Schweizer Bericht enthüllt - Diese Gruppen werden gesundheitlich benachteiligt
Von Armut betroffen zu sein, eine tiefe Bildung zu haben, trans oder homosexuell zu sein – Menschen dieser Bevölkerungsgruppen sind gesundheitlich stark benachteiligt. Doch auch andere Gruppen erleben gesundheitliche Nachteile. Das zeigt der neue Bericht von Obsan im Auftrag des BAG.
Bild 1 von 3.
Alma.
Alma arbeitet im Verkauf eines Modehaues. Sie lebt in finanziell schwierigen Verhältnissen.
Bildquelle: SRF.
1 / 3
Legende:
Alma
Alma arbeitet im Verkauf eines Modehaues. Sie lebt in finanziell schwierigen Verhältnissen.
SRF
Bild 2 von 3.
Tobias.
Tobias ist bei der Versicherung im mittleren Kader tätig. Er hat keine finanziellen Sorgen.
Bildquelle: SRF.
2 / 3
Legende:
Tobias
Tobias ist bei der Versicherung im mittleren Kader tätig. Er hat keine finanziellen Sorgen.
SRF
Bild 3 von 3.
Kim.
Kim arbeitet als Lehrperson und ist nicht-binär. Das heisst, Kims Geschlechtsidentität ist nicht-binär, doch bei der Geburt wurde Kim einem der zwei Geschlechter zugewiesen.
Bildquelle: SRF.
3 / 3
Legende:
Kim
Kim arbeitet als Lehrperson und ist nicht-binär. Das heisst, Kims Geschlechtsidentität ist nicht-binär, doch bei der Geburt wurde Kim einem der zwei Geschlechter zugewiesen.
SRF
Gesundheitliche Ungleichheit in der Schweiz ist klar erkennbar. Zahlreiche Bevölkerungsgruppen werden darin benachteiligt, ihre Gesundheit zu fördern, zu erhalten oder wiederherzustellen. Will heissen, Alma und Kim haben schlechtere Chancen, die gleich gute Behandlung zu erhalten wie Tobias.
Arm oder reich
Alma hat als Detailhandelsfachfrau weniger Geld als der bei einer Versicherung tätige Tobias. Das wirkt sich auf ihre Gesundheit aus. Dazu schreibt Laila Burla, die Autorin des Berichts: «Menschen in finanziell schwierigen Verhältnissen oder mit tieferer Bildung schneiden bei allen Gesundheitsindikatoren schlechter ab, haben eine höhere Krankheitslast sowie einen geringeren Zugang zu medizinischer Versorgung.»
Das ist eindrücklich. Wurden doch 30 Gesundheitsindikatoren unter anderem zu Diabetes, Zahngesundheit oder Krebs angeschaut.
Mehr zur Methodik
Box aufklappenBox zuklappen
In diesem Bericht wurden 30 Gesundheitsindikatoren angeschaut, also 30 Merkmale rund um Gesundheit. Dabei geht es darum, wie gesund die Umfrageteilnehmenden sind (Gesundheitszustand), was sie Essen, ob sie Sport treiben, rauchen oder Alkohol konsumieren (gesundheitsrelevantes Verhalten), ob sie soziale Unterstützung haben und wie emotional erschöpft ober belastet sie sind (Ressourcen und Belastung), wie gut ihr Zugang zu Praxen und Spitäler ist und wie häufig sie diese nutzen (Inanspruchnahme und Versorgung).
Die Indikatoren zum Gesundheitszustand handeln davon, wie sie selbst ihre Gesundheit und ihre Lebensqualität einschätzen, ob sie langanhaltende Gesundheitsprobleme und Einschränkungen haben und was ihre Antworten sind zu Depressionssymptomen, Mund- und Zahngesundheit, Diabetes, Übergewicht, Bluthochdruck und hoher Cholesterinspiegel, Herzinfarkt und Hirnschlag und Krebserkrankungen. Zudem wurden Daten zur Sterberate innerhalb einer Bevölkerungsgruppe berücksichtigt.
