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Resistente Keime So kämpfen Schweizer Forschende gegen Antibiotika-Resistenzen

Wenn Bakterien gegen Antibiotika Resistenzen bilden, kann es dramatisch werden. Schweizer Forschende wollen mit Designer-Viren dagegen ankämpfen.

Wenn Antibiotika ihre Wirkung verlieren, können auch harmlose Infekte wieder lebensbedrohlich werden. Schon ein Schnitt am Finger könnte tödlich enden. Denn Resistenzen werden zunehmend zum Problem.

Was eine Gruppe von internationalen Expertinnen und Experten im Fachmagazin  «The Lancet»  im Januar veröffentlichte, lässt aufhorchen: Mit Daten aus verschiedenen Quellen wie Fachliteratur, Krankenhaus-Datenbanken oder Überwachungssystemen errechnete die Forschergruppe, dass im Jahr 2019 weltweit 4.95 Millionen Todesfälle mit resistenten Keimen in Verbindung gebracht werden können.

Über 1.2 Millionen Menschen sind unmittelbar an einer Infektion mit resistenten Bakterien verstorben – mehr als an HIV/Aids (864'000 Todesfälle) und Malaria (643'000).

Atemwegsinfektionen besonders häufig

Laut den Forscherinnen und Forschern kam es besonders häufig bei Infektionen der Atemwege – beispielsweise einer Lungenentzündung – zu Problemen mit resistenten Keimen. Allein dadurch seien 400’000 Menschen verstorben.

Aber auch Blutvergiftungen oder Blinddarmentzündungen waren aufgrund der resistenten Bakterien mit Antibiotika häufig nicht mehr behandelbar. 

Ein Blick in die Vergangenheit

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Was wir heute oft vergessen: Lange Zeit waren Bakterien die grössten Feinde des Menschen. Bevor Antibiotika auf den Markt kamen, waren Infektionen die häufigste Todesursache.

So führte etwa eine Lungenentzündung häufig zum Tod - und eine Schnittverletzung am Finger nicht selten zu einer lebensbedrohlichen Blutvergiftung.

Das Bakterium mit dem Namen «Yersinia Pestis» etwa entfachte Mitte des 14. Jahrhunderts eine der verheerendsten Epidemien der Menschheitsgeschichte. Innerhalb weniger Jahre starb rund ein Drittel der europäischen Bevölkerung an der Pest. 

1928 revolutionierte dann die Entdeckung des Antibiotikums «Penicillin» durch Alexander Fleming die Medizin. Bakterielle Infekte verloren ihren Schrecken, und erst diese neue Waffe gegen Infektionen ermöglichte die moderne Medizin, wie wir sie kennen.

Moderne Medizin in Gefahr

Infektiologe Andreas Widmer kämpft seit Jahren als Spitalhygieniker und als Präsident des Vereins  Swissnoso gegen die Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen. Er warnt vor den Gefahren, die von Bakterien ausgehen: «Die Hälfte der Patienten im Spital erhalten Antibiotika, denn viele der heutigen Therapien sind ohne diese Medikamente nicht durchführbar.»

Die Resistenzmechanismen 

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Bakterien vermehren sich durch Zellteilung. Dabei entstehen mitunter Mutationen. Diese zufälligen Veränderungen im Erbgut können zur Resistenzbildung führen.

  • Es kann passieren, dass ein mutiertes Bakterium durch die Veränderung in seinem Erbgut neu Enzyme bildet, die den Antibiotikawirkstoff aufspalten und somit wirkungslos machen.
  • Durch die Mutation können sich die Eiweisse des Bakteriums auch verändern, die vom Antibiotikum angepeilt werden.
  • Auch möglich: Das mutierte Bakterium bildet neue Öffnungen, über die es das Medikament wieder ausstossen kann.
  • Oder es verändert seine Zellhülle. Das führt dazu, dass das Antibiotikum erst gar nicht eindringen kann.

Ohne Antibiotika verschwinden die vereinzelten zufällig mutierten Bakterien meist wieder. Mit Antibiotika kann sich das ändern. Das Antibiotikum tötet zwar die normalen Bakterien, doch das mutierte Bakterium kann sich gegen das Medikament schützen und überlebt.

