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Ewige Chemikalien PFAS-Abbau: sauberes Wasser durch Bakterien?

Gesundheitsschädliche PFAS belasten vielerorts das Schweizer Grund- und Abwasser. Ein Zürcher Start-up züchtet spezielle Bakterien, um die als unzerstörbar geltenden Chemikalien zu entfernen.

1.7 Millionen Schweizer Franken kostet eine neue Entgiftungsanlage in Chiasso. Damit wird das Trinkwasser des Grundwasserbrunnens Prà Tiro gereinigt. Nachdem darin gesundheitsschädliche PFAS gefunden wurden. Wahrscheinlich gelangten die Chemikalien durch Abwasser dorthin.

Die Anlage ist eine Notlösung: Die PFAS sind bereits ins Trinkwasser gelangt. Um solche Probleme zukünftig zu vermeiden, will ein Zürcher Start-up PFAS-Abwasser direkt reinigen und zwar mithilfe von Bakterien.

Fabienne Kurt hält eine Kultur von PFAS-Bakterien.
Legende: Fabienne Kurt zeigt eine Kultur von PFAS-Bakterien. SRF

Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) sind eine Gruppe menschengemachter Stoffe, die nicht in der Natur abgebaut werden. PFAS werden oft in der Industrie genutzt. Mit dem Abwasser gelangen sie vom Fabrikgelände ins Grundwasser. Dies geschah vermutlich auch in Chiasso, denn die Verunreinigung liegt nahe an einem alten Industriegebiet.

Warum nennt man PFAS auch ewige Chemikalien?

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Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS), sind eine Gruppe von rund 10’000 Chemikalien. Sie werden bei der Herstellung vieler Produkte oder sogar in den Produkten selbst verwendet, beispielsweise in Regenbekleidung, Gesichtscremen oder Klebstoffen. Man benutzte PFAS so häufig, weil sie wasserabweisend, fettabweisend und nahezu unzerstörbar sind.

Diese Eigenschaften sind auf ihre chemische Struktur zurückzuführen: PFAS bestehen aus einer Kohlenstoffkette. Drumherum liegen schützend mehrere Fluor-Atome. Die Bindung zwischen Fluor und Kohlenstoff gilt als eine der stärksten Bindungen in der organischen Chemie. Um PFAS abzubauen, müssen jedoch genau diese Fluor-Atome abgespalten werden. Extreme Hitze, starkes UV-Licht oder giftige Chemikalien werden dafür genutzt.

Neben ihrer Stabilität sind viele PFAS jedoch auch gesundheitsschädlich. Deswegen versuchen Politik und Industrie die Verwendung von PFAS zu reduzieren. Trotzdem gibt es heute noch viele Produkte, bei deren Herstellung PFAS eingesetzt werden. Das Ziel der EU ist es, in den nächsten 12 Jahren komplett auf PFAS zu verzichten.

Die Entgiftungsanlage wurde 2024 gebaut, um die Bevölkerung vor PFAS zu schützen. In der Anlage werden die PFAS mit einem Aktivkohlefilter aus dem Wasser entfernt. Dann wird die belastete Kohle zu spezialisierten Anlagen gebracht und mit UV-Licht oder extremer Hitze entgiftet. Das ist logistisch aufwändig und teuer.

PFAS-Sanierung: Setzt man am richtigen Ort an?

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Anders als Grund- und Abwasser ist das Trinkwasser vielerorts nur gering mit PFAS belastet. Die meisten Werte liegen im unbedenklichen Bereich.

So auch im Zürcher Trinkwasser, sagt Andreas Peter, Leiter der Qualitätsüberwachung der Wasserversorgung Zürich. Die Kosten würden den Nutzen weit übersteigen. «Das Trinkwasser liegt ausserdem am Ende des Problems nicht am Anfang.», erklärt Peter. «Eigentlich müssen wir doch schauen, dass erst gar keine PFAS ins Wasser gelangen.»

