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Krebs während der Pandemie Welchen Einfluss hatte Corona auf die Behandlung von Krebs?

Verschobene Therapien und unterbrochene Vorsorgeuntersuchungen: Die Corona-Pandemie stellte auch die Krebsmedizin auf eine harte Probe. Hatte dies negative Folgen für Krebsbetroffene? Eine Studie des Nationalen Krebsregisters hat diese Frage untersucht.

Studien aus anderen Ländern zeigen, dass Krebsbetroffene unter Corona zum Teil stark litten. In Belgien etwa sanken bei bestimmten Krebsarten die Überlebensraten, und in Irland wurden Tumore häufiger in späteren Stadien diagnostiziert als vor der Pandemie.

Für die Schweiz gab es hierzu bislang keine Informationen. Nun bringt eine Studie des Nationalen Instituts für Krebsepidemiologie und Registrierung NICER Licht ins Dunkel.

Katharina Staehelin, die Leiterin von NICER und der Nationalen Krebsregistrierungsstelle, sagt, sie hätten eine ideale Datenbasis zur Verfügung gehabt: «Wir konnten das Krebsgeschehen von 2017 bis 2019, also der Jahre vor der Pandemie, mit dem Krebsgeschehen während der Pandemie 2020 und 2021 vergleichen, und zwar für die ganze Schweiz.»

Weniger Krebsdiagnosen während des Lockdowns

Die Forschenden haben Daten zu über 200'000 Krebsfällen aus diesen fünf Jahren ausgewertet. Sie untersuchten die Auswirkungen der Pandemie auf die Anzahl Krebsdiagnosen und das Krankheitsstadium bei der Diagnose, also wie weit sich der Krebs schon ausgebreitet hatte. Ausserdem betrachteten sie die Überlebensrate nach einem Jahr.

Unsere Daten zeigen, dass sich das Stadium oder die Krankheitsausbreitung bei Diagnose während der Pandemie nicht relevant verändert hat im Vergleich zu den Vorjahren.
Autor: Katharina Staehelin Leiterin von NICER und der Nationalen Krebsregistrierungsstelle

Die Resultate: Während des Lockdowns im Frühling 2020 ging die Zahl der Krebsdiagnosen stark zurück. Bei Prostatakrebs wurden 29 Prozent weniger Fälle festgestellt, bei Brustkrebs fast 40 Prozent weniger. Beides sind Krebserkrankungen, die üblicherweise durch Vorsorgeuntersuchungen und in Screening-Programmen entdeckt werden.

Überlebensraten wie vor Corona

Die Studie zeigt aber auch, dass dieser Rückgang bei den Diagnosen für die meisten Krebsarten bereits im Jahr 2020 wieder aufgeholt wurde. Auch sonst sind die Ergebnisse erfreulich, wie Katharina Staehelin ausführt: «Unsere Daten zeigen, dass sich das Stadium oder die Krankheitsausbreitung bei Diagnose während der Pandemie nicht relevant verändert hat im Vergleich zu den Vorjahren. Und dies ist ein wichtiger Indikator für die Prognose einer Krebserkrankung.» Das bestätigte sich in den Überlebensraten nach einem Jahr: Diese verhielten sich wie vor Corona.

«Das Screening funktioniert»

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Die positiven Resultate der NICER-Studie könnten dazu verleiten, den Nutzen des Screenings zur Früherkennung bestimmter Krebsarten (Brustkrebs, Prostatakrebs, Darmkrebs, Lungenkrebs, Schwarzer Hautkrebs) zu hinterfragen, im Sinne von: «Wozu braucht es teure Vorsorgeuntersuchungen und Screening-Programme, wenn das Krebsgeschehen selbst eine schwere Gesundheitskrise wie Corona praktisch schadlos übersteht?»

Diese Frage führe zu einem falschen Schluss, sagt Onkologe Andreas Wicki von der Universität Zürich: «Typischerweise werden Screenings bei Tumoren gebraucht, die relativ langsam wachsen. Wir machen keine Screenings für Tumore, die extrem schnell wachsen. Das heisst, wir haben bei diesen Tumoren durchaus mal ein, zwei Monate Zeit, um sie zu finden. Dann kommt es nicht auf jeden einzelnen Tag drauf an.» Genau das spiegle sich auch in den Daten der NICER-Studie.

Auch Katharina Staehelin, Direktorin von NICER und der Nationalen Krebsregistrierungsstelle betont, die Studie liefere keine Grundlage dafür, dass Screening-Programme nicht notwendig seien, ganz im Gegenteil: «Die Resultate zeigen, dass Screening-Programme sehr flexibel sind und auch die Möglichkeit haben, einen kurzen Unterbruch wieder zu kompensieren.» Staehelin ist überzeugt, dass sich Corona ganz anders auf das Krebsgeschehen ausgewirkt hätte, wenn diese Programme länger unterbrochen oder gar gestoppt worden wären.

Somit ist das Bild für die Schweiz deutlich positiver als in anderen Ländern. Für den Onkologen Andreas Wicki von der Universität Zürich liegt dies hauptsächlich daran, dass die Routineversorgung von Krebspatientinnen und -patienten trotz Corona kaum verzögert worden sei. «Die Rahmenbedingungen waren in der Schweiz insgesamt recht liberal», stellt Wicki im Rückblick fest. «Es gab relativ wenig Einschränkungen, und wir Mediziner waren ziemlich frei, die Diagnostik ebenso wie die Therapien fortzuführen.»

Widerstandsfähiges Gesundheitswesen

Andere Länder hingegen hätten massiv stärkere Einschränkungen ins Gesundheitswesen hinnehmen müssen. Zum Beispiel sei die Routinediagnostik in der Onkologie zum Teil hinausgeschoben worden. «Das ist bei uns nicht passiert: Das Gesundheitswesen hierzulande hat eine grosse Resilienz, um auf eine Herausforderung wie Corona zu reagieren», bilanziert Andreas Wicki.

Rendezvous, 12.08.2025, 12:30 Uhr

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