Da die normalen Bakterien durch das Antibiotikum abgetötet wurden, hat das mutierte Bakterium nun Platz, sich ungehindert zu vermehren. Durch den Einsatz eines Antibiotikums ist eine resistente Bakterienfamilie entstanden.

Bakterien können solche Resistenzen nicht nur vertikal an ihre Nachkommen weitergeben, sondern die Resistenzen auch horizontal über die Bakterienfamilie hinaus verbreiten.

Denn Bakterien bilden eine Art kleine Genschnipsel, sogenannte Plasmide, die sie ausscheiden. Diese werden dann von anderen Bakterien aufgenommen und in ihr Erbgut eingebaut. Wenn ein solches Plasmid Träger der Erbinformation für eine Resistenz ist, kann diese Resistenz von einer Bakterienart auf eine andere übergehen. 

So ist ein Kaiserschnitt nur dank der Gabe von Antibiotika möglich, um die Mutter vor nachgeburtlichen Infektionen zu schützen. Ebenso sind Gelenkersatz-Operationen oder Organtransplantationen ohne Antibiotika nicht durchführbar. Auch Krebspatienten können während der Chemotherapie nur dank Antibiotika vor lebensgefährlichen Infekten geschützt werden.

Diese Errungenschaften der modernen Medizin sind jedoch in Gefahr. Besonders der verbreitete und unkritische Einsatz von Antibiotika weltweit führt dazu, dass diese Waffe immer weniger Wirkung erzielt. 

Unheimliche Geschwindigkeit

Wie schnell Bakterien Resistenzen bilden, zeigt ein E xperiment der Harvard Medical School aus dem Jahr 2016: Die Forschenden teilten ein 1.2 Meter grosses Feld in mehrere Zonen auf. Links und rechts aussen lag jeweils eine bakterienfreundliche Zone. Mit jedem Feld gegen innen war der Nährboden mit einem Antibiotikum in aufsteigender Dosis versetzt – mit der einfachen Dosis aussen bis zur 1000-fachen Dosis in der Mitte.

Als die Harvard-Forschenden Escherichia Coli-Bakterien auf das Feld gaben, besiedelten die Keime zuerst nur die äussersten Felder. Das Antibiotikum zeigte seine Wirkung.

Dann entstand die erste erfolgreiche Mutation. Die Bakterien breiteten sich weiter aus. Bei jedem neuen Streifen kam das Wachstum zu einem kurzen Stopp. Es dauerte nicht lange, bis sich weitere Mutationen bildeten, mit denen die Bakterien nach elf Tagen selbst die tausendfache Konzentration des Antibiotikums überlebten.

Mit Viren Bakterien bekämpfen 

Neuro-Urologe Thomas M. Kessler kennt die Resistenzproblematik aus seinem klinischen Alltag an der Universitätsklinik Balgrist: «Fast in jeder Sprechstunde habe ich Patientinnen und Patienten, die unter wiederkehrenden Harnwegsinfekten, teilweise mit resistenten Keimen, leiden.»

Da er bei der Behandlung solcher Infekte mit Antibiotika an Grenzen stösst, sucht er nach neuen Therapieoptionen. Dabei richtet er sein Interesse auf die natürlichen Feinde der Bakterien: Bakteriophagen. Viren also, die sich in Bakterien vermehren und dabei ihren Wirt zerstören.

Sie kommen überall in der Natur vor. Entsprechend viele verschiedene Arten von Phagen gibt es, von denen aber jede nur eine bestimmte Bakterienart angreift. Diesen Wirkmechanismus macht sich die Phagen-Therapie zunutze, indem die Viren gezielt gegen die krankmachenden Bakterien eingesetzt werden. «Sie passen wie ein Schlüssel nur in das eine passende Schlüsselloch», erklärt Thomas M. Kessler.

Wegen Antibiotika nicht weiterverfolgt

Dieser Therapieansatz wurde bereits 1917 vom Französisch-Kanadier Félix d’Herelle in Paris entdeckt. In den folgenden Jahren wurden Phagen mit unterschiedlichen Erfolgen gegen Typhus, Cholera, Ruhr, eitrige Infekte und Harnwegsinfektionen eingesetzt.

