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Alltag unter Schmerzen Arthrose mit 31: Als junge Frau gefangen im Körper einer Seniorin

Krankhafter Knorpelschwund in den Gelenken trifft nicht nur alte Menschen. Jüngeren beschert er zusätzliche Probleme, denn die Lebensdauer von bewährten Hilfsmitteln wie künstlichen Gelenken ist begrenzt.

«Der Arzt schaute auf mein Röntgenbild und meinte, ‹das sieht aber gar nicht gut aus..!›.» Dann der Befund: «Sie haben Arthrose.»

Der Moment beim Arzt wühlt die 31-jährige Ilana Bollag bis heute auf: «Die Diagnose war ein Megaschock. Damit hatte ich niemals gerechnet!»

Rückblick: Mit starken Schmerzen in der rechten Hüfte geht Ilana Bollag zum Arzt. Sie ist damals 29 Jahre jung, sportlich, ein Bewegungsmensch. Tanzt, joggt, wandert viel. Als Ursache für ihre Beschwerden vermutet sie irgendetwas Banales – vielleicht eine Muskelzerrung.

Die Abklärungen ergeben dann aber: Sie leidet an einer fortgeschrittenen Hüftarthrose. Kommentar des Mediziners: «Sie sind eine junge Frau, gefangen im Körper einer alten Frau!». Eine bittere Wahrheit: In ihrem Hüftgelenk ist viel Knochen- und Knorpelgewebe zerstört.

Hinken, Schmerzen, Einschränkungen

Der Zürcher Orthopäde Daniel Wüst, der Ilana inzwischen betreut, kann ihre Lage nicht beschönigen: «Der Schaden im rechten Hüftgelenk ist gross und hat schwerwiegende Folgen für den Alltag.»

Ilana Bollag hinkt, geht teils an Krücken. Schuhe binden ist schwierig, auf den Bus rennen unmöglich. Die Folgen, mit denen sie kämpft, sind typisch für schwere Fälle:

  • Eingeschränkte Beweglichkeit
  • Starke Schmerzen
  • Beeinträchtigter Alltag

Ihre Lebensqualität hat stark gelitten – am schlimmsten in der ersten, akuten Phase: «Nur schon der Weg zur Toilette war schwierig. Ich war mega bettlägrig, weil alles derart schmerzte.»

Ihr Pech: eine Durchblutungsstörung

Der Auslöser von Ilanas Hüftproblemen war ihr selbst völlig neu. Schuld am Desaster ist eine Durchblutungsstörung im Gelenkknochen, eine sogenannte Hüftkopf-Nekrose.

Die Störung trifft Frauen selten. Sie lässt Knochengewebe absterben und führt zu Arthrose mit Knorpelabbau.

Sie hat nichts falsch gemacht. Die Krankheit ist einfach entstanden.
Autor: Daniel Wüst Orthopäde

Orthopäde Wüst kann wenigstens ein Stück weit trösten: «Frau Bollag hat nichts falsch gemacht. Es ist einfach eine Krankheit, die entstanden ist.»

Mit anderen Worten: Pech gehabt!

Das Arthroserisiko verringern

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Wundermittel gibt es keine, aber diese Verhaltensweisen sind gesund für die Gelenke:

  • In Bewegung bleiben: Beim Bewegen eines Gelenks wird Knorpel gut mit Gelenkflüssigkeit versorgt und kann sich regenerieren.
  • Ruhigstellung vermeiden: Ungünstig ist lange Ruhigstellung durch Liegen, Sitzen, Stehen.
  • Sportarten kombinieren: Belastend für Gelenke sind Sportarten mit hohem Tempo und raschen Richtungswechseln (Squash, Fussball etc.). Zum Ausgleich, da gelenkschonend: beispielsweise Radfahren, Schwimmern, Wassergymnastik oder Nordic Walking.
  • Übergewicht abbauen: Viele Kilos überlasten nicht nur Hüft- oder Knie-Gelenke. Fettgewebe fördert unter anderem auch schädliche Entzündungsreaktionen.

Arthrose trifft auch Jüngere

Als junge Patientin zählt Ilana Bollag zu einer Minderheit. Auch darum fiel es ihr schwer, sich mit ihrem Schicksal abzufinden.

