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Mit Trips gegen die Angst Wie LSD das depressive Hirn beflügelt

Wegen seiner wilden Vergangenheit in den 1960er-Jahren war LSD – Lysergsäurediäthylamid – jahrzehntelang verboten. Heute sind psychedelische Substanzen die neuen Hoffnungsträger gegen Angst, Depressionen und andere psychische Leiden.

Für Matthias Liechti sind LSD oder Psilocybin (Zauberpilze) viel mehr als einfach altbekannte Psychedelika aus der Hippiezeit. Der Pharmakologieprofessor der Universität Basel sieht bei LSD und anderen bewusstseinsverändernden Substanzen das Potenzial für die «wichtigste Innovation in der Psychiatrie».

«Seit 30, 40 Jahren oder noch länger gab es gegen Depressionen nichts wirklich Neues, man hat einfach ein Antidepressivum nach dem anderen auf den Markt gebracht, im Grunde stets dasselbe», sagt Liechti. Das ändere sich gerade fundamental: «Jetzt steht eine neue Gruppe von Wirkstoffen, ein neues Verfahren mit einem ganz anderen Ansatz kurz vor der Zulassung.»

Von der Partydroge zum Medikament

Psychedelika wie LSD, Psilocybin, MDMA, DMT und viele mehr gehören zwar seit Jahrzehnten zur Popkultur und werden bis heute als Partydrogen – meist illegal – konsumiert; aber in der Wissenschaft und vor allem bei den Gesundheitsbehörden hatten die Substanzen lange einen schlechten Ruf. Sie galten als gefährlich und wurden früh verboten. LSD war wegen seiner wilden Vergangenheit in den 1960er-Jahren richtiggehend tabuisiert.

LSD ist keine Problemsubstanz, die man verbieten müsste, weil sie gefährlich oder toxisch wäre.
Autor: Peter Gasser Psychiater

Doch es gab Fachleute – insbesondere in der Schweiz –, die den «Glauben» an diese Substanzen nie ganz verloren hatten und beharrlich darum kämpften, sie zu erforschen. Einer von ihnen ist der Psychiater Peter Gasser aus Solothurn: Er hielt das weltweite Psychedelika-Verbot und besonders das Verbot von LSD stets für einen «tragischen Fehler». «Es gab keinen Grund, LSD innerhalb der Medizin zu verbieten», sagt Gasser, «denn LSD ist keine Problemsubstanz, die man verbieten müsste, weil sie gefährlich oder toxisch wäre».

Peter Gasser war der Erste weltweit, der nach einem 40-jährigen Forschungsverbot wieder mit LSD bei Patienten zu forschen begann. Der damalige Bundesrat und Gesundheitsminister Pascal Couchepin (FDP) hatte dem Vorhaben des Solothurner Psychiaters 2008 den Weg geebnet. Gasser nutzte das bewusstseinsverändernde Lysergsäure-Diäthylamid zur Behandlung von Menschen, die unter Angst litten. In einer Pilotstudie schickte er zwölf Krebspatienten auf begleitete LSD-Trips, eingebettet in eine Psychotherapie.

Endlich wieder ein ganzer Mensch

Die Studie war ein Erfolg. «Die Probanden hatten weniger Ängste, sie waren entspannter und zuversichtlicher, dass sie ihren Weg mit der Krebserkrankung weitergehen könnten», erzählt Peter Gasser. Die meisten seien tief berührt gewesen vom Gefühl, «sich selbst wieder einmal als ganzen Menschen zu erleben, und nicht einfach als Diagnose oder Krankheit».

So funktioniert LSD im Hirn

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Auf dem Bild ist ein animierter Kopf zu sehen.
Legende: imago images / agefotostock

LSD wirkt auf den sogenannten Serotonin-2a-Rezeptor, eine Erkennungsstelle für den Botenstoff Serotonin. Was dies im Hirn konkret auslöst, kann man sich etwa so vorstellen:

Unsere Nervenbahnen sind wie Strassen. Jene, die wir besonders häufig «befahren» – also denken –, sind besonders breit. Diese festgefahrenen neuronalen Denkmuster, die zum Beispiel ängstlich oder depressiv machen, können durch psychedelische Zustände aufgebrochen werden. Es können sich neue Vernetzungen bilden – neue Strassen gebaut werden. Manchmal sind diese neuen Vernetzungen nur vorübergehend, manchmal auch nachhaltig, wie jüngere Untersuchungen bei depressiven Patienten gezeigt haben.

