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Faszientraining Braucht Bindegewebe spezielles Training?

Der weiche Teil des Bindegewebes ist lange nur als Halteapparat des inneren Körpers angesehen worden. Neuere Studien lassen vermuten, dass die Faszien aber sogar der Grund für undefinierbare Schmerzen sein könnten. Gezieltes Faszien-Training boomt deshalb. Experten zweifeln am Nutzen.

Trainieren wir unseren Körper, stehen vor allem zwei Dinge im Fokus: Kraft und Kondition. Die Muskeln trainieren wir dabei vor allem an speziellen Kraftgeräten, machen Liegestütze oder Rumpfbeugen. Die Kondition wiederum verbessern wir mit Joggen, Schwimmen oder Biken – Sportarten, die vor allem das Herz-Kreislauf-System fördern.

Wer regelmässig ein Fitnesstraining besucht, wird zwangsläufig bemerkt haben, dass nun eine weitere Struktur im menschlichen Körper in den Fokus der Fitness-Angebote gerückt ist: die Faszien.

Vielseitiger Füllstoff

Hinter dem modern klingenden Wort verbingt sich schlicht unser Bindegewebe. Ohne dieses würden wir in uns zusammenfallen, denn es umhüllt unsere Organe und verbindet Knochen und Muskeln. Wie ein Netz durchzieht es unseren Körper von Kopf bis Fuss: So besteht zum Beispiel die Hirnhaut aus Bindegewebe, und in der Fusssohle sitzt die dicke Plantar-Faszie, die bei Belastung des Fusses wie ein Stossdämpfer wirkt.

Das Bindegewebe speichert aber auch Wasser und ist beteiligt an Abwehrprozessen unseres Immunsystems. Als Gewebe mit vielen Nervenrezeptoren kann es auch Schmerz vermitteln.

Die elastischen Fasern des Bindegewebes lassen sich um ein Vielfaches ihrer Ausgangslänge in jede Richtung dehnen und kehren anschliessend wieder zu ihrer ursprünglichen Länge zurück. Nur dank solch extrem elastischen Bändern und Sehnen aus Bindegewebe kann das rote Riesenkänguru 13 Meter weit springen. Die Dehnbarkeit der elastischen Fasern ist allerdings endlich, da sie räumlich durch kollagene Fasern begrenzt sind. Kollagenfasern sind relativ starr und viel weniger dehnbar, dafür aber reissfest.

Faszien gezielt trainieren?

In den verschiedenen Internet-Angeboten finden sich die immer gleichen Schlagworte und Fitness-Versprechungen: «Beweglichkeit verbessern durch Faszientraining», «Übungen für die Bindegewebshüllen der Muskeln können Sie elastischer und schmerzfrei machen» oder «Verklebte Faszien lösen ist gar nicht so schwer.»

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Und so findet der interessierte Bewegungsmensch für fast jede Vorliebe das entsprechende Angebot: Faszien-Yoga, Faszien-Pilates, Faszien-Tanz oder ein Faszien-Kompletttraining.

Was lange Zeit keine Beachtung fand, wird nun plötzlich überbewertet. Da sind sich jedenfalls Sportmediziner und Anatomen einig. Im Rahmen entzündlicher Prozesse bei Rheuma zum Beispiel – man spricht dann von einer Kollagenose –, bei Verletzungen mit Narbenbildung oder bei einer kompletten Immobilisation kann Bindegewebe tatsächlich verhärten und steif werden. Wer sich aber bewegt – und dabei sind keine sportlichen Höchstleistungen gemeint, sondern bereits schon die Bewegung auf dem Weg zum Arbeitsplatz –, bewegt zusammen mit den Muskeln auch immer das Bindegewebe. Ein Verkleben der Faszien halten die meisten Experten deshalb für unwahrscheinlich.

Sportmediziner zweifeln zudem, ob sich Bindegewebe überhaupt gesondert trainieren oder therapieren lässt – Knochen, Knorpel, Sehnen, Muskeln und Faszien sind derart miteinander verbunden, dass wohl nur die gesamte Einheit des Bewegungsapparat betrachtet werden kann. Und so gesehen trainieren wir mit den Muskeln und dem Herz-Kreislauf-System immer auch das Bindegewebe mit.

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