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Das verkannte Potenzial der Wildpflanzen
Aus Puls vom 13.06.2022.
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Ernährungstrend Nützliches Unkraut: Weshalb Wildkräuter so gesund sind

Viele Kräuter und Heilpflanzen in der freien Natur sind für uns nur «Unkraut». Dabei enthalten Löwenzahn, Giersch, Brennnesseln und Co. oft mehr Nährstoffe und Vitamine als Gemüse aus dem Supermarkt.

Wildpflanzen-Spaziergänge, Kochkurse und Workshops zur Erkennung: Die Angebote für den Umgang mit Wildpflanzen schiessen wie Unkraut aus dem Boden. Für unsere Vorfahren gehörten Wildpflanzen zum Alltag. In der Hausapotheke genauso wie auf dem Teller. Nachdem wir über die Jahre das Wissen um das angebliche Unkraut verloren hatten, entwickeln immer mehr Menschen das Bedürfnis, dieses Wissen zurückzuholen. Es gibt einen Run auf die entsprechenden Kurse, meist sind sie ausgebucht. 

Back to the Roots

Die Ethnobotanikerin Maya Dal Cero beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Beziehungen zwischen Pflanzen und Menschen. Für sie macht es gesundheitlich durchaus Sinn, dass wir Wildpflanzen zurück auf den Speiseplan holen.  

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«Das Sammeln von Wildpflanzen war lange ein wichtiger Beitrag, um den Speisezettel zu erweitern»
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Wildpflanzen enthalten oft ein Vielfaches an Mineralien und Vitaminen im Vergleich zu Gemüse aus dem Supermarkt. Die Brennnessel etwa bringt es auf sieben Mal mehr Vitamin C als Orangen.  Aber auch bei Magnesium, Calcium, Kalium und Eiweiss gehört die Brennnessel zu den inhaltsreichsten Pflanzen überhaupt. Unter anderem gilt die Brennnessel in der Naturheilkunde als stoffwechselanregend, blutreinigend und harntreibend. 

Der Giersch wurde von den Römern gegen Gicht gegessen, ausserdem enthält er gleich viel Eiweiss wie grüne Erbsen und deutlich mehr als der trendige Federkohl. Sogar das Gänseblümchen lässt den Federkohl an Nährstoffen deutlich hinter sich.  

Das Revival der Bitterstoffe 

Viele Wildpflanzen und Gemüsesorten enthalten zudem ein hohes Mass an Bitterstoffen. Als Bitterstoffe werden alle chemischen Verbindungen bezeichnet, die einen bitteren Geschmack aufweisen. Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurden dieser aber weggezüchtet, so dass wir heute nicht mehr an die bitteren Stoffe gewohnt sind.  

Seit einiger Zeit ist ein Revival der Bitterstoffe zu beobachten. «Die angebotene Vielfalt an bitteren Gemüsesorten hat über die vergangenen Jahre zugenommen. So sind beispielsweise Chicchoré, Spinat und Kohlgemüse bei den Kundinnen und Kunden beliebter», bestätigt Rebecca Veiga vom Detailhändler Coop. «Auch bei Getränken mit Bitterstoffen erkennen wir einen klaren Trend.» 

Bitterstoffe in der Medizin 

In der Medizin spielten Bitterstoffe schon immer eine wichtige Rolle. So empfahl Pflanzenkundlerin und Klosterfrau Hildegard von Bingen, die um 1000 nach Christus lebte, vor allem bittere Kräuter. Im Vordergrund stand dabei die Wirkung im Magendarmtrakt als Hilfe zur besseren Verdauung. 

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Bitterstoff als Medikament
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Auch die moderne Wissenschaft beschäftigt sich mit diesen Stoffen. Grund für das Revival der früher alltäglich benutzten Bitterstoffe: Vor zehn Jahren wurden Bitterstoffrezeptoren nicht nur auf der Zunge und im Magendarmtrakt, sondern ausserdem auch im Hirn, in der Lunge, im Herz und in den Harnwegen entdeckt. Sogar in der Haut gibt es Rezeptoren, welche Bitterstoffe aufnehmen können. Unterdessen ist man 25 unterschiedlichen Bitterstoffrezeptoren auf die Spur gekommen. 

