowboarder, turbulente Tage hinter sich.

SRF Sport: Mit Iouri Podladtchikov und David Hablützel mussten zwei von vier ursprünglich selektionierten Halfpipe-Snowboardern Forfait erklären. Wie haben Sie die letzten Wochen und Tage erlebt?

Stefan Fröhlich: Sehr intensiv, wobei man ein bisschen unterscheiden muss. Beim Sturz von Hablützel in Laax war ich anwesend und ab der Erstversorgung in der Halfpipe dabei. Bei Podladtchikov, der sich in Aspen verletzt hat, war ich hingegen nicht dabei. Die Kommunikation mit ihm, den Trainern und den behandelnden Ärzten lief über Telefon und Email. Dadurch, und durch die Zeitverschiebung, war das Ganze ein Stück aufwändiger und nicht ganz leicht, sich ein genaues Bild von der Schwere der Verletzung zu machen.

Dass es in Sachen Olympia-Teilnahme ein Wettlauf gegen die Zeit wird, war Ihnen in beiden Fällen gleich bewusst?

Sobald sich im Vorfeld eines Grossanlasses jemand nur minimal verletzt, steht natürlich sofort die Frage im Raum, ob es reicht oder nicht. Im Fall von Podladtchikov war die Schwere der Verletzung (Schädel-Hirn-Trauma mit Blutungen im Gehirn, Anm. d. Red) nicht sofort klar. Und bei Hablützel bestand das Problem darin, dass sowohl die schwere Prellung am Rücken als auch die Gehirnerschütterung beides Dinge sind, bei denen man am Anfang die genaue Heilungsdauer nicht exakt abschätzen kann. Es ist eine Situation, bei der man von Tag zu Tag neu beurteilen muss, wo der Athlet steht.

Bei David Hablützel war es noch schwieriger, das Risiko abzuschätzen.

Wie schnell spricht man mit dem betroffenen Sportler über das Thema Olympia?

Noch am gleichen Tag. Aber natürlich im Wissen, dass es nicht abschätzbar ist. Eine Gehirnerschütterung beispielsweise heilt individuell unterschiedlich schnell. Im Endeffekt kann man nur abwarten, ob es reicht.

Liegt die Entscheidung, ob es reicht, letztlich beim Athleten selbst?

Wir, das heisst der ganze Staff aus Trainern und Betreuern, können beratend zur Seite stehen und mögliche Risiken aufzeigen. Wir haben nicht gesagt: «Wir nehmen dich raus». Solange der Athlet urteilsfähig ist, darf er selbst entscheiden. Sowohl im Fall von Hablützel als auch in jenem von Podladtchikov war es schliesslich ein Vernunftsentscheid, den wir natürlich unterstützt haben.

Für Podladtchikov hätte ein weiterer Sturz fatale Folgen haben können. Welches Risiko hätte im Fall von Hablützel bestanden?

Anders als bei Podladtchikov war es bei Hablützel noch schwieriger, das Risiko abzuschätzen. Dieses ergab sich nicht nur aus der Schwere der Verletzung, sondern auch aus der Frage, wie gut er seinen Körper bereits wieder unter Kontrolle hat. Das Halfpipe-Snowboarden an Olympischen Spielen ist auf einem derart hohen Niveau angelangt, dass man in Sachen Koordinationsfähigkeit, Schnelligkeit, Kraft und Stabilität im Rumpf bei hundert Prozent sein muss. Ist dies nicht der Fall, geht man ein erhebliches Risiko ein, erneut schwer zu stürzen. Fühlt sich der Athlet in irgendeiner Weise beeinträchtigt, so dass er nicht ans Limit gehen kann, macht ein Start keinen Sinn.

Ein Wettlauf gegen die Zeit ist für den Athleten auch seelisch eine grosse Belastung. Ist man an Ihrer Stelle gleichermassen für das Körperliche und Mentale zuständig?

Was die Psyche angeht, bin ich ebenfalls involviert, aber nicht an vorderster Front. Die engsten Bezugspersonen sind diejenigen, die noch mehr Zeit mit dem Athleten verbringen. In diesem Fall Physiotherapeuten oder Trainer. Aber gerade wenn es um eine Risikoabwägung geht, spielt das mentale natürlich eine Rolle. Man bespricht immer alle Facetten eines Problems.

Hat die Verletzungssituation im Team Auswirkungen auf die anderen, gesunden Athleten?

Ich denke, dass diese das so ausblenden können, dass es sie im Wettkampf nicht beeinträchtigt. Sie sind gut drauf, körperlich wie mental. Jeder, der diesen Sport betreibt, weiss, dass es eine Risikosportart ist. Dass wir jetzt zwei derartige Verletzungen in kurzer Zeit haben, ist ein unglücklicher Zufall. Aber alle im Team haben bereits früher Erfahrungen mit Verletzungen – ob bei sich selbst oder bei Teamkollegen – gemacht, die Situation ist also nicht neu.

Das Gespräch führte Michèle Rubli

Zur Person

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Stefan Fröhlich (36) arbeitet als Oberarzt beim Swiss Olympic Medical Center Move>Med, das zur Universitätsklinik Balgrist gehört. Seit Sommer 2016 ist er Teamarzt bei Swiss Snowboard.

Sendebezug: Laufende Olympia-Berichterstattung

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