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Schädlich oder nicht? Plastik: Um uns herum und in uns drin

Wer den Plastikverbrauch im Alltag reduziert, tut der Umwelt Gutes – und hat nachweislich weniger Kunststoffe im Blut. Auch wenn sich die Wissenschaft nicht einig ist, wo die Grenze liegt: «Je weniger, desto besser» unterschreiben alle.

«Wow! Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Ich hatte ein wenig Angst, dass das Resultat nicht so gut ist, weil ich halt immer noch ein wenig Plastik brauche. Aber es ist wirklich erstaunlich viel weniger!»

Was Patrizia Birri dermassen begeistert, ist das Ergebnis von vier Monaten bewusstem Verzicht auf Plastik im Alltag. Speziell auf Verpackungen, die Weichmacher wie Phtalate in Lebensmittel abgeben können.

Auslöser: das Badener Plastikexperiment.

«Schluss mit dem Plastik-Wahnsinn» war Anfang 2020 das Motto in der Plastikzentrale mitten in der Badener Altstadt. Mit Installationen, Aktionen und Veranstaltungen wurde auf die immense Umweltbelastung durch Plastik aufmerksam gemacht – und mit einem Bluttest auf die Gefahren für unsere Gesundheit.

Für das medizinische Experiment verantwortlich: der Badener Hausarzt Christoph Broens. Er befürchtete, im Blut der Probanden zu viel Plastik in Form von Weichmachern zu finden. «Es gibt so 6000 Weichmacher, die müssen nicht deklariert werden. Und man weiss eigentlich auch sehr wenig über deren Wirkung, vor allem nicht in der Kombination.»

Oder wie es ein Teilnehmer formulierte: «Das ist alles so neu... Man hat doch keine Ahnung, was da für eine Bombe tickt!»

Rund 230 Personen liessen sich zu Analysezwecken Blut abzapfen. Untersucht wurde es in einem deutschen Labor auf sieben bekannte Weichmacher, darunter auch der bekannte Stoff Bisphenol A.

Das Ergebnis der ersten Messung bei Patrizia Birri: Drei der sieben Werte lagen über dem im Experiment definierten Grenzwert. Ein Schock. «Ich war überzeugt, dass ich schon vorher sehr achtsam mit Plastik umgegangen bin und frage mich wirklich, woher diese Werte stammen.»

Nehmen wir Weichmacher über die Nahrung in unseren Körper auf, könnten diese unser Hormonsystem negativ beeinflussen – so der Verdacht. Zumindest deuten grosse Studien an, dass solche Stoffe beispielsweise Fettleibigkeit, eine schlechtere Spermienqualität oder Brustkrebs verursachen könnten.

Allerdings ist der direkte Zusammenhang wissenschaftlich umstritten und auch nur schwer zu beweisen.

Wie sich ein möglichst konsequenter Plastikverzicht auf die Blutwerte auswirkt, hätte eine zweite Messung einen Monat später zeigen sollen. Hätte. Denn das Coronavirus machte auch dem Plastikexperiment vorerst einen dicken Strich durch die Rechnung.

Zur zweiten Messung kam es so erst drei Monate später als geplant. Etwas mehr als die Hälfte der Probanden fand sich wieder ein, um das Ausmass der Veränderung seit der ersten Blutentnahme abklären zu lassen. Patrizia Birris Hoffnung: «Die Werte über 100 Prozent sind hoffentlich gesunken und der Rest auch runtergegangen.»

Einige Wochen später dann die Gewissheit: Ja, die Werte sind deutlich tiefer. Laut dem Deutschen Labor bei praktisch allen Teilnehmenden.

Hausarzt Christoph Broens zieht für das von ihm mitinitiierte Experiment eine entsprechend positive Bilanz – sagt aber auch, dass die Messungen sehr vorsichtig interpretiert werden müssen: «Wie die Zusammenhänge genau sind, bedarf weiterer Untersuchungen. Da sind viel mehr Menschen nötig, um das zu bestimmen.» Das könne aber auch gar nicht der Sinn des Plastikexperiments sein.

«Es geht darum zu zeigen, dass man dem nicht einfach ausgeliefert ist. Durch ein verändertes Verhalten, durch Eigenverantwortung kann man etwas erreichen.

Mit dieser Aussage kann auch Humantoxikologe Martin Wilks leben. Sein Forschungsalltag: die Gefährlichkeit solcher Substanzen für den Menschen.

Vom SRF-Gesundheitsmagazin «Puls» um eine Einordnung des Plastikexperiments gebeten, warnt auch er davor, zu viel in die Blutwerte hineinzuinterpretieren. Denn das Experiment sei nicht vergleichbar mit etablierten und wissenschaftlichen Methoden. Zudem wecke es das Gefühl einer generellen Bedrohungssituation, die so nicht gegeben sei.

«Die gemessene Reduktion heisst ja nicht, dass ich vorher gefährdet war und es nun nicht mehr bin. Sie belegt nur, dass ich mein Verhalten geändert habe.» Diese Verhaltensänderung erziele natürlich einen Effekt – das bedeute aber nicht, dass das Gefährdungspotenzial vorher hoch war.

