SRF News: Liberia hat den verheerenden Ebola-Ausbruch, der Westafrika seit Anfang 2014 heimsucht, laut der WHO überwunden: Seit sieben Wochen gab es keine neuen Infektionen mehr. Was hat das Land anders gemacht als seine Nachbarn?
Patrik Wülser: Ich habe Liberia während der Ebola-Krise besucht. Mir ist aufgefallen, mit welcher Disziplin die Regierung nach langem Zögern versucht hat, den Ebola-Virus zu bekämpfen. So hat man vor jedem Haus Becken mit chloriertem Wasser aufgestellt. Die Menschen haben sich sehr diszipliniert bei jedem Ein- oder Hinaustreten die Hände und die Schuhe desinfiziert. Auch haben sie untereinander Distanz gehalten und sich die Hände nicht mehr gegeben. Ich war beeindruckt. Allerdings ist es auch so, dass Liberia – im Unterschied zu Sierra Leone und Guinea – viel stärker im Fokus der internationalen Medien stand und ein Grossteil der Hilfe zunächst nach Liberia floss. Immerhin: Inzwischen ist die Zahl der Neuansteckungen mit Ebola auch in Sierra Leone und Guinea auf den tiefsten Stand seit Ausbruch der Ebola-Krise gefallen.
In Liberia wusste die Bevölkerung bei Ausbruch der Seuche ja überhaupt nicht, wie damit umzugehen ist. Was hat den Ausschlag dafür gegeben, dass sie sich später derart diszipliniert verhalten hat?
Der Virus ist bekanntlich hochansteckend und wird über Körperflüssigkeiten übertragen. Zu Beginn des Seuchenausbruchs kam es zu vielen Ansteckungen bei Bestattungen. Doch sehr rasch riefen sowohl christliche wie muslimische Religionsführer die Menschen dazu auf, von den traditionellen Beerdigungsritualen abzusehen – die Toten also nicht mehr zu berühren und zu küssen – und sie zu kremieren. Christen und Muslime sind diesen Aufrufen gefolgt, auch wenn es für sie schwer war. Wichtig war auch die erwähnte Disziplin im Umgang miteinander, die mitunter ebenfalls schmerzhaft war: So haben die Menschen auch ihre Kinder nicht mehr berührt.
Im liberianischen Alltag ist nun also wieder so etwas wie Normalität eingezogen. Doch wirtschaftlich liegt das Land am Boden. Wie lange wird es dauern, bis die Gesundung in diesem Bereich Fortschritte macht?
Ebola hat in Liberia wirtschaftlich und sozial enorme Spuren hinterlassen. Die Menschen sind traumatisiert: Mehr als ein Jahr lang haben sich die Menschen nicht mehr berührt, Familien haben sich nicht mehr besucht. Wirtschaftlich ging in dieser Zeit überhaupt nichts mehr. Und es war ja nicht so, dass Liberia ein wirtschaftlich blühendes Land war: Bei Ausbruch der Ebola-Krise hatte sich Liberia knapp von einem Bürgerkrieg erholt gehabt. Nun – nach Ebola – beginnt das Land bei null.
In den Nachbarländern Sierra Leone und Guinea kommt es immer noch zu Neuinfektionen mit Ebola. Wie sicher kann sich Liberia vor der Seuche fühlen?
Tatsächlich kann der Virus jederzeit wieder über die Grenze nach Liberia kommen. Doch auch im Land selber lauert die Ebola-Gefahr ständig. Es war ja nicht der erste Ausbruch der Krankheit in Westafrika, die Seuche kommt immer wieder, und zwar aus dem Regenwald. Ursprünglich kommt der Virus ja bei Flughunden vor. Er wird übertragen, wenn deren Fleisch ungenügend gekocht verzehrt wird. Deshalb sind Aufklärung und Prävention enorm wichtig. Ohne Information der Menschen ist die nächste Ebola-Epidemie vorprogrammiert. Hinzu kommt, dass alle drei Länder ein fragiles Gesundheitswesen haben. So sind viele Busch-Spitäler nur durch eine Krankenschwester oder einen Pfleger besetzt, es gibt keine Diagnosemöglichkeiten. Und selbst wenn eine Diagnose gestellt werden kann, gibt es keine Kommunikationsmöglichkeit mit den Gesundheitsbehörden in der Hauptstadt. Auch die Transportmöglichkeiten sind äusserst beschränkt. So braucht man während der Regenzeit für 300 Kilometer auf einer Buschpiste schon mal mehrere Wochen. Das sind sehr schlechte Voraussetzungen für die Menschen, aber sehr gute für eine Krankheit wie Ebola.
Das Gespräch führte Barbara Büttner.