Die 31-Jährige ist inzwischen aber anderen jungen Menschen mit ähnlichen Problemen begegnet und sagt: «Dass andere Junge betroffen sind, hat mir geholfen, die Krankheit zu akzeptieren.»

Eine wissenschaftliche Umfrage bestätigt: Sie ist nicht allein. Die deutsche Studie mit 22‘000 Mitwirkenden kommt zu folgenden Ergebnissen:

  • In der Altersgruppe zwischen 18 und 44 Jahren leiden etwa 5 Prozent an Arthrose-Beschwerden.
  • In der Gruppe der 45- bis 64-Jährigen sind schon fast 20 Prozent betroffen.
  • Bei den über 65-Jährigen haben an die 40 Prozent spürbare Symptome.

Die Studie stützt sich auf Selbstangaben. Denn Röntgenbilder können Befunde zeigen, die zwar schlimm aussehen, im Alltag aber keine Beschwerden auslösen.

Hoffnung aus der Nase

Arthrose ist bis heute unheilbar. Noch gibt es keine Standard-Behandlung, die den Zerstörungsprozess anhaltend beheben könnte. Doch versteht die Wissenschaft heute mehr von den Mechanismen des Gelenkabbaus als früher. Das fördert die Erforschung neuer, vielversprechender Therapie-Ansätze.

Unser Traum ist, den Einsatz einer Prothese zu verhindern.
Autor: Ivan Martin Bioingenieur Universität Basel

In Basel werden im Rahmen von Studien erste Arthrose-Patienten mit Zuchtknorpel aus der Nase behandelt. Bioingenieur Ivan Martin denkt dabei in die Zukunft: «Unser Traum ist, den Einsatz einer Prothese zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern.»

Erste Resultate sind ermutigend – aber für Betroffene wie Ilana Bollag eben nur Zukunftsmusik.

Hoffnungsträger Nasenknorpel

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Arthrose ist bis heute unheilbar, die Therapiemöglichkeiten sind beschränkt. Basler Forscher verzeichnen erste Erfolge mit körpereigenem Zuchtknorpel aus der Nase. Das Prinzip:

  • Die Forscher entnehmen Knorpel aus der Nasenscheidewand von Patienten und vermehren diesen im Labor.
  • Mit dem so gewonnenen Zuchtknorpel wird die betroffene Stelle im Kniegelenk abgedeckt.
  • Nasenknorpelzellen widerstehen Entzündungsprozessen und behalten nach der Vermehrung im Labor die Eigenschaft, neues Knorpelgewebe zu generieren. Wichtige Eigenschaften für einen Einsatz in einem arthrotischen Gelenk

Bis jetzt wurden vier Patienten mit Knie-Arthrose hinter der Kniescheibe mithilfe von Zuchtknorpel behandelt. 2024 startet eine grössere Studie mit mehr Patienten . Die Hoffnung ist, Arthrose-Betroffenen in Zukunft Gelenkprothesen so lange wie möglich oder ganz zu ersparen.

Kunstgelenk: Bewährt, aber nicht perfekt

In den 1960er Jahren wurden die ersten Kunstgelenke entwickelt – ein enormer Fortschritt. Prothesen ersparen seither unzähligen Arthrose-Betroffenen ein Leben voller Qualen und Hindernisse.

Doch die Erfahrung zeigt: Kunstgelenke halten nicht ewig. Auch moderne Materialien nützen sich ab. Abriebpartikel können im Bereich der Prothese zu Knochenabbau führen. Sitzt ein Kunstgelenk aber nicht mehr fest im Knochen, muss die Prothese ganz oder teilweise ersetzt werden.

Für jüngere Patienten ist Knochenverlust ein besonderes Problem
Autor: Claudio Dora Orthopäde, Zürich

Solche Eingriffe sind keine Seltenheit: Rund 40 Prozent der Hüftprothesen müssen innerhalb von 25 Jahren ausgewechselt werden.

«Für jüngere Patienten ist Knochenverlust ein besonderes Problem», betont Orthopäde Claudio Dora. Wer in jungen Jahren operiert wird, muss aufgrund der hohen Lebenserwartung fast schon fix mit einem erneuten Eingriff rechnen.

Kunstgelenk als letzter Ausweg

Ilana Bollag tut sich schwer mit dem Gedanken an ein künstliches Hüftgelenk. «Jeder Eingriff ist auch ein Risiko, und die Prothese ist ein Fremdkörper.»

