Zieht eine Frau oder ein Mann an einer Zigarette, sind die gesundheitlichen Folgen nicht gleich. So haben rauchende Frauen ein deutlich höheres Risiko im Vergleich zu rauchenden Männern einen Herzinfarkt zu erleiden. Zudem würden Frauen schlechter wieder wegkommen vom Rauchen, da die Nicht-Raucher-Kampagnen eher Männer ansprechen würden, sagt die Gendermedizinerin und Kardiologin Cathérine Gebhard. «Diese Geschlechterunterschiede wurden in der Medizin lange ignoriert», kritisiert sie.
Begriffsklärung: Gendermedizin ist nicht Frauenmedizin
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Das Fachgebiet der Gendermedizin befasst sich mit dem Einfluss des biologischen und sozialen Geschlechts (Englisch: Gender) auf Entstehung, Verlauf, Behandlung und Prognose von Erkrankungen. «Von einer geschlechts-spezifischen Behandlung profitieren Männer genauso wie Frauen», betont Cathérine Gebhard, Kardiologin und Gendermedizinerin. Denn berücksichtige die Medizin die Geschlechterunterschiede nicht, sei immer ein Geschlecht benachteiligt. Beispielsweise sind mehrheitlich Frauen von Depressionen, Essstörungen oder Osteoporose betroffen, die Erkrankungen sind aber bei Männern unter diagnostiziert, weil Diagnostik und Therapien auf Frauen ausgerichtet sind.
Die Schlussfolgerung der Gendermedizinerin: Es gibt einen Nutzen für Patientinnen und Patienten, wenn ihr Geschlecht berücksichtigt wird.
Damit ist sie nicht allein. Laut Parlament sollen die Nachteile des Frauseins von der Diagnose bis zur Therapie behoben und frauenspezifische Krankheiten besser erforscht werden. Denn unterdessen ist gut belegt: Der Mann galt – und gilt in vielen Fachbereichen immer noch – als medizinischer Prototyp. Und zwar als Patient, als Arzt und als Forscher. Doch Männer und Frauen erkranken unterschiedlich, bedürfen anderer Behandlung und Medikamentendosierung.
Medikamentenstudien: Frauen bis heute deutlich untervertreten
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Medikamente sind tendenziell eher für Männer gemacht. So sind beispielsweise schwere, unerwünschte Nebenwirkungen
bei Frauen fast doppelt so wahrscheinlich wie bei Männern
. In klinischen Studien sind Frauen bis heute deutlich unter vertreten.
Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Einer der Gründe ist der Contergan-Skandal in den 1960er-Jahren. Damals kamen viele Kinder mit Fehlbildungen zur Welt, wenn die Mutter während der Schwangerschaft das Schlafmittel Contergan einnahm. Danach wurden Frauen aus Furcht vor Schäden am Kind von Medikamentenstudien ausgeschlossen.
Zudem wird argumentiert, Frauen würden mit ihrem schwankenden Hormonzyklus die Testgenauigkeit gefährden. So gelten bereits im Labor männliche Tiere als Standard. Kürzlich wurde aber eine
Studie
veröffentlicht, die zeigt, dass männliche Mäuse unberechenbarer sind als weibliche. Die Resultate stellen die jahrhundertealte Annahme infrage, dass weibliche Mäuse die Studiengenauigkeit gefährden.
Ein Beispiel mit fatalen Folgen: Der Herzinfarkt galt lange als typische Männererkrankung. Wenn eine Frau einen Herzinfarkt erlitt, wurde dies deshalb oft erst spät erkannt und behandelt. Denn bei einem Herzinfarkt verspüren Frauen neben dem typischen Brustschmerz oftmals weitere Symptome wie Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, die dann fehlgedeutet werden.
Der Geschlechterunterschied zeigt sich nicht nur in biologischen Aspekten, sondern auch in soziokulturellen. Studien zeigen, dass insbesondere jüngere Frauen ihre Beschwerden in akuten Situationen weniger ernst nehmen. Statt sich untersuchen zu lassen, kümmern sie sich um ihre Kinder oder erledigen noch anderes.
Frauen haben bei gleichen Diagnosen weniger gute Chancen, intensivmedizinisch betreut zu werden als Männer.
Zudem werden die Schmerzen von Frauen teilweise anders bewertet. So forschte Gebhard letztes Jahr an einer
Studie
mit, welche die Geschlechterunterschiede in der Patientenaufnahme auf Schweizer Intensivstationen untersuchte. «Frauen haben bei gleichen Diagnosen weniger gute Chancen, intensivmedizinisch betreut zu werden als Männer», fasst Gebhard die Resultate zusammen. Vorwiegend jüngere Frauen mussten deutlich kränker sein als gleichaltrige Männer, um auf der Intensivstation aufgenommen zu werden.
Gendermedizin erhält mehr Aufmerksamkeit
Doch: «Wissenschaftliche Erkenntnisse kommen weder in der Praxis an, noch fliessen sie in ärztliche Leitlinien ein», sagt Gebhard, leitende Ärztin am Inselspital Bern und Professorin an der Universität Zürich. Sie beobachtet aber auch, dass die Gendermedizin mehr Aufmerksamkeit erhält. Unter anderem in den USA, Kanada und Österreich gibt es bereits nationale Forschungsprogramme und Lehrstühle für Gendermedizin. Auch in der Schweiz gibt es Bestrebungen in der Forschung und Politik.
Frauenspezifische Beschwerden werden als «normal» abgetan
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Die Gynäkologie habe in der Medizin einen guten Stand, sagt Isabell Witzel, Direktorin der Klinik für Gynäkologie am Universitätsspital Zürich. So sind frauenspezifische Krankheiten wie Gebärmutterhals – oder Brustkrebs gut erforscht und werden in der Regel früh erkannt. Handlungsbedarf sieht sie aber bei frauenspezifischen Beschwerden, die die Gesellschaft lange als normal abgetan habe.
Und die grosse Schwierigkeit dabei: Unregelmässiger Zyklus, starke Bauchkrämpfe, Stimmungsschwankungen oder Schmerzen beim Geschlechtsverkehr -wann wird’s zur Krankheit? So überrascht es nicht, dass sieben bis neun Jahre vergehen, bis eine Endometriose diagnostiziert wird. Ähnlich werde auch das PCO-Syndrom noch zu wenig beachtet.
Das könnte sich mit der gezielten Förderung von Forschung zu spezifischen Frauenkrankheiten und deren Behandlung nun ändern.
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