PFAS-Sanierung mit Bakterien

Es brauche eine günstige und nachhaltige Alternative, das glaubt Estelle Clerc. Die Mikrobiologin gründete das Start-up CellX Biosolutions, um zu verhindern, dass PFAS in Grund- und Trinkwasser gelangen. PFAS-abbauende Bakterien sollen Abwasser schon auf dem Firmengelände reinigen. «Bakterien haben verschiedenste Fähigkeiten. Wenn wir sie für die PFAS-Sanierung nutzen können, wird das ein Game-Changer sein.», sagt Clerc.

Estelle Clerc schaut in ein Mikroskop und studiert PFAS-Bakterien.
Legende: Estelle Clerc studiert PFAS-Bakterien am Mikroskop. SRF

Weltweit suchten Clerc und ihr Team nach solchen Bakterien. Fündig wurden sie in der Schweiz: Im Grundwasser eines belasteten Industriestandortes. Wo genau ist Betriebsgeheimnis. Jetzt studiert das Forschungsteam die Bakterien: Fakt ist, dass die Bakterien die PFAS-Menge im Wasser verringern. Aber ob sie die PFAS fressen oder zum eigenen Schutz zerstören, ist noch nicht bekannt.

Die PFAS-Bakterien werden auf einen Chip geträufelt.
Legende: Mit einem Chip fangen die Forschenden natürlich-vorkommende PFAS-Bakterien ein. Die Bakterien werden dann im Labor untersucht und weiter gezüchtet. SRF

Zudem testen die Forschenden unterschiedliche Nährlösungen, Temperaturen und Säureverhältnisse. Sie wollen verstehen, wie die Bakterien noch effektiver PFAS eliminieren können.

Ein Bestellkatalog für PFAS-abbauende Bakterien

Diese Bakterien sind erst der Anfang von Clercs Vision. «Wir erstellen gerade einen ganzen Bakterien-Katalog.» erklärt Clerc. Das ist nötig, denn die Schweizer Bakterien können nur eine der mehr als 10’000 PFAS-Chemikalien abbauen.

Die PFAS-Bakterien werden in Teströhrchen abgefüllt.
Legende: In jedem Teströhrchen befindet sich eine unterschiedliche Nährlösung. So finden die Forschenden die optimalen Bedingungen für die PFAS-Bakterien. SRF

Clerc und ihr Team planen mehrere belastete Standorte in Europa nach Bakterien abzusuchen, um ihren Katalog zu erweitern: «Je nachdem, welcher PFAS-Mix im Abwasser abgebaut werden muss, können wir dann die passenden Bakterien bereitstellen.» So könnte das Start-up individuelle Bakterien-Mischungen für ihre Kunden zusammenstellen.

PFAS-Kläranlagen für Firmen

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Es gibt immer mehr Methoden, um PFAS aus Abwasser zu entfernen. Diese Technologien werden jedoch nicht für öffentliche Kläranlagen entwickelt, sondern für die Privatwirtschaft. Zukünftig könnten Firmen, deren Abwasser mit PFAS belastet ist, dieses auf dem Firmengelände aufbereiten. So soll verhindert werden, dass PFAS ins öffentliche Grund- und Trinkwasser gelangen.

Die Mikrobiologin Serina Robinson vom Eidgenössischen Wasserforschungsinstitut glaubt, dass solche privaten Kläranlagen viele Reinigungsmethoden gleichzeitig nutzen werden: «Wir brauchen jede verfügbare Methode, um PFAS aus unserem Wasser zu entfernen: Von konventionellen chemischen und physikalischen Ansätzen bis hin zu biologischen Ansätzen, wie Bakterien. In der Kombination werden die Methoden viel effektiver sein als einzeln.»

Der Weg zur Marktreife für den bakteriellen PFAS-Abbau ist noch lang. Doch es gibt ein Vorbild: Vor rund zehn Jahren wurden die ersten Plastik-abbauenden Bakterien entdeckt. Heute nutzen Konzerne wie Nestlé oder L’Oréal von Bakterien recyceltes Plastik in ihren Verpackungen. Vielleicht werden die Clercs Bakterien bald ähnlich populär sein.

SRF 1, 10 vor 10, 30.5.2025, 21:50 Uhr

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