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Für ein stärkeres Gleichgewicht: Diese Übungen helfen im Alltag
Aus Wissen Webvideos vom 14.12.2021.
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 39 Sekunden.
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Achtung, Sitzfleisch Vier gute Gründe, unser Gleichgewicht zu trainieren

Eine gute Balance verbessert die Lernfähigkeit und hat Auswirkungen auf die Psyche. Zeit, sie zu trainieren!

Stürze: Laut WHO sind sie nach Verkehrsunfällen weltweit die zweithäufigste Ursache für tödliche Unfälle. Dass mit zunehmendem Alter das Risiko steigt, das Gleichgewicht zu verlieren, dürfte vielen bekannt sein – doch das Ganze ist kein Senioren-Problem.

Zu langes Sitzen und zu wenig Bewegung führen nämlich auch bei jungen Menschen dazu, dass die Muskeln, die sie stabil auf den Beinen stehen lassen sollten, schwächer werden. Ihr Gleichgewicht, die Fähigkeit, den Körper in Balance zu halten, wird immer schlechter.

So funktioniert der Gleichgewichtssinn

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Auch wenn es für uns völlig nebensächlich erscheint: Balance zu halten und sich in einer Welt zu orientieren, die aus oben und unten, vorne und hinten, rechts und links besteht, ist für unseren Körper keine einfache Aufgabe.

Um den Balanceakt zu meistern, versorgen ihn verschiedene Sinnessysteme mit Informationen: Zu ihnen gehören das Sehen (optisches System), die Wahrnehmung der Stellung und Bewegung des eigenen Körpers im Raum (propriozeptives System) und das Gleichgewichtsorgan (vestibuläres System).

Das Gleichgewichtszentrum, in dem all diese Informationen gebündelt werden, sitzt im Hirnstamm. Kaum treffen die optischen und propriozeptiven Benachrichtigungen ein, wird hier innerhalb von Millisekunden die aktuelle Position im Raum errechnet und mit Bewegungsabläufen abgeglichen, die wir im Laufe unseres Lebens erlernt haben.

Anschliessend werden Muskeln und Augen mit Befehlen versorgt, die dafür sorgen, dass die Balance aufrechterhalten wird. Allfällige Korrekturbewegungen der Muskeln sorgen dann dafür, dass wir uns gleichmässig und stabil bewegen.

Einer Studie aus England zufolge schnitten Zehnjährige bei Gleichgewichtsübungen im Jahr 2014 um 20 Prozent schlechter ab als Gleichaltrige im Jahr 1994.

Auch die 20-Jährigen von heute stehen wackliger auf den Beinen, als sie sollten: Forschende der Winston-Salem State University fanden heraus, dass Millennials heute deutlich schwächer sind als die Erwachsenen der 1980er-Jahre. Das hat Folgen: Früher konzentrierte sich die Sturzforschung auf Menschen ab 65 Jahren. Heute gehts um die 50-Jährigen.

Dabei gibt es auch fernab der Sturzprophylaxe (ein Wort, das Millennials wohl schon beim Anblick in Schwindel versetzt) genug Gründe, unseren Gleichgewichtssinn zu trainieren.

1. Weil wir uns weniger verletzen

Das Offensichtlichste zuerst: Ein verbesserter Gleichgewichtssinn hat einen positiven Einfluss auf das Ausführen ganz unterschiedlicher Bewegungen. In erster Linie schult es unsere Balance und unsere Tiefenmuskulatur in Rücken und Rumpf. Das kann uns beim Joggen oder der Yoga-Session unter anderem vor Zerrungen bewahren, weil unsere Muskeln effizienter reagieren. 

ein Wanderer läuft auf einer Slackline
Legende: Erst shaky, dann stabil: Die Tiefenmuskulatur wird durchs Balancetraining gestärkt. imago-images

Was abstrakt klingt, lässt sich auf der Slackline wunderbar erleben: Beim ersten Mal auf dem Seil zittern die Beine wie verrückt und der Untergrund schwankt hin und her. Die Muskeln reagieren auf diese ungewohnte Belastung zu stark und verzögert.

