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Warum es um mehr als «nur» Essen geht.
Legende: Warum es um mehr als «nur» Essen geht GettyImages/LaylaBird

Internationaler Anti-Diät-Tag Ungesunde Diäten und der Kampf dagegen

Kennen Sie jemand, der heutzutage noch eine Diät macht? Warum diese so unsexy geworden sind und inwiefern sich heutige Trends kaum davon unterschieden, erklärt die Ernährungsberaterin Lucia Winzap.

Lucia Winzap

Ernährungsberaterin und Dozentin

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Lucia Winzap doziert im Fachbereich Ernährung und Diätik an der Berner Fachhochschule. Zudem ist sie Co-Leiterin Ernährungstherapie und Diabetes-Fachberatung an der Luzerner Klinik St. Anna.

SRF Wissen: «Diät» ist fast schon ein Unwort geworden, zurecht?

Lucia Winzap: Auch wir Gesundheitsfachpersonen verwenden den Ausdruck «Diät» eher ungern. Er wird im deutschsprachigen Raum negativ assoziiert zum Beispiel mit strengen Abnehmprogrammen, Leidensdruck oder Versagensgefühlen. Der milliardenhohe Umsatz der Diätindustrie zeigt auf, welche unheimliche Macht das Gleichsetzen von Diät mit Erfolg, Schönheit und Schlankheit hat. Ausserdem wird der Begriff wegen der Verbindung zu fragwürdiger Selbstoptimierung und zum Schönheitswahn abgelehnt. Unter diesen Aspekten finde ich es gerechtfertigt, den Begriff zu hinterfragen.

Selbstverständlich gibt es verschiedenste Krankheitsbilder, die eine bestimmte, teilweise lebenslange Ernährungstherapie respektive Diät erfordern. Dort stehen jedoch nicht Schlankheit, sondern Genesung, Krankheitsbewältigung oder gar Überleben im Zentrum.

Wortherkunft

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Ursprünglich bedeutet das aus dem Altgriechischen stammende Wort nichts anderes als Lebensart oder Lebensstil. Im medizinischen Bereich wird es auch heute noch so verwendet. Doch gesellschaftlich ist der Begriff in Verruf geraten: Insbesondere im deutschsprachigen Raum versteht die Mehrheit der Menschen darunter strikte Programme zum Abnehmen.

Immer mehr Menschen sind hochgewichtig* oder leiden an ernährungsbedingten Krankheiten. Sollten Diäten deshalb nicht angesagt sein?

Rigide Diäten führen nachweislich nicht zum Erfolg, beziehungsweise nicht zu einer gesünderen Lebensweise oder mehr Zufriedenheit. Im Gegenteil. Aus der Forschung weiss man, dass circa 20 Prozent der Frauen, die eine Diät machen, später in eine Essverhaltensstörung rutschen.

Somit können Diäten unserer Gesundheit auch schaden. Vorgegebene Diätpläne, wie sie von der Industrie, Büchern und Social Media propagiert oder von Betroffenen selbst verlangt werden, sind wissenschaftlich längst überholt und wirken nicht nachhaltig. Vielmehr wird der Fokus in der Prävention oder in der Behandlung von Hochgewicht und anderen ernährungsbedingten Erkrankungen auf eine lebenslange Förderung gesunder Verhaltensmuster in den Bereichen wie Bewegung, Ernährung, Schlaf, Stress und Psyche gelegt.

Ein veraltetes Narrativ

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«Es ist eine veraltete Idee, dass man bei Hochgewicht einfach weniger essen könne und mit etwas Disziplin abnehme», sagt die Ernährungsberaterin und Dozentin Lucia Winzap. Diese Vorstellung werde dem Thema Hochgewicht nicht gerecht und reduziere die komplexen Zusammenhänge auf ein falsches Narrativ und fördere damit auch Diskriminierung von Betroffenen. 

Eine zeitgemässe Behandlung von Hochgewicht wird interdisziplinär angegangen. Eine Ernährungs- und Trinkumstellung läuft in der Regel so ab, dass eine Fachperson gemeinsam mit Betroffenen ihre Ernährungsmuster und ihr Ernährungsverhalten anschaut, um diese nachhaltig zu verändern. Dabei wird zusammen nach individuellen Lösungen gesucht, die den persönlichen Bedürfnissen und körperlichen Voraussetzungen entsprechen sowie in die aktuelle Lebenssituation passen. Die passenden Ernährungsform wählen im besten Fall Betroffene selbst aus.

Wie unterscheiden sich strikte Diäten zu den heutigen Ernährungstrends wie Intervallfasten, Zucker-Verzicht oder «Low Carb»?

Wer einfach Ernährungstrends umsetzt, ohne sich selbst miteinzubeziehen, wird nicht ernährungskompetenter. Weder wahlloses Essen noch ständiges Hungern haben mit gesunder Körperwahrnehmung und Respekt gegenüber dem eigenen Körper etwas zu tun.

Wer ist besonders von Essstörungen betroffen?

Einerseits steigt die Anzahl von Essstörungen bei immer jüngeren Kindern, insbesondere bei Mädchen. Andererseits zeigt sich ein neues Phänomen, das bisher oft unerkannt bleibt: Frauen um die Wechseljahre beginnen vermehrt mit strengen Diäten. Frauen, die mitten im Leben stehen, stecken ihre ganze Energie in Diäten anstelle sich mit Themen wie Politik, Umwelt oder Kunst zu beschäftigen. Frauenpower und eine wichtige Lebensphase gehen damit verloren.

Anti-Diät-Tag: Ein Zeichen für mehr Körpervielfalt

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Der internationale Anti-Diät Tag geht auf die britische Buchautorin und Feministin Mary Evans Young zurück. Sie wollte damit auf den Zusammenhang zwischen Diäten und Essstörungen hinweisen und ein Zeichen gegen die Diskriminierung von Übergewichtigen setzen. Sie plädierte in einem Fernsehinterview 1992 für mehr Körpervielfalt. Später entstand aus dieser Kampagne der Anti-Diät-Tag, der auf den 6. Mai gelegt wurde. Das ist der Geburtstag der britischen Gründerin.

Trotz Anti-Diät-Tag und Body-Positivity-Bewegung: Wie zufrieden sind wir heute mit unserem Körper?

Fakt ist, dass immer mehr Menschen unzufrieden mit ihrem Aussehen, mit ihrem Gewicht und mit ihrer körperlichen Erscheinung sind. Obwohl es kritische Stimmen und sinnvolle Gegenbewegungen für mehr Körperakzeptanz und Körpervielfalt gibt, was ich sehr begrüsse, bleiben es Minoritäten.

*Siehe Guidelines von «Body Respect Schweiz»

Das Gespräch führte Nina-Lou Frey.

Radio SRF 1, A Point, 05.05.2023, 11:40 Uhr ; 

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