Psychedelische Substanzen scheinen zudem die Regeneration von Nervenzellen zu begünstigen. Forschende vermuten darin einen weiteren Grund, weshalb Psychedelika bei psychiatrischen Krankheiten wirken.

Mit nur zwölf Teilnehmenden war die Studie allerdings zu klein, um die Wirkung von LSD bei Angstzuständen schlüssig zu beurteilen. Peter Gasser tat sich 2012 mit Matthias Liechti von der Uni Basel zusammen. Als ersten Schritt untersuchte Liechti das LSD zunächst bei gesunden Versuchspersonen. «Wir hatten festgestellt, dass LSD in der Vergangenheit zwar massenweise konsumiert worden war, aber wissenschaftliche Untersuchungen, wie sie für die Entwicklung eines Medikaments vorausgesetzt werden, gab es kaum – oder wenn, dann waren sie veraltet.»

Die Angst der Probanden ging bei allen schon nach der ersten LSD-Sitzung zurück.
Autor: Matthias Liechti Pharmakologieprofessor an der Universität Basel

2017 starten der Psychiater Gasser und der Wissenschaftler Liechti eine grössere, sogenannte Phase-II-Studie mit LSD. Diesmal sind 40 Versuchspersonen dabei – wiederum Angstpatientinnen –, 2021 ist die Untersuchung abgeschlossen. Die Ergebnisse werden demnächst publiziert, sie seien vielversprechend, sagt Matthias Liechti: «Die Angst der Probanden ging bei allen schon nach der ersten LSD-Sitzung zurück, nach der zweiten fiel sie dann nochmals deutlich.»

Und zwar mit anhaltender Wirkung. «Der Therapieeffekt war für uns vergleichbar, wie wenn man jeden Tag ein Medikament, also ein Antidepressivum einnehmen würde.» Das bedeutet: Ein Trip kann die monate- oder gar jahrelange Einnahme von Antidepressiva ersetzen.

Die psychedelische Forschung boomt

Bis vor wenigen Jahren war Forschung mit Psychedelika fast ausschliesslich akademisch und nur mit Sonderbewilligungen möglich. Inzwischen sind manche Tabus gefallen, die psychedelische Forschung boomt. «Im Vergleich zu vor fünf Jahren hat auch das Industrieinteresse massiv zugenommen», erzählt Matthias Liechti.

«Es gibt viele Biotech-Firmen, die an der Börse sind und von Investoren Geld bekommen haben, um solche Entwicklungen voranzutreiben.» Kein Wunder, dass dies auch die Pharmabranche interessiert. Monatlich, ja wöchentlich würden Patente angemeldet für neue Psychedelika, sagt Liechti. Es sei ein Milliardenbusiness – zumindest in den USA.

«Ecstasy»-Medikament soll 2023 kommen

Am weitesten mit der Zulassung eines Psychedelikums ist die amerikanische Organisation MAPS. Sie will 2023 ein Medikament gegen Trauma-Folgestörungen auf den Markt bringen, und zwar mit MDMA, im Volksmund «Ecstasy».

Auch mit Psilocybin, dem Wirkstoff der «Zauberpilze», laufen zurzeit mehrere Zulassungsstudien, in diesem Fall für die Therapie behandlungsresistenter Depression. Und LSD habe ebenfalls gute Chancen, in wenigen Jahren auf den Markt zu kommen: Die Firma Mind Medicine mit Sitz in New York werde die Daten der Schweizer LSD-Studie benutzen, um nun grössere Patientenstudien zu lancieren, erzählt Liechti.

Die Pharmabranche spricht bereits von «disruptiven Psychopharmaka»: Statt dass ein solches Medikament immer nur ein bisschen wirkt wie die gängigen Psychotherapeutika, haben psychedelische Substanzen eine lang anhaltende Wirkung. Für Menschen mit Depressionen sind dies zweifellos gute Nachrichten.

Mehr zum Thema gibt's bei «Kopf voran»:

Echo der Zeit, 12.08.2022, 18:00 Uhr

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