Mit etwas Übung arbeiten die Beinmuskeln aber bald ganz ohne Wackelpudding: Angefangen bei den Füssen, federn die kleinen Muskeln um unsere Sehnen herum, den instabilen Bewegungsablauf besser ab.

2. Weil wir explosiver durchs Leben gehen

Auch unsere koordinativen Fähigkeiten (die für Bewegungen mit hoher Präzision, kurze Reaktionszeiten auf Signale und räumliche Orientierungsfähigkeit sorgen) und die Motorik profitieren.

Gerade die Motorik braucht unser Gehirn für Mehrfachbewegungen, wenn wir etwa während des Gehens unsere Nase putzen – etwas, das uns mit zunehmendem Alter schwerer fällt. Studien zeigen, dass sich diese Fähigkeiten mithilfe von Balanceübungen verbessern.

Aber auch Menschen, die auf mehr sportliche Action als Naseputzen stehen, profitieren davon: Durchs Gleichgewichtstraining werden ganz besonders die Sprungkraft und die sogenannte «Explosivkraft» verbessert, die beispielsweise dafür sorgt, dass wir einem Hindernis schnell ausweichen können. Gerade bei Ballsportarten verringert sich so das Verletzungsrisiko.

3. Weil sich unsere Konzentrations- und Lernfähigkeit verbessert

Forschende haben herausgefunden: Kognitive Aufgaben werden schlechter gelöst, wenn man dabei auf das Gleichgewicht achten muss. Löst man kognitiv anspruchsvolle Aufgaben, kann man schlechter balancieren.

Eine Person balanciert auf einem Stein auf dem rechten Bein. Im Hintergrund ist der Sonnenuntergang zu sehen.
Legende: Studien belegen: Körper und Psyche profitieren von einem guten Gleichgewicht. Unsplash / Aziz Acharki

Es besteht also eine direkte Verbindung zwischen unseren kognitiven Fähigkeiten und der Balance, wie auch eine Studie von 2012 aus Deutschland zeigt: Kinder mit einem gut ausgeprägten Gleichgewichtssinn schnitten in der Schule deutlich besser ab als Schülerinnen und Schüler mit schlechter Balance. Aber: Durch gezieltes Balancetraining konnten die Kinder ihre Leistungen in Schreiben, Rechnen und Lesen signifikant steigern.

4. Weil Psyche und Gleichgewicht in Verbindung stehen

Aber nicht körperlich spielt das Gleichgewicht eine wichtige Rolle: Studien belegen, dass psychische Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen und Schizophrenie die Gleichgewichtsfähigkeit beeinträchtigen.

Einen Beleg dafür liefert die Studie, die der Neuropsychologe Ron Feldman von der Tel Aviv University mit depressiven Menschen durchgeführt hat: Er konnte zeigen, dass Menschen mit Depressionen zu einer gebückteren Körperhaltung neigen und sich oft deutlich langsamer bewegen. Wenn sie stolpern, ist das Risiko höher, dass sie die notwendigen Ausgleichsbewegungen zu langsam ausführen.

Was bleibt, ist jedoch die Frage, was zuerst war: Die Gleichgewichtsprobleme oder die psychischen Erkrankungen. Doch dass körperliche Symptome bei der Diagnose und Behandlung von psychischen Erkrankungen nicht direkt eingebunden werden, sei eine vertane Chance, sagt Ron Feldman gegenüber dem Magazin «Spektrum».

Der Zusammenhang zwischen Gleichgewicht und psychischer Gesundheit liesse sich nämlich möglicherweise auf positive Art nutzen: Körperliches Gleichgewichtstraining könnte auch der psychischen Gesundheit zugutekommen, da ist sich der Neuropsychologe sicher.

Einstein, 09.12.2021, 21:00 Uhr

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