Die Aussicht, eine erste Prothese wohl irgendwann durch eine Wechseloperation austauschen zu müssen: wenig erfreulich.

23'366 künstliche Hüftgelenke

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Das künstliche Hüftgelenk ist der häufigste Gelenkersatz. Der neuste Bericht des Schweizer Implantat-Registers SIRIS nennt die Zahlen:

  • 2022 gab es in der Schweiz 23'366 Fälle von Hüft-Totalprothesen.
  • Die meisten Operierten waren 50 bis 89 Jahre alt.
  • In der Altersgruppe unter 45 Jahren gab es 560 Fälle, das sind 2.4 Prozent.
  • Mit 19’195 Fällen stehen Knie-Totalprothesen an zweiter Stelle

 Quelle: SIRIS-Report 2023

Seit ihrer Diagnose versucht Ilana Bollag darum alles, was sie tun kann, um ihr Leiden ohne einen Eingriff zu verbessern. Das Kunstgelenk möchte sich die junge Frau so lange wie möglich ersparen.

Schmerzmittel und Cortison-Spritzen

Daniel Wüst unterstützt seine Patientin in ihrer Haltung. Die Operation müsse der letzte Ausweg sein: «Nicht-operative Massnahmen soll man in jedem Alter ausschöpfen, und bei einer jungen Patientin versucht man es vielleicht noch etwas länger.»

Der Arzt verschrieb ihr Schmerzmittel. Er spritzte Hyaluron-Säure sowie Cortison direkt ins Gelenk, auch um Entzündungen einzudämmen. Zudem verordnete er Physiotherapie.

Physiotherapie für besseren Gang

Im Verlauf ihrer Erkrankung gewöhnte sich Ilana Bollag nämlich Schon- und Fehlhaltungen an. Die will ihr Physiotherapeutin Fabienne Theler wieder abgewöhnen. Denn es drohen Folgeschäden. Die Herausforderung dabei: «Ilanas Hirn hat verlernt, die Muskeln richtig anzusteuern.»

Mit viel Disziplin kämpft Ilana Bollag erfolgreich gegen ihre falschen Bewegungsmuster an. Ihr Gang hat sich verbessert – trotz schwerer Arthrose.

Teure Behandlung mit Eigenblut

Aus eigener Tasche bezahlte die Arthrose-Patientin zwei sogenannte Platelet-Rich-Plasma-Behandlungen.

«PRP» ist eine Therapie mit Eigenblut. Daraus wird Blutplasma mit den Blutplättchen gewonnen und ins kranke Hüftgelenk gespritzt. Dies soll die Regeneration von geschädigtem Gewebe wie Knorpel fördern und auch die Entzündung im Gelenk bekämpfen.

Meistens werden nur frühe Stadien mit solchen Spritzen behandelt. Doch Ilana Bollag spürte eine Verbesserung nach den Spritzen. Nicht sicher ist aber, ob die Eigenblut-Methode langfristig wirkt.

Anästhesist Edzard Ellerkmann räumt ein: «Wir haben keinen Nachweis, dass PRP eine nachhaltige Wirkung über Jahre hat.» Deshalb werden die Kosten von 150 Franken pro Spritze nicht von der Krankenkasse übernommen.

Am Ende doch das Kunstgelenk

Bald zwei Jahre nach der Diagnose hat Ilana Bollag alles versucht, um sich einen Eingriff zu ersparen. Doch ihre Arthrose lässt sich bis heute nicht wegtherapieren.

Das Abwägen der Vor- und Nachteile spreche jetzt für ein Kunstgelenk, findet Orthopäde Daniel Wüst: «Wenn die Lebensqualität stark eingeschränkt bleibt, ist ein Kunstgelenk auch bei Jungen gerechtfertigt.»

Ilana selbst sieht es auch so. Sie hat sich schliesslich für eine Prothese entschieden – im Wissen, dass ihre Arthrose-Geschichte auch bei einem Eingriff fortdauert. «Ich habe alles versucht, aber es reicht nicht», so ihre Bilanz.

Ende Januar ist die junge Arthrose-Patientin womöglich bereits mit einem neuen Gelenk unterwegs. Und mit der Hoffnung, dass die alte Lebensqualität wieder zu ihr zurückfindet.

Puls, 08.01.2024, 21:05 Uhr

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