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Kompetente Patienten kosten weniger

Die Krankenkassen-Prämien steigen und steigen. Gleichzeitig zeigen Studien, dass ein Drittel aller Therapien in der Schweiz unnötig sind. Dieser offensichtliche Mangel an Effizienz hat viel mit fehlendem Bewusstsein zu tun – nicht nur bei den Patienten.

Die Gesundheit in der Schweiz kostet uns jährlich 60 Milliarden Franken. Angesichts einer seit Jahren rotierenden Kostenspirale entwickeln aber immer mehr Menschen ihre Zweifel an der Effizienz des Systems.

Kaum Linderung erfährt dieses Misstrauen beim Erscheinen verschiedener Studien, die der amerikanische Arzt und Autor H. Gilbert Welch in seinem eben auf Deutsch erschienenen Buch «Die Diagnosefalle» zusammenträgt: Laut dem Professor an der Dartmouth Medical School in Hanover (New Hampshire, USA) sind ein Drittel aller Diagnosen und damit auch Therapien unnötig. Das dürfte auch in etwa für die Schweiz gelten.

Kompetenz senkt die Kosten

Eine Entwicklung, an der nicht nur ein Typ Patient beteiligt ist, der seine Gesundheit mehr und mehr wie ein Konsumgut versteht. Alle Player des Systems tragen ihre ganz spezifische Verantwortung am Kosten-Desaster.

Fehlende Kompetenz und ein mangelhaftes Gesundheitsbewusstsein führt Professor Gerd Nagel in der Sendung «Club» als Gründe ins Feld. Der Onkologe und Gründer der Stiftung «Patientenkompetenz» ist überzeugt, dass sich die Kosten im Gesundheitswesen massgeblich senken liessen. Wenn der Patient unter Anleitung das gewinnt, was Nagel eben Patientenkompetenz nennt.

Foto von Professor Nagel in freier Natur
Legende: Prof. Gerd Nagel ist Gründer der Stiftung «Patientenkompetenz» und Gast im «Club» vom 15. Juli 2014. SRF

Zentrales Element dieser Kompetenz ist die Fähigkeit des Patienten, fremde und eigene Ressourcen zu kennen und anzuwenden. Zu diesen Ressourcen zählen das soziale Netz oder auch der Glaube. «Ganz entscheidend ist zudem die Selbstheilungserwartung», sagt Nagel. Darunter versteht der Onkologe eine innere Haltung, eine Art neurologische Programmierung.

Sie äussert sich in einer Fokussierung des Patienten auf seine Krankheit als «neue Normalität»; Nagel weiss wovon er spricht. Vor Jahren ist er selber an Krebs erkrankt. «Krebs, mit dir habe ich nicht gerechnet – aber du hast auch nicht mit mir gerechnet.» «Krebs, ich werde dich überleben, nicht umgekehrt.» Solche Sätze, als neurologisches Programm verinnerlicht, würden die Heilungschancen in hohem Mass verbessern, weiss Nagel aus zahlreichen Studien.

Kompetenz fördert die Heilung

Einen Beweis liefert die Krankheit Diabetes. «Heute wird man mit ihr normal alt», führt Nagel an. Die Patienten hätten mit der Zeit Kompetenzen entwickelt. Sie achten auf ihre Ernährung, auf die Körperhygiene und anderes, weil sie die Krankheit nicht mehr als Zustand verstehen, sondern eben als Prozess. «Die Krankheit ist zwar unheilbar, aber sie bleibt so unter Kontrolle», ergänzt Nagel.

Patientenkompetenz

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Der Begriff verweist auf den informierten, mündigen, autonomen Patienten. Dieser stellt sich den Herausforderungen der Erkrankung. Er nutzt eigene und fremde Ressourcen der Bewältigung. Er berücksichtigt eigene Bedürfnisse, folgt er einer klaren Zielvorstellung und wahrt seine Autonomie.

Das Konzept der Patientenkompetenz greift aber nicht nur bei Krebspatienten. Auch für Patienten mit alltäglichen Krankheiten verspricht es Linderung vom Kostendruck. «Der kompetente Patient mit Grippe weiss, dass so eine Erkältung normal ist», sagt Nagel.

Er habe bezüglich seiner Genesung realistische Zielvorstellungen, die er mit den zu erwartenden Kosten abgleicht. Finanziell wie auch ganz persönlich. Und dann komme dieser Patient zum Schluss, auf Arztbesuch, Zweitmeinung und ein Arsenal an Pharmazeutika zu verzichten, «zu Gunsten von Krog, Krimi und Kamille», wie sich Nagel ausdrückt.

Ganz unschuldig ist der Patient am vorherrschenden Kompetenz-Manko allerdings nicht.

«Heute wird alles pathologisiert », umschreibt Nagel die Verantwortung der Medizin, «wo ein Kind früher zappelig war, hat es heute ADHS.» Vor allem die Fach- oder Spezialitäten-Medizin sei auf die Krankheit fixiert statt auf den Patienten.

Die Gründe hierfür sind zwar letztlich mannigfaltig, dennoch lassen sie sich auf ein paar wenige Systemprobleme zurückführen: zu wenig Zeit für den Patienten und eine in dieser Hinsicht unzureichende Ausbildung. Hier Abhilfe zu schaffen, um das Gesundheitssystem finanziell zu entlasten, hierzu sind alle Player gleichermassen gefordert, ist Nagel überzeugt.

Zahnhygiene als leuchtendes Beispiel

Die Pharmaindustrie sollte ihre Anreize zum Bild einer konsumierbaren Gesundheit zurückschrauben. Denn Gesundheit ist weitgehend auch eine Frage des richtigen Bewusstseins.

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Dieses Bewusstsein zu schulen, obliegt zum einen dem Hausarzt. Allerdings funktioniert das nur, wenn er seine gesundheitserzieherischen Bemühungen mit den Versicherern auch tatsächlich abrechnen kann. Und wenn Patient und Arzt überhaupt zusammen kommunizieren können. Gerade hier stehe auch die Ausbildung der Ärzte in der Pflicht. Das Hausarzt-Model werde in der universitären Ausbildung zwar angeboten, sagt Nagel. Aber es bestünden eben kaum Anreize für den angehenden Mediziner, auch daran teilzunehmen.

Dass Kostensenkung über Kompetenzgewinn zum Ziel führt, beweist auch die Geschichte der Zahnkaries. Während vor 50 Jahren Adoleszenten bereits mehrere Zähne fehlten, sind die Zähne heute weit besser im Schuss. «Der Patient hat sich auf seine eigenen Ressourcen besonnen und Kompetenz im Umgang mit seinen Zähnen erlangt», sagt Nagel. Seine relativen Kosten für Zahnarztbesuche haben sich dadurch gesenkt.

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