Weltweit werden etwa 1500 Lungentransplantationen pro Jahr durchgeführt, davon 30 in der Schweiz. Aufgrund des Organmangels sterben in der Schweiz jedes Jahr 20 Prozent der Patienten auf der Warteliste für eine Lungentransplantation.
Diese einzigartige Operation passierte in der Nacht vom 15. auf den 16. Dezember 2010: Die Abteilung der Thoraxchirurgie hatte für diesen Abend das alljährliche Weihnachtsessen geplant, als an jenem Mittwoch der Anruf von «Swisstransplant» kam, dass eine Spenderlunge zur Verfügung stehe. «Solche Anrufe passieren immer ungeplant, wir sind uns gewöhnt, umzustellen», erinnert sich Klinikleiter Walter Weder.
Der weitere Ablauf verlief zunächst routinemässig: Auf Platz eins der Empfängerliste stand Ivan Skrbec. Der junge Mann war gerade 19 Jahre alt geworden. Seit Dezember 2008 stand er auf der Swisstransplant-Warteliste. Er leidet an fortgeschrittener Cystischer Fibrose und brauchte dringend eine neue Lunge.
«Puls» hatte über Ivan Skrbecs lange Wartezeit bereits im August 2010 berichtet. Damals betrug seine Lungenfunktion noch knapp 30 Prozent.
Der Zufall wollte es, dass auf der Liste von Swisstransplant noch ein zweiter jugendlicher Empfänger steht: Sarah Kriech, 14 Jahre. Auch ihr Empfängerprofil passt zu den Daten der Spenderlunge.
Walter Weder überlegt, ob die grosse Spenderlunge für zwei reichen würde - hat diesen Eingriff allerdings noch nie gemacht. Er ist aber überzeugt, dass er die Teilung der zwei Lungenflügel und Doppeltransplantation wagen kann, da sein Team die technischen Voraussetzungen mitbringt. Dennoch ist es der erste Eingriff dieser Art für alle Beteiligte. Walter Weder dazu: «Es mag im weitesten Sinn wie ein Experiment tönen, ist es aber nicht, wir wussten ja ganz genau was wir machten. Wenn man im Grenzbereich chirurgisch tätig ist, dann kommt man häufig in eine Situation, die man so noch nie erlebt hat.»
Eine Lunge für zwei Menschen?
Bei Kindern oder kleinen Personen müssen bei einer Lungentransplantation die beiden Lungenflügel verkleinert werden. Die Spenderlunge stammt im Normalfall von Erwachsenen und wäre als Ganzes zu gross. Eine Verkleinerung ist möglich, da beide Lungenflügel in Lungenlappen unterteilt sind. Rechts besteht die Lunge aus drei Lappen, links aus zwei Lappen.
Die zuführenden und abführenden Blutgefässe und Luftwege der Lunge sind wie Äste eines Baumes in einzelne Untersegmente aufgeteilt. So können die Lungenlappen als in sich selbst funktionierende Einheiten eingesetzt werden. Allerdings setzt eine Teilung der Lappen genaue Kenntnisse voraus, wie die Gefässe und Luftwege verlaufen. Natürlich ist die Qualität des Spenderorgans erste Voraussetzung, dass Einzellungenlappen transplantiert werden können.
Doppel-Transplantation der beiden Lungenflügel
Als erstes werden die Familien der beiden Empfänger Sarah Kriech und Ivan Skrbec benachrichtigt und so schnell wie möglich nach Zürich gebracht. Um etwa 20 Uhr werden die beiden in nebeneinanderliegenden Operationssälen in Narkose versetzt, aber noch nicht operiert. Unterdessen reist der Chirurg Sven Hillinger zum Spital des Spenders, um die Spenderlunge nach Zürich zu bringen.
Der Zeitdruck steigt, denn die Lunge muss, ohne Schaden zu nehmen, innert 6-8 Stunden transplantiert werden.
Vor Ort kann sich der Operateur bereits ein Bild vom Zustand der Lunge machen und Zürich grünes Licht geben. Dann erst beginnen die beiden Operationsteams, beide kranken Lungenflügel der Empfänger gleichzeitig zu entnehmen.
Das alles passiert mit Unterstützung der Herz-Lungenmaschine. Sobald das gekühlte Spenderorgan im Operationssaal eingetroffen ist, beginnt das dritte Team, die Lungen aufzuteilen. Die beiden oberen Lappen des linken und rechten Lungenflügels erhält Sarah, die unteren Ivan.
Die grösste Herausforderung ist es nun, dass jeder Schritt fehlerfrei ist. Die Durchtrennung der Arterien, Venen und Bronchien, die Abstände der Gefässe, dann das Zusammennähen, sodass die Arterien wieder richtig durchblutet sind. Nach gut 8 Stunden ist die Doppeloperation beendet. «Von dem Moment an, als die Lunge selbstständig zu arbeiten begann, keine (Durch-)Blutungsprobleme mehr zu entdecken waren und weitere Faktoren stimmten, wussten wir, dass wir es geschafft hatten. Das war ein toller Moment», erinnert sich Walter Weder.
Die Zeit danach
Nach der Operation hat für beide Jugendliche ein neuer Lebensabschnitt begonnen. Nach fünf Wochen konnte Ivan das Spital verlassen. «Das war ein wunderbarer Moment, als ich den Sauerstoff wegnehmen konnte und die Sauerstoffsättigung bei 98 Prozent Sättigung oben blieb - ohne Hilfe!», erzählt Ivan heute.
Anders bei Sara: Sie musste aufgrund ihres schwachen Immunsystems zwei Wochen länger im Spital bleiben. Beide können heute ohne Schlauch und Sauerstoffzufuhr leben, müssen aber jeden Tag eine grosse Menge Medikamente schlucken. Wichtig sind die sogenannten Immunsuppressiva. Das sind Medikamente, welche die Funktion des Immunsystems vermindern. Damit soll unter allen Umständen verhindert werden, dass der Körper das Fremdorgan abstösst. Doch auch Ernährung und Hygiene spielen bei der Nachbetreuung eine Rolle: Da Ivans Eltern in einem Haus mit Naturkeller wohnen, musste er sich eine neue Bleibe suchen. Denn Naturkeller sind ein Tummelplatz für Bakterien und damit ein Risiko für transplantierte Menschen.
Sarahs Immunsytem ist noch geschwächter, sie darf beispielsweise keine Kefirjogurts essen. Ihre Katze durfte sie behalten, sie darf aber nicht in Sarahs Zimmer. Neben den Medikamenten ist auch der Muskelaufbau wichtig, denn die langanhaltende Immobilität hat die Muskeln sehr geschwächt.
Eine regelmässige Kontrolle am Universitätsspital überwacht die Lungenfunktion und die übrigen Organe der beiden Patienten regelmässig. Die Überlebenschancen liegen 8 Jahre nach der Lungentransplantation bei 60 Prozent.