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Erfreuliche Entwicklung Weniger Tote wegen Herzinfarkt & Co.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind nach wie vor Todesursache Nummer eins. Doch die Sterberate sinkt seit Jahren, was belegt: Unser Leben ist gesünder geworden.

Über 30 Prozent bei den Frauen, und gar über 40 Prozent bei den Männern: Um so viel ist die sogenannte Sterberate bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen von 2010 bis 2019 zurückgegangen. Eine erstaunliche Entwicklung, die sich aber in ein grösseres Bild einfügt: «Die Sterblichkeit aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sinkt seit 40 Jahren, das ist ein sehr konsistenter Trend», sagt Milo Puhan, Direktor des Instituts für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention an der Universität Zürich.

Wir leben gesünder

Noch in den 1970er-Jahren waren Erkrankungen des Herzens und der Blutgefässe die gefürchteten Schreckgespenster: Es gab Jahre, in denen über 40 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer einer solchen Erkrankung erlagen – Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzschwäche.

Die Luftqualität hat sich stark verbessert, die Menschen bewegen sich mehr und ernähren sich gesünder.
Autor: Milo Puhan Epidemiologen

Im Jahr 2020 lag der Anteil der Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei den Todesursachen noch bei knapp 27 Prozent. Woran liegt der starke Rückgang? Es sei ein Zusammenspiel vieler Faktoren, sagt Milo Puhan. Der wichtigste: Das Leben ist gesünder geworden. «Die Luftqualität hat sich stark verbessert, die Menschen bewegen sich mehr und ernähren sich gesünder.»

Auch hat das Passivrauchen massiv abgenommen. Cholesterinwerte oder Bluthochdruck haben viele Menschen hierzulande ebenfalls besser im Griff, dank hausärztlicher Kontrollen und besserer Medikamente.

Markante Fortschritte in der Herzmedizin

Zudem hat die Herzmedizin als ganzes in den letzten Jahren markante Fortschritte erzielt. Gemäss dem Epidemiologen Milo Puhan hat sie zu rund einem Drittel dazu beigetragen, die Herz-Kreislauf-Sterblichkeit zu senken.

In den letzten zehn Jahren wurden für die Behandlung der Herzschwäche zwei neue Substanzklassen eingeführt, die beide erstaunlich wirksam sind.
Autor: Lorenz Räber Professor für Kardiologie, Inselspital Bern

Lorenz Räber ist Professor für Kardiologie am Inselspital Bern. Er sagt, die Fortschritte der Herzmedizin beruhten auf mehreren Pfeilern, etwa den Medikamenten. «In den letzten zehn Jahren wurden für die Behandlung der Herzschwäche zwei neue Substanzklassen eingeführt, die beide erstaunlich wirksam sind.» Dank ihnen lasse sich nun die Herzfunktion auch jener Patienten verbessern, die früher kaum behandelbar waren.

Technische Errungenschaften

Dazu kommen technische Entwicklungen wie Herzschrittmacher oder der interne Defibrillator und auch manche Operationsmethoden wurden verbessert.

«Eine defekte Aortenklappe muss heute nicht mehr am offenen Herzen mit Herz-Lungen-Maschine operiert werden, heute erfolgt der Eingriff schonend, minimalinvasiv über einen Katheter», sagt Lorenz Räber. Studien hätten gezeigt, dass deshalb besonders Risikopatienten weniger häufig versterben nach diesem Eingriff.

Grösste Fortschritte bei Herzinfarkt

Die grössten Fortschritte gab es bei der Behandlung des Herzinfarktes: Die Versorgung mit sogenannten Stents, welche die verengten Blutgefässe offenhalten, bessere Techniken beim Operieren, das enge Schweizer Versorgungsnetz mit Herzkatheterlaboren, all das habe dazu geführt, «dass es heute nicht mehr heisst, dass man verstirbt, wenn man mit 60 einen Herzinfarkt erleidet», so Kardiologe Räber.

Allerdings: Auch die beste Herzmedizin kann nicht verhindern, dass Menschen sterben. So bleiben die Herz-Kreislauf-Erkrankungen trotz aller Fortschritte die Todesursache Nummer eins.

Herzinfarkt: grösseres Risiko bei Frauen

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Verglichen mit Männern sterben Frauen häufiger an einem Herzinfarkt. Gründe sind Unterschiede im Alter und in Begleiterkrankungen, die auch die Risikoabschätzung bei Frauen erschweren. Mithilfe künstlicher Intelligenz haben Forschende der Universität Zürich nun eine neue Risikobewertung entwickelt, welche die personalisierte Versorgung von Frauen mit Herzinfarkt verbessern soll.

In ihrer Studie, die im Fachmagazin «The Lancet» publiziert wurde, haben die Forschenden aus der Schweiz und dem Vereinigten Königreich die Daten von 420'781 Patientinnen und Patienten aus ganz Europa mit der häufigsten Art von Herzinfarkt analysiert. «Die Studie zeigt unter anderem, dass etablierte Risikomodelle, die das derzeitige Patientenmanagement steuern, bei Frauen weniger genau sind», sagt Florian Wenzl vom Zentrum für Molekulare Medizin der Universität Zürich. Deswegen würden weibliche Patienten tendenziell unterbehandelt.

Mit Hilfe von maschinellem Lernen und den Datensätzen aus Europa, haben die Forschenden nun einen neuartigen Risikoscore entwickelt. Dieser sei imstande, die «geschlechtsspezifischen Unterschiede im Risikoprofil zu berücksichtigen und die Vorhersage der Sterblichkeit bei Frauen und Männern zu verbessern», so Markus Wenzl.


Rendez-vous, 07.09.2022, 12:30 Uhr

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