Erst die gute Nachricht. Egal, wen man auf Produzentenseite anspricht, alle winken ab: «Genveränderte Organismen verwenden wir nicht. Zu schlecht ist die Akzeptanz in der Bevölkerung.»
Doch ganz so einfach ist es nicht. Genveränderte Organismen sind in der Lebensmittelindustrie durchaus zu finden.
Fisch im Speiseeis
Gentechnik wird in der Herstellung gebraucht. Etwa bei der Glacé-Produktion. Da hilft ein Protein dabei, die Struktur von Speiseeis zu verfeinern. Das Protein selbst kommt auch in der Natur vor.
Unter anderem in Fischen aus kalten Gewässern. Es sei aber weder nachhaltig noch wirtschaftlich diese Proteine direkt aus dem Fisch zu gewinnen, schreibt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit in einer Beurteilung.
Deshalb wird es mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen künstlich hergestellt. Das Protein selbst enthält am Ende aber keine GVO mehr, man kann es nicht vom Original unterscheiden.
Auch Vitamin B12 und B2, also Riboflavin, werden mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen produziert. Weil das Endprodukt chemisch hochrein ist, sich also auch hier im Endprodukt keine DNA mehr befindet, muss keine GVO-Deklaration erfolgen.
Durch Kontaminierung im Essen
Eine weitere Möglichkeit ist das Verfüttern von GVO, zum Beispiel von Gen-Mais oder Gen-Soja. Die hiesigen Bauern könnten ihre Tiere durchaus damit versorgen, ohne dass dies am Ende auf der Milchpackung steht.
Denn die Deklarationspflicht gilt nur im direkten Sinne. Das heisst: Wäre die Kuh genverändert, müsste man das auf der Milch oder dem Fleisch deklarieren. Ist das Futter der Kuh genverändert, nicht.
Schliesslich können genveränderte Organismen durch Kontaminierung in unser Essen gelangen, selbst Bioprodukte sind davor nicht gefeit. «Das kann beim Transport der Lebensmittel passieren. Zu den Hauptquellen gehören wahrscheinlich Überseecontainer», sagt Judith Deflorin, Leiterin Marktzutritt vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit.
Böse Pollen im Honig
«Die Ware ist manchmal monatelang unterwegs. Gerade beim Ein- und Ausladen oder bei Mischladungen auf einem grossen Schiff kann es zu Kontaminationen kommen.» Oder aber es seien Pollen, die zu einer Vermischung führten, etwa im Honig. Denn in Südamerika, wo Honig oft herkommt, ist der Umgang mit GVO entspannter.
Müssen nun die Alarmglocken läuten? Judith Deflorin winkt ab: «Die Mengen liegen praktisch immer im Promillebereich, die Kontaminierung ist ungewollt.» Es gilt: Nur wenn direkt genveränderte Organismen im Lebensmittel zu finden sind, muss man dies kennzeichnen.
Und zwar nur dann, wenn ein Mindestanteil von 0,9 Prozent überschritten ist. Selbstverständlich gelte das lediglich für in der Schweiz bewilligte GVO. Alles andere sei verboten, so die Auskunft vom BLV.
Angst vor Image-Schaden
Werden die bewilligten gentechnisch veränderten Pflanzenlinien, überhaupt verwendet, etwa bei der Fütterung von Tieren? «Auch diese Produkte kommen in der Schweiz kaum zum Einsatz», sagt Deflorin. Sie bestätigt die Angst, man könnte als Produzent mit GVO-Produkten einen Image-Verlust erleiden.
Am häufigsten finden sich Spuren von genveränderten Organismen in Sportlernahrung. Auch hier, sagt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit, steckten meist Verunreinigungen dahinter: «Nicht der absichtliche Einsatz.» Betroffen sind etwa Pulver oder Energieriegel, die mit Gen-Soja angereichert sind.
Klare Fragen, wage Antworten
Dass die GVO am ehesten in Importprodukten aus den USA, Kanada oder Südamerika auftauchen, liegt auf der Hand. Denn in jenen Ländern wird am offensivsten mit GVO gearbeitet. Die EU ist strenger bei den Zulassungen, die Schweiz am strengsten.
Jedes Jahr kontrollieren die kantonalen Lebensmittelvollzugsstellen ein paar hundert Produkte. 2015 wurde man in rund jedem zehnten untersuchten Produkt fündig. Aber ähnlich wie bei einer Zollkontrolle fokussiert man auf Lebensmittel, die typischerweise eher GVO enthalten könnten.
Würde man alle Lebensmittel untersuchen, wären es viel weniger. Alles auf GVO zu testen, wäre aber zu aufwendig. Die Frage nach genauen Gesamtzahlen muss deshalb offen bleiben. «Viel ist es nicht», ist die wage Antwort, die Experten und Produzenten liefern.
Was ist erlaubt?
In der Schweiz gibt es vier bewilligte Pflanzenlinien, die als Lebensmittelzutat verwendet werden dürfen: Eine Sojalinie (40-30-2, bekannt als Roundup-Ready-Soja) und drei Maislinien (Bt176, Bt11 und MON10). Unbewilligte Linien sind meist deshalb nicht bewilligt, weil sie erst einen aufwendigen Bewilligungsprozess durchlaufen müssen.
«Kaum weil sie gefährlich wären», so Judith Deflorin. Aber man versucht sicher zu gehen, dass die GVO weder der Gesundheit noch der Umwelt abträglich sind.
Nicht erlaubt ist in der Schweiz der landwirtschaftliche Anbau von genveränderten Organismen. Dies besagt das Gentechmoratorium, das bis 2021 läuft. Einzig ein Forschungsfeld im zürcherischen Reckenholz existiert. Dessen Pflanzen gelangen aber nicht in den Nahrungskreislauf.
Schreckgespenst bleibt
Offen bleibt die Frage, wie schlimm genveränderte Organismen in unseren Lebensmitteln tatsächlich sind. Sofort gerät man in ein Umfeld sich widersprechender Studien. Wilde Polit-Diskussionen um die Übermacht von Agrarkonzernen wie Monsanto oder Syngenta mischen sich mit Angstszenarien um Langzeitfolgen für Gesundheit, Umwelt und Biodiversität.
Ein hochemotionales Gesamtpaket und Vieles weiss man noch nicht. Das ist es, was das Schreckgespenst Gentech auch weiterhin durch die Landen ziehen lässt.