Durch die Entdeckung von Antibiotika Ende der 1930er-Jahren geriet die Phagen-Therapie jedoch wieder in Vergessenheit. Denn mit den Antibiotika hatten die Medizinerinnen und Mediziner nun ein einfach herzustellendes und äusserst wirksames Medikament gegen die meisten Infektionskrankheiten zur Hand.  

Von Tiflis in die Schweiz 

Einzig im früheren Ostblock, wo der Zugang zu Antibiotika schwieriger war, wurde der Therapieansatz in den letzten 60 Jahren weiterhin erforscht und betrieben. Noch heute bietet beispielsweise das  Eliava-Institut  in Georgien Phagen-Therapien, unter anderem gegen chronische Harnwegsinfektionen oder chronisch entzündete Wunden, an.

Thomas Kessler verfolgt die Arbeit in Georgien schon seit Längerem mit grossem Interesse. Er war selbst bereits in Tiflis und hat dort eine  Studie  zu Harnwegsinfekten durchgeführt. Dabei hat er die Wirkung von Bakteriophagen mit Antibiotika und einem Scheinmedikament verglichen. «Die Bakteriophagen wirkten zwar gegen Blaseninfekte nicht besser, aber auch nicht schlechter als Antibiotika», fasst der Urologe seine Studienresultate zusammen.

Wir müssen jetzt Behandlungsmethoden entwickeln – für den Fall, dass die Antibiotika irgendwann nicht mehr wirken.
Autor: Martin Loessner Mikrobiologe

Einmalig setzte er solche Phagen auch hier in der Schweiz in einem experimentellen Versuch ein, bei einer Patientin mit einem Blaseninfekt mit resistenten Keimen. 

Die Therapie schlug zuerst gut an. Doch nach fünf Tagen kam der Infekt zurück. «Wir glauben, dass die Bakteriophagen nicht alle in der Blase vorhandenen Bakterien abgetötet haben und dass deshalb die Infektion wieder aufflammte», bedauert Thomas M. Kessler.

Designer-Phagen als Alternative 

Deshalb haben die Zürcher Hochschulen und universitären Spitäler in dem Forschungsprojekt « ImmunoPhage » ihre Kräfte gebündelt, um die Phagen-Therapie zu revolutionieren. Im Labor sollen massgeschneiderte Bakteriophagen zur Behandlung von Harnwegsinfekten entstehen.

«Wir wollen die Bakteriophagen genetisch so verändern, dass sie die Problemkeime sehr effektiv angreifen und abtöten können», erklärt Martin Loessner, der als Mikrobiologe an der ETH für die Phagen und ihr Engineering zuständig ist.

Durch weitere Informationen sollen sogar auch andere Bakterien, die in diesen Infektionen häufig vorkommen, zusätzlich eliminiert und neutralisiert werden können.

Erste Versuche am Menschen

Zusätzlich soll über die genetisch veränderten Phagen auch die körpereigene Immunabwehr stimuliert werden. Derzeit läuft die Entwicklung der Phagen im Labor.

Ende 2022 sollen dann die ersten Tests am Menschen starten. «Wir müssen bereits jetzt die neuen Behandlungsmethoden entwickeln, um bereit zu sein, wenn diese Krankheiten mit Antibiotika nicht mehr geheilt werden können», sagt Martin Loessner mit dem Blick in die Zukunft gerichtet.

Noch gibt es viele Hürden auf dem Weg zu dieser neuen Therapie. «Doch falls die designten Phagen die erwünschte Wirkung erzielen, wäre das eine Revolution in der Behandlung von Infekten», ist Thomas M. Kessler überzeugt.

Denn im Labor derartig verändert Phagen haben das Potenzial, bei unterschiedlichsten Infekten zum Einsatz zu kommen. Mit ersten aussagekräftigen Resultaten rechnen die Forschenden in rund fünf Jahren.

Puls, 31.01.2022, 21:05 Uhr

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