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Kälte bringt Kopfschmerzen Ist Wetterfühligkeit wissenschaftlich erklärbar?

Wetterfühligkeit gilt als diffuse Alltagsdiagnose. Was die Forschung über Migräne, Gelenkschmerzen und den Einfluss von Kaltfronten weiss – und was nicht.

Wetterfühligkeit ist kein Mythos: Tatsächlich beschäftigt sich die Wissenschaft seit langem mit dieser Frage. Die Erkenntnisse? Nicht ganz eindeutig. Klar ist: Manche Menschen reagieren auf Wetterveränderungen – etwa auf Luftdruckabfall, Temperaturschwankungen oder plötzliche Feuchtigkeit. «Starke Wetterwechsel belasten den menschlichen Körper – besonders bei Vorerkrankungen oder einem sensiblen vegetativen Nervensystem», sagt Jürg Kesselring, Neurologe und emeritierter Chefarzt der Reha-Klinik Valens im SRF-Interview. Wetterfühligkeit ist also kein Mythos, sondern für viele ein reales Phänomen. Warum das Wetter so wirkt, ist schwer zu erforschen. Denn bei einem Wetterumschwung ändern sich Luftdruck, Temperatur und Luftfeuchte oft gleichzeitig – und teils heftig. Was soll man da gezielt messen? Eine schwierige Situation für Labortests.

Dunkle Wolken am Himmel, eine Wiese im Sonnenschein und ein Regenbogen dazwischen.
Legende: Plötzliche Kopfschmerzen, Erschöpfung oder gereizte Stimmung – viele Menschen führen das instinktiv aufs Wetter zurück. Aber: Reagiert unser Körper wirklich auf Wetterumschwung oder haben wir nur gelernt, unser Unwohlsein damit zu erklären? IMAGO/Jan Eifert

Diese Dinge sind wissenschaftlich belegt: Einige Zusammenhänge lassen sich aber untersuchen – besonders bei Migräne und Gelenkschmerzen. Eine japanische Studie fand etwa einen Zusammenhang zwischen Migräne und Luftdruckabfall. In Druckkammern testeten Forschende, ob Druckveränderungen Kopfschmerzen auslösen. Die Reaktionen waren individuell sehr unterschiedlich – allgemeingültige Aussagen sind also schwierig. Andere Studien konnten diesen Zusammenhang nicht bestätigen. Auch bei Arthrose und Rheuma berichten Betroffene über mehr Schmerzen bei feucht-kaltem Wetter – doch die Studienlage ist auch hier uneinheitlich. Eine europaweite Studie mit über 800 Arthrose-Patienten zeigt einen klaren Zusammenhang zwischen Feuchtigkeit, Kälte und Schmerzintensität. Und das Grossprojekt «Cloudy with a chance of pain» sammelte monatelang Wetter- und Schmerzdaten von tausenden Betroffenen: An feuchten, kühlen Tagen traten deutlich mehr Beschwerden auf. Andere Studien wiederum fanden keinen eindeutigen Effekt.

Migräne und Wetter – Gibt es einen Zusammenhang?

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Etwa die Hälfte aller Migränepatientinnen und Migränepatienten berichtet, dass Wetterumschwünge Kopfschmerzen oder Migräneanfälle auslösen können. Doch der wissenschaftliche Nachweis dieses Zusammenhangs ist schwierig.

  1. Nordnorwegen: Mehr Migränefälle im Sommer beobachtet.
  2. USA: Zunahme von Migräne bei warmen, trockenen Chinook-Winden – ähnlich dem Föhn in den Alpen.
  3. Österreich: Leichte Korrelation mit häufigem Wechsel zwischen Sonne und Wolken oder bei Niederschlag – jedoch ohne statistische Signifikanz.
  4. Italien (1800 Teilnehmende, 2 Jahre): Statistisch belegter Zusammenhang zwischen Wetter und Migräne-Notfällen. Entscheidend waren plötzliche Temperaturanstiege, hohe Luftfeuchtigkeit und niedriger Luftdruck, insbesondere zwei Tage vor dem Anfall.

Besonders betroffen sind sensible Nervensysteme: Wetterfühligkeit betrifft nicht alle gleichermassen. Besonders empfindlich reagieren Menschen mit Migräne oder chronischen Schmerzen: Ihr Nervensystem ist sensibler, Wetterreize wie Luftdruckabfall können als Trigger wirken. Bei Rheuma, Arthrose oder Fibromyalgie können die Schwankungen im Luftdruck die Nervenbahnen im Gelenk reizen und somit die Schmerzempfindung erhöhen. Mit zunehmendem Alter nimmt ausserdem die Fähigkeit ab, äussere Reize auszugleichen. Stress verstärkt bei psychisch belasteten Menschen die Wahrnehmung körperlicher Symptome – das Wetter wirkt hier eher als Katalysator, nicht als Auslöser.

Uneinigkeit bei Kreislaufproblemen

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Ähnliche Uneinigkeit herrscht bei Symptomen wie Schlafstörungen, Reizbarkeit oder Kreislaufproblemen. Einzelne Studien legen nahe, dass das autonome Nervensystem auf Wetterveränderungen reagieren kann – aber belastbare, reproduzierbare Ergebnisse fehlen oft.

Und wie sieht es mit den Stimmungstiefs aus? «Weniger das Wetter selbst, sondern der damit verbundene Lichtmangel wird als Auslöser gesehen – besonders im Winter», so Jürg Kesselring.

Wetter macht uns nicht krank: Wetterfühligkeit ist also keine Krankheit. Sie ist Ausdruck eines komplexen Zusammenspiels aus Umweltreizen, körperlicher Veranlagung und psychischer Verfassung. Oder wie es Kesselring formuliert: «Wetter macht nicht krank. Aber es kann beeinflussen, wie wir uns fühlen – je nachdem, wie wir gemacht sind.» Entscheidend sei, dass Betroffene lernen, ihre Reaktionen zu beobachten – und entsprechend gegenzusteuern: mit Bewegung, Schlafhygiene oder bewusstem Umgang mit Stress.

SRF Meteo, 2.5.2025, 12:55 Uhr

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