Seither versucht die Forschung, eine mögliche Wirkung von Bitterstoffen in diesen Organen zu finden. Unter anderem wird die Wirkung von Bitterstoffen bei Asthma, Herz-Kreislauf- oder Magendarm-Erkrankungen erforscht. Bisher gibt es interessante Hinweise auf positive Effekte. Anwendungen im klinischen Alltag sind aber noch in weiter Ferne. 

Forschung steckt noch in den Kinderschuhen 

Reinhard Saller, emeritierter Professor für Naturheilkunde an der Universität Zürich, verweist auf Studien, die zeigen, dass auch bei Hauterkrankungen unterschiedliche Bitterstoffe eingesetzt werden, «quasi im Rückgriff auf sehr alte Traditionen». Vor allem bei Psoriasis erhofft man sich Erfolge. 

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«Unser Verdauungssystem hat einen grossen Einfluss auf unseren gesamten Organismus»
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Für ihn ist aber eine andere mögliche Wirkung von Bitterstoffen besonders interessant: Diejenige bei Depressionen. Und das hat mit der Verdauung zu tun. Bitterstoffe helfen gegen Erkrankungen und Störungen im Magendarmtrakt. «Da unser Verdauungssystem grossen Einfluss auf unseren gesamten Organismus hat, also auch auf unser Denken und Fühlen, können Bitterstoffe gegen Verstimmungen eingesetzt werden», so Saller. 

Die Erforschung der Bitterstoff-Wirkungen ist allerdings eine grosse Herausforderung. Bitterstoffe sind nicht einfach generell gesund. Es gilt herauszufinden, welcher der vielen unterschiedlichen Bitterstoffe bei welchem Bitterstoffrezeptor in welchem Organ wie wirkt. Eine komplizierte Angelegenheit, die noch nicht viele konkrete Erkenntnisse hervorgebracht hat. 

Detox durch Bitterstoffe? 

Im Internet haben Bitterstoffpulver, Kapseln und Tee schon lange Einzug gehalten. Sie sollen angeblich Heisshunger stoppen und beim Abnehmen helfen.  

Auch werden Wildpflanzen wie Brennnesseln und Löwenzahn im Frühjahr von den Anbietern zur «Entschlackung» und «Entgiftung» empfohlen. In der Wissenschaft werden diese Begriffe aber nicht verwendet. Jedoch stimulieren Bitterstoffe in der Leber gewisse Enzyme, die extrem fettlösliche Stoffe in eine etwas wasserlöslichere Form umwandeln. So können diese Stoffe besser ausgeschieden werden. Darin sieht Reinhard Saller durchaus eine gewisse Wirkung auf die Gesundheit. 

Wildpflanzen lecker zubereiten 

Egal, ob leere Versprechen oder tatsächlich wissenschaftlich belegte Vorteile, klar ist: Wildpflanzen sind im Trend. Die Kräuter vor der Haustür landen sowohl in der Gastronomie auch als Zuhause öfters auf dem Teller. Die Kräuterkundlerin Katharina Reichmuth bietet Wildpflanzenspaziergänge und auch Kochkurse an. Sie kennt alle Tricks im Umgang mit den Wildkräutern in der Küche. 

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«Beim Kochen mit Wildpflanzen sanft mit der Wärme umgehen»
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Waschen findet sie nur dann nötig, wenn sie ein seltenes oder besonders leckeres Kraut entdeckt hat und sich nicht sicher ist, wie sauber der Pflückort ist.

Ein weiterer Tipp der Expterin ist, den Mixer zu meiden, beispielsweise bei der Zubereitung eines Wildpflanzen-Pestos. Sie empfiehlt stattdessen das Hacken mit dem Messer, weil die Kräuter im Mixer zu stark saften. Zudem gehe sie anders mit der Kochtemperatur um: Wenn Reichmuth ein Blättchen im Öl anbrät, dann tut sie das mit weniger als der mittleren Hitze. Was dann eben deutlich länger als normalerweise dauert – sechs Minuten statt deren zwei.

SRF 1, Puls, 13.06.2022, 21:05 Uhr

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