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Einstein: So beeinflusst die Mutter das Mikrobiom des Babys
Aus Kultur Webvideos vom 22.09.2020.
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Mikrobiom beim Baby So beeinflussen Eltern das Immunsystem ihrer Kinder

Bereits in der Schwangerschaft können die Abwehrkräfte der Kinder gestärkt werden. Auch danach gibt es viele Möglichkeiten.

Mütter geben ihrem Baby viel. Damit ist nicht nur Liebe, Aufmerksamkeit und Geborgenheit gemeint. Bereits vor der Geburt können Mütter die Abwehrkräfte ihres Babys vorbereiten, um die kindliche Darmflora der ersten Lebensjahre zu stärken.

Wenn nämlich die Bakterienvielfalt in der Darmflora und auf der Haut optimal ist, wenn also das sogenannte Mikrobiom gesund ist, wird das Immunsystem positiv beeinflusst. Je vielfältiger die Mischung an Bakterien, desto besser. Wie das funktioniert, untersucht Stephanie Ganal-Vonarburg.

Stephanie Ganal-Vonarburg

Stephanie Ganal-Vonarburg

Molekularmedizinerin

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Stephanie Ganal-Vonarburg erforscht den Einfluss des mütterlichen Mikrobioms auf das Kind. Mit einer neuen Studie will die Molekularmedizinerin herausfinden, wie mikrobielle Botenstoffe in der Muttermilch der Immunabwehr der Säuglinge helfen. Dafür rekrutiert die Forscherin am Inselspital Bern schwangere Frauen, die sie über längere Zeit vor und nach der Geburt begleiten kann.

SRF: In Ihrer Studie haben Sie herausgefunden: Schon Schwangere können das Mikrobiom ihres Kindes beeinflussen – über die Ernährung. Was raten Sie den Frauen?

Stephanie Ganal-Vonarburg: Sich vielseitig und gesund zu ernähren. Und: In der Schwangerschaft nicht komplett die Ernährung umstellen, also zum Beispiel von Fleisch zu vegetarischer Kost. Man weiss nicht, wie sich so ein plötzlicher Umschwung in der Darmflora der Mutter auf das Kind auswirkt.

Schwangerenbauch
Legende: Für ihre Studie hat Stephanie Ganal-Vonarburg trächtigen Mäusen synthetischen Broccoli gegeben. Dieser wirkte sich positiv auf das Immunsystem der Nachkommen aus. Ob's auch den Menschen hilft: «Wahrscheinlich – schaden tut es zumindest nicht», so die Expertin. Getty Images / PeopleImages

Wie kommen die Bakterien der Mutter zum Kind?

Wir haben Experimente an Mäusen gemacht und gehen davon aus, dass es beim Menschen sehr ähnlich ist: Die Bakterien selber gelangen nicht zum Kind. Die Schwangere gibt aber bakterielle Botenstoffe und Stoffwechselprodukte über die Plazenta an das Kind weiter. Dies führt dazu, dass sein Darm-Immunsystem reifer wird.

Schwangere können schon vor der Geburt über ihre Ernährung Einfluss auf das Immunsystem des Babys nehmen. Das war lange nicht bekannt.

Was heisst das: ein reiferes Immunsystem?

In der Fruchtblase ist der Fötus noch keimfrei. Sobald das Kind auf die Welt kommt, wird der Darm von Bakterien besiedelt. Der Körper ist aufgrund der Botenstoffe aus der mütterlichen Darmflora besser darauf vorbereitet, Bakterien aufzunehmen und die richtigen Bakterien im Darm anzusiedeln.

So richtig kommt das Kind also erst bei der Geburt mit Bakterien in Kontakt?

Genau. Mit Bakterien in der Vaginalflora der Mutter, also vielen Laktobazillen aber auch Bifidobakterien.

Später im Leben unterscheidet sich die Darmflora nicht mehr gross zwischen Kaiserschnitt-Kindern und natürlich Geborenen.

Bei Kindern, die über Kaiserschnitt zur Welt kommen, sind es viel mehr Hautbakterien, die über die Einschnittwunde und den ersten Kontakt mit den Ärzten und den Eltern zum Baby gelangen.