Patrizia Birri ist die Frage nach gefühlter und tatsächlicher Gefährdung einerlei. Auf die Weichmacher im Blut kann sie gut verzichten, und während des Experiments hat sie auch zu einem neuen Einkaufsalltag gefunden: Sie ist zur regelmässigen Kundin eines «Unverpackt-Ladens» geworden.

Plastik nur noch, wo es sich nicht vermeiden lässt. Dabei soll es auch künftig bleiben.

«Gefährlich oder nicht? Beim Menschen ist die Sachlage unklar.»

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Daniela Lager im Studiogespräch mit Humantoxikologe Lothar Aicher vom Schweizerischen Zentrum für Angewandte Humantoxikologie der Universität Basel.

SRF: Auch wenn das Badener Experiment nicht streng wissenschaftlich aufgebaut ist: Der Zuspruch zeigt, dass vielen Leuten nicht wohl ist bei dem ganzen Plastik, das wir brauchen, und dass es tatsächlich auch Spuren davon in unserem Körper gibt. Stand heute: Sind so Stoffe wie etwa Weichmacher wirklich gesundheitlich unbedenklich?

Lothar Aicher: Wir wissen ja schon relativ lange, dass in Tierexperimenten Schädigungen nachgewiesen wurden, vor allem Entwicklungsstörungen. Beim Menschen ist die Sachlage noch unklar. Aber allein die Tatsache, dass diese Substanzen als besorgniserregend klassifiziert wurden, zeigt, dass die Tierversuche genug Anlass geben, das weiterzuverfolgen.

Ungefährlich ist das also nicht. Gibt es denn Grenzwerte, die häufig überschritten werden?

Wie gesagt: Die Schäden wurden im Tierversuch nachgewiesen. Ob für den Menschen eine Gefährdung vorliegt, hängt davon ab, ob man mehr exponiert ist, als gemäss gültigen Grenzwerten zulässig ist. Und da sagt die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde, dass wir auf der sicheren Seite sind.

In den allermeisten Fällen sind wir also unter den Grenzwerten?

In den allermeisten Fällen sind wir deutlich unter den Grenzwerten.

Aber diese Grenzwerte sind in der Vergangenheit wiederholt gesenkt worden. Bisphenol A hat man zum Beispiel früher als unbedenklicher eingeschätzt als heute. Das gibt doch zu denken?

Das kann ich gut verstehen. Ich als Wissenschaftler beurteile das eher positiv, weil es zeigt, dass sich die Wissenschaft weiterbewegt und solche Grenzwerte nicht in Stein gemeisselt sind. Stattdessen werden sie in regelmässigen Abständen überdacht. Und wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse auftauchen ergreifen die Regulatoren auch die Initiative und senken Grenzwerte. Oder – was auch schon vorkam – man verbietet Produkte oder verfügt Nutzungseinschränkungen.

Wie zum Beispiel beim Blei.

Genau. Das ist ein gutes Beispiel. Vor Jahren war da nicht klar, dass das relativ schädlich für die Entwicklung ist.

Das klingt ziemlich nach Forschung am lebenden Objekt.

Als Wissenschaftler sehe ich das etwas anders. Unsere Lebenserwartung ist heute so hoch wie nie. Und trotzdem besteht in der Öffentlichkeit teilweise die Meinung, dass wir immer mehr Gefahren ausgesetzt sind und die Situation eigentlich immer schlimmer wird, statt besser zu werden. Da sehen wir uns einem Dilemma gegenüber: Wir sollen immer mehr Sicherheitsdaten liefern zu immer mehr bestehenden und neuen Produkten. Wir sollen immer mehr Gesundheitsaspekte abdecken – aber das bitte ohne Tierversuche. Die Wissenschaft versucht den Spagat zu meistern, indem wir zum Beispiel neue Tests erfinden, die auf Zellbasis funktionieren oder computergestützte Systeme nehmen, um solche Risiken vorherzusagen.

Wartet man denn nicht mit der Zulassung solcher Stoffe, beispielsweise in Verpackungen von Lebensmitteln, bis diese Tests gemacht sind?

Die sind tatsächlich getestet worden. So ist es nicht. Die Substanzen, die im Umlauf sind, wurden getestet und haben eine Registrierung. Auch da hat man in der Vergangenheit dazugelernt. Phtalate zum Beispiel konnte man oft ohne weiteres benutzen, und dann wurde eine Registrierungspflicht eingeführt. Dann musste man auch begründen, ob der Nutzen dieser Stoffe das mögliche Risiko für den Menschen übersteigt. So macht man stets eine Risiko-Nutzen-Abwägung.

Wie gehen Sie denn einkaufen? Füllen Sie den Wagen bedenkenlos mit allerlei verpackten Lebensmitteln?

Wenn ich Verpackungen vermeiden kann, versuche ich das zu tun. Oft geht das gar nicht, aber gerade bei frischem Obst und Gemüse verzichte ich auf die Verpackung.

Aus gesundheitlichen Überlegungen?

Nicht aus gesundheitlichen Überlegungen, jedenfalls nicht vorrangig. Sondern einfach, weil ich Müll vermeiden möchte.

Puls, 28.09.2020, 21:05 Uhr

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