Neue Medikamente sind ein Segen – jedenfalls wenn sie wirksam sind und nicht zu starke Nebenwirkungen haben. Geprüft wird das jeweils von den Arzneimittelbehörden, bevor ein Medikament auf den Markt kommt. Die Hersteller-Firmen müssen dazu Tausende von Seiten mit Daten einreichen, welche die Sicherheit und die Wirksamkeit des Mittels belegen sollen.
Doch ob diese Unterlagen auch wirklich alle Resultate – auch die negativen – beinhalten, können unabhängige Forscher oder Patientenorganisationen heute nicht nachprüfen, denn die Unterlagen sind unter Verschluss. Das sei falsch, sagen Kritiker. Das hätten zahlreiche Skandale gezeigt. Beim Schmerzmittel «Vioxx» der Pharmafirma Merck zum Beispiel hätten wohl viele tausend Menschenleben gerettet werden können, wenn die Öffentlichkeit frühzeitig über schwere Nebenwirkungen informiert worden wäre. Vioxx wurde inzwischen vom Markt genommen.
Richtungswechsel der Behörden?
Nun will die europäische Arzneimittelbehörde EMA neue Leitlinien für mehr Transparenz erlassen. Kritiker warnen aber, hinter den Kulissen hätten die Lobbisten der Pharmafirmen ganze Arbeit getan. Die Leitlinien kämen den Pharmafirmen nämlich im aktuellsten – nicht öffentlichen – Entwurf offenbar in wesentlichen Punkten entgegen. Die Kritiker sprechen von einem kompletten Richtungswechsel der EMA, hin zu weniger statt mehr Transparenz.
Denn Studiendaten sollen zwar von unabhängigen Forschern am Bildschirm betrachtet werden können, das Herunterladen, Abspeichern, Bearbeiten und Teilen der Daten hingegen soll verboten bleiben. Ein solches Vorgehen mache jede wissenschaftliche Neuauswertung von klinischen Studiendaten völlig unmöglich, schreibt das einflussreiche Deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen IQWiG in einer Medienmitteilung unter dem ironischen Titel «nur gucken nicht anfassen» .
Europäische Ombudsfrau besorgt
Dem Vernehmen nach sollen weitere Einschränkungen dazukommen. So dürften zum Beispiel die Pharmafirmen Studienergebnisse schwärzen, die das Geschäftsgeheimnis gefährden oder einzelne Patienten identifizierbar machen könnten. Das sei an und für sich ein legitimes Anliegen, im Richtlinien-Entwurf aber so vage formuliert, dass der Umfang der Schwärzung schwer abzusehen sei, kritisiert das IQWiG.
Zudem ist offensichtlich vorgesehen, dass Forschende ein Papier unterschreiben müssen, das unter Androhung strafrechtlicher Konsequenzen bestimmte Bedingungen für die Verwendung der Daten festlegt. Über diesen Richtungswechsel hat sich die europäische Ombudsfrau in einem Brief an die EMA besorgt gezeigt.
Die EMA hingegen schreibt, es könne keine Rede von einem Richtungswechsel sein. Es gehe im Gegenteil darum, einen möglichst einfachen Mechanismus zu finden, um systematisch alle Schlüsseldokumente der Zulassung von Medikamenten für alle einsehbar zu machen. Der Zugang ausschliesslich am Bildschirm und das zu unterzeichnende Papier seien ein vernünftiger Kompromiss zwischen Firmen- und Forscheranliegen.
Auch für die Schweiz wichtig
Wie das Regelwerk nun tatsächlich aussehen wird, soll demnächst auskommen. Weil die Schweizer Gesundheitsbehörden oft die Entscheidungen aus Brüssel abwarten, sind die Richtlinien der EMA auch für die Schweiz von grosser Wichtigkeit.