Tonnenweise Glace und unzählige Wassermelonen-Schnitze: Haben Sie auf der Suche nach einem kühlenden Menü mittlerweile verzweifelt das (verschwitzte) Handtuch geworfen?
Laut Sybille Binder, Ernährungsberaterin FH und Therapeutin für Traditionelle chinesische Medizin (TCM) könnten genau diese kalten Lebensmittel an der innerlichen Hitze beteiligt sein. Falls das Tropfen also kein Ende nimmt, lohnt es sich vielleicht, einige Kniffe aus der über 2000 Jahre alten TCM anzuwenden.
SRF: Frau Binder, ich sitze gerade mit einem Iced Coffee am Schreibtisch. Was sagt die TCM zu dieser Erfrischung?
Sybille Binder: Dass es da noch Verbesserungspotenzial gibt (lacht) . Natürlich dürfen Sie weiterhin auch bei diesen Temperaturen eine Tasse Kaffee trinken. Zu viel davon kann unseren Körper allerdings stark erhitzen und nervös machen. Und: Über die Eiswürfel müssen wir gleich noch sprechen …
Warum?
Es mag paradox klingen, aber mit Kaffee bringen Sie noch mehr Hitze in Ihren Körper. Um das zu verstehen, müssen wir aber über die thermische Wirkung von Lebensmitteln reden.
Ich bin gespannt.
Nahrungsmittel haben in der TCM die Fähigkeit, ihre Umgebungstemperatur zu beeinflussen. Heruntergebrochen heisst das: Je wässriger ein Nahrungsmittel ist, desto eher hat es eine kühlende Wirkung auf unseren Körper. Je nährstoffdichter ein Nahrungsmittel ist, desto eher hat es die Tendenz, uns von innen zu wärmen.
Ich empfehle hellen Fisch beziehungsweise helles Fleisch oder Tofu und dazu grilliertes oder gedämpftes Gemüse.
Saisonales Gemüse wie Tomaten, Gurken oder Erdbeeren sind wässrig und mit Vitamin C, Kalium und Magnesium ausgestattet und – richtig zubereitet – eine tolle Abkühlung.
Richtig zubereitet?
Ja, auch die Zubereitung hat einen Einfluss darauf, wie wärmend oder kühlend ein Lebensmittel auf uns wirkt. Etwas Gedämpftes wirkt ausgleichend, wärmend, Rohes wirkt eher kühlend. Rotes Fleisch hingegen gehört zu den wärmenden Nahrungsmitteln. Grilliert heizt es zusätzlich ein.
Das bedeutet, dass sich die Menschen an den Grills gerade keinen Gefallen tun.
Zumindest nicht, wenn sie das mit rotem Fleisch, Ketchup und Rotwein machen. Diese Dinge produzieren sehr viel innerliche Hitze. Unser Körper sollte jetzt aber abkühlen, um seine Temperatur regulieren können. Nach TCM bedeutet das: vernünftig Wärme zufügen.
Was heisst das konkret fürs nächste Grillfest?
Heller Fisch beziehungsweise helles Fleisch oder Tofu und dazu grilliertes oder gedämpftes Gemüse. Dazu eine leichte Joghurtsosse mit Kräutern wie Zitronenmelisse und Dill – fertig ist ein Sommergericht, das ich empfehlen würde.
Was halten Sie von einem kühlen Sommersalat?
Das kommt auf Ihre persönliche Konstitution an. Viele Menschen haben nach TCM zu viel Kälte in sich, was sich dadurch zeigt, dass sie sich oft erschöpft fühlen, leicht frieren und eigentlich auch im Sommer zum Schlafen immer Socken brauchen.
Natürlich kann man mal eine Glace essen. Aber das sollten Sie nicht jeden Tag machen.
Wenn Sie dann noch Lebensmittel mit kalten Eigenschaften wie Rohkost essen, wird die innere Wärme reduziert, was sich durch Verdauungsstörungen bemerkbar machen kann.
Gibt es auch Lebensmittel, die uns gerade allen guttun?
Wasser mit Pfefferminzblättern und Salat aus gedünstetem Gemüse. Grundsätzlich ist Dünsten und Dämpfen für alle gut. Alles Extreme, also Tiefgefrorenes oder Frittiertes, sollten wir sein lassen.
Also keine Glace mehr?
Natürlich kann man mal eine Glace essen. Aber das sollten Sie nicht jeden Tag machen. Alles aus dem Tiefkühler – auch das Eis für Ihren Iced Coffee – hat null Grad. Ihre Körpertemperatur beträgt aber 37.
Ihr Verdauungstrakt und die umliegenden Organe benötigen also viel Energie, um Ihren Körper wieder auf Betriebstemperatur zu bringen. Die klassische Ernährungswissenschaft würde das mit den Eiswürfeln anders sehen.
Bei welchen Kühl-Tipps sind sich TCM und westliche Ernährungsmedizin einig?
Zum Beispiel beim Pfefferminzöl. Die Schulmedizin erklärt seinen kühlenden Effekt mit sekundären Pflanzenstoffen in den ätherischen Ölen. Und dass alkoholische Getränke und zu viel Zucker den Stoffwechsel träge machen und bei dieser Hitze sehr kontraproduktiv wirken, auch.
Das Gespräch führte Gina Buhl.