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Neue Wege bei Tierversuchen
Aus Wissenschaftsmagazin vom 06.06.2020. Bild: Keystone
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Effizientere Tierversuche «Wir brauchen einen möglichst grossen Erkenntnisgewinn pro Tier»

Tierversuche sollen anders geplant werden als bisher. Internationale Expertinnen und Experten fordern einen grundsätzlichen Wechsel, damit die Versuche verlässlicher werden. Federführend dabei ist Hanno Würbel, Professor für Tierschutz an der Universität Bern. Er plädiert für mehr Variation in den Versuchsbedingungen.

Hanno Würbel

Hanno Würbel

Professor für Tierschutz

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Hanno Würbel ist seit Sommer 2011 Professor für Tierschutz an der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern.

SRF: Was ist das Problem an den Tierversuchen, so wie sie heute gemacht werden?

Hanno Würbel: In den meisten Fällen werden Tierversuche unter hoch standardisierten Bedingungen durchgeführt. Zum Beispiel werden Tiere einer bestimmten Zuchtlinie verwendet – sie sind genetisch identisch, erhalten alle das gleiche Futter und werden unter gleichen Bedingungen gehalten.

Damit kann man zwar alle möglichen Einflussfaktoren kontrollieren. Auf der anderen Seite erhält man aber Ergebnisse, die nur für diese spezifischen Bedingungen gültig sind. Das heisst: Man weiss nicht, ob die Ergebnisse auch unter anderen Bedingungen gültig sind. Das ist ein Problem.

Wenn unterschiedliche Resultate herauskommen, heisst das: Der Tierversuch oder sogar beide Tierversuche waren unnütz?

Das kann durchaus der Fall sein. Wenn man Versuche unter solch hoch standardisierten Bedingungen durchführt, weiss man eben nicht, ob die Ergebnisse generalisierbar sind oder nicht. Lebewesen reagieren auf alle möglichen Umweltbedingungen. Darum kann es sein, dass die Ergebnisse beeinflusst werden durch diese standardisierten Versuchsbedingungen.

Wie könnte man denn Tierversuche verbessern?

Wir schlagen vor, dass man die biologische Variation ins Versuchsdesign miteinbezieht. Tiere sind unterschiedlich, jedes Tier ist ein Individuum – und das muss man berücksichtigen.

Zum Beispiel, indem man verschiedene Zuchtlinien verwendet, indem man nicht nur Tiere eines Alters, sondern verschiedener Altersgruppen verwendet. Und indem man Tiere unter verschiedenen Bedingungen hält – einfach, um im Versuchsdesign eine gewisse Variation von Bedingungen zu haben.

Wenn hingegen die Ergebnisse je nach Zuchtlinie, Altersgruppe oder Umweltbedingungen anders aussehen, dann weiss man, dass man es mit einem sehr empfindlichen Ergebnis zu tun hat, das eben je nach Bedingungen unterschiedlich ausfallen kann. Und damit vermutlich nicht reproduzierbar oder nicht verallgemeinerbar ist.

Dieses Problem haben wir ja auch in der Medizin, wo wir meistens Versuche mit jungen, gesunden Männern machen und die Medikamente nicht auch an Frauen, an Kindern oder an älteren Menschen testen.

Genau. In der klinischen Forschung an Menschen hat man festgestellt, dass es wichtig ist, dass man die gesamte Population abbildet, also eine repräsentative Stichprobe für die Population auswählt, auf die dann die Ergebnisse auch anwendbar sein sollen.

Braucht man mit diesen Massnahmen insgesamt noch mehr Versuchstiere?

Nein. Man kann solche Versuche planen und mit statistischen Methoden auswerten, sodass man bei gleicher Tierzahl mehr Information erhält. Das ist ja letztlich das Ziel, das wir haben müssen bei Tierversuchen: Es geht nicht darum, möglichst wenige Tiere pro Versuch zu verwenden, sondern wenn wir schon Tiere verwenden, dass wir dann einen möglichst grossen Erkenntnisgewinn pro Tier erzielen.

Ihre Kritik an der bisherigen Form der Tierversuche ist sehr deutlich. Sie fordern jetzt ein grundsätzliches Umdenken. Haben Sie denn Anzeichen dafür, dass man das in der Forschungsgemeinschaft auch ernst nimmt und umsetzt?

Ja, das wird ernst genommen. Zum einen, weil tatsächlich Probleme bestehen mit der Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen bei Tierversuchen. Insofern sind Wissenschaftler sensibilisiert für dieses Thema. Und wenn tatsächlich Lösungen angeboten werden können, die einen Fortschritt bringen und gleichzeitig auch umsetzbar sind, dann werden die schon beachtet.

Das Gespräch führte Christian von Burg.

Radio SRF 2 Kultur, Wissenschaftsmagazin, 6.6.2020, 12.35 Uhr;

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