Säugling mit dunklem Haar trinkt an der Brust seiner Mutter
Legende: Beim Stillen gehen besonders viele gute Bakterien von der Mutter ans Baby über. Welche das sind und wie man Flaschenmilch möglichst daran angleichen könnte, erforscht Stephanie Ganal-Vonarburg. Getty Images / Layland Masuda

Dieser Unterschied bleibt nur ein paar Monate bestehen. Später im Leben unterscheidet sich die Darmflora-Zusammensetzung nicht mehr gross zwischen Kaiserschnitt-Kindern und natürlich Geborenen. Einen langfristigen Einfluss auf das Mikrobiom hat aber das Stillen.

Was macht die Muttermilch so besonders?

Der Nährstoffgehalt: Muttermilch ist angereichert mit den Fetten, Eiweissen und Kohlenhydraten, die das Kind zum Wachsen braucht. Und sie passt sich an: Direkt nach der Geburt ist die Milch anders als nach ein paar Wochen oder Monaten.

Das kann man in der Flaschenmilch relativ leicht nachahmen. Was man nicht so gut nachahmen kann, sind die bioaktiven Zusatzstoffe der Milch, zum Beispiel die bakteriellen Botenstoffe aus der mütterlichen Darmflora.

Baby trinkt aus Flasche
Legende: Pulvermilch aus der Flasche entspricht der Muttermilch nicht genau. Eltern können das Mikrobiom ihrer Kinder aber auf andere Weisen stärken. Getty Images / JPM

Die «guten» Bakterien kann man der Flaschenmilch nicht zusetzen?

Das wird jetzt schon versucht. Aber mit lebenden Bakterien funktioniert es bisher nicht.

Die Bakterien an den Brustdrüsen der Mutter und in der Muttermilch beeinflussen, welche anderen Bakterien sich im Darm des Kindes ansiedeln, welche wiederum einen positiven Einfluss auf das Immunsystem haben.

Es gibt Mütter, die per Kaiserschnitt geboren haben und nicht stillen: Können sie das Mikrobiom ihres Babys trotzdem stärken?

Die Schwangere kann tatsächlich schon vor der Geburt über ihre Ernährung Einfluss nehmen. Das war lange Zeit nicht bekannt.

Dazu kommt: In den ersten drei Lebensjahren entwickelt sich das Mikrobiom noch und lässt sich beeinflussen. Eltern sollten ihr Kind nach der reinen Milchphase darum ausgewogen ernähren.

Ich hab selbst eine Tochter, die darf auch mal Sand essen.
Kind mit Brei um den Mund
Legende: Je mehr verschiedenen Bakterien Kinder ausgesetzt sind, desto besser: Bis im dritten Lebensjahr lässt sich ein gesundes Mikrobiom noch leicht aufbauen. Getty Images / Mohd Hafiez Mohd Razali / EyeEm

Was ist dran am Spruch «Dreck stärkt das Immunsystem»?

Da ist wahrscheinlich viel dran. Ich habe selbst eine Tochter, die darf auch mal Sand essen.

Man sollte Kinder so oft wie möglich harmlosen Bakterien, wie sie in unserer Umgebung vorkommen, aussetzen. Das stimuliert das Immunsystem. Heisst: Nicht alles desinfizieren Zuhause, die Kinder dürfen ruhig auch mal am Boden spielen.

Die Hygiene-Hypothese

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Wir wachsen in einem zu sauberen Umfeld auf. Diese Hypothese stellte David Strachan 1989 auf. Er erkannte: Während Infektionskrankheiten wie Diphtherie oder Tuberkulose im 20. Jahrhundert rapide zurückgingen, stiegen andere Krankheiten wie Heuschnupfen, Asthma, Diabetes Typ 1 oder Multiple Sklerose an.

Der hygienischere Lebensstil zeigt sich auch im Mikrobiom: Unsere Gesellschaft hat ein weit weniger diverses Mikrobiom als es zum Beispiel bei indigenen Menschen der Fall ist. Und Bauernhofkinder haben wegen der Bakterienvielfalt im Umfeld seltener Allergien als Stadtkinder.

Das Gespräch führte Ramona Drosner.

Sendung: SRF1, Einstein, 24.09.2020, 21.05 Uhr

SRF 1, Einstein, 24.9.2020, 21:05 Uhr;

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