Die Menschen dieser Umfragen wurden in verschiedene Bevölkerungsgruppen eingeteilt und verglichen. Und zwar nach Geschlecht, Bildung, Einkommen, finanzielle Situation, materielle und soziale Deprivation, Familienwohlstand, Nationalität, Migrationshintergrund, Geschlechtsmodalität, sexuelle Orientierung, Haushaltstyp, Erwerbsstatus, Sprachkenntnisse, Aufenthaltsstatus und Versicherungsklasse. So konnte herausgefunden werden, welche Bevölkerungsgruppen eine schlechtere Gesundheit oder einen schlechteren Zugang zu medizinischen Einrichtungen hatten als andere.
Ein Beispiel dazu: Armutsbetroffene Menschen und Menschen mit tieferer Bildung sind viermal häufiger von Depressionen betroffen.
Trans oder lesbisch
Bei Kim ist nicht fehlendes Geld der Grund für die Ungleichbehandlung, sondern die Geschlechtsidentität. Kim ist nicht-binär, Alma und Tobias sind cis. Cis bedeutet, dass die Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht übereinstimmt.
Trans und nicht-binäre Personen haben eine deutlich geringere psychische Gesundheit als cis Personen. Das Gleiche gilt für schwule, lesbische und bisexuelle Personen gegenüber heterosexuellen Personen. Und ist bei Jugendlichen noch stärker sichtbar.
Weitere Merkmale
Auch weitere Bevölkerungsgruppen erleben Nachteile hinsichtlich Gesundheit. So zum Beispiel geflüchtete Personen, Alleinlebende, weibliche Jugendliche oder arbeitslose Personen.
Weitere benachteiligte Bevölkerungsgruppen
Box aufklappenBox zuklappen
Weibliche Jugendliche zwischen 11 und 15 Jahren berichten von einer deutlich tieferen Lebenszufriedenheit als gleichaltrige männliche Jugendliche.
Menschen der Bevölkerungsgruppe Arbeitslose und Nichterwerbspersonen sind rund doppelt so häufig von Depressionen betroffen wie Erwerbstätige.
Die Gruppe von allein lebenden Menschen hat ein höheres Risiko für vermeidbare Mortalität. Diese erhöhte Sterberate nimmt mit dem Alter ab.
Asylsuchende und vorläufig aufgenommene geflüchtete Menschen haben ein massiv erhöhtes Risiko für ungeplante Wiedereintritte ins Spital. Im Gegensatz dazu haben privat und halbprivat versicherte Personen dafür nur ein geringes Risiko.
Das sind einige ausgewählte Beispiele – die Liste ist nicht abschliessend. Offen bleibt zudem in diesem Bericht, ob weitere Gruppen benachteiligt sind, da viele wegen fehlenden Daten nicht untersucht werden konnten.
Das Fazit des Berichts
«Der Bericht zeigt deutlich, dass bestimmte Gruppen, insbesondere Menschen mit niedrigerem sozioökonomischem Status, über nahezu alle Gesundheitsindikatoren hinweg schlechter abschneiden», so die Soziologin Laila Burla.
Mehr zu Geschlecht, Behinderung und Race
Box aufklappenBox zuklappen
In der Studie wurden die verschiedenen gesundheitlichen Indikatoren auch nach Geschlecht analysiert. Frauen sind häufiger von chronischen Beschwerden und psychischen Belastungen betroffen, Männer hingegen häufiger von körperlichen Erkrankungen, höherem Mortalitätsrisiko und ungünstigerem Gesundheitsverhalten. Geschlecht wurde in den Analysen dieses Berichts, wenn möglich, anhand der Geschlechtsidentität definiert.
Einige sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen konnten mit den hier verwendeten Daten nicht oder nur unzureichend abgebildet werden. Dazu gehören Menschen mit Behinderung, Sans-Papiers oder Personen of Color.
Der Grund der unzureichenden Abbildung liegt unter anderem daran, dass ein Teil der Daten durch Befragungen erhoben wurde. Bei solchen Befragungen fehlen oft Gruppen, die schwieriger zu erreichen sind. Dazu zählen zum Beispiel Menschen ohne festen Wohnsitz, Sans-Papiers oder Menschen mit kognitiven Einschränkungen.
Sie führt aus: «Es ist wichtig zu betonen, dass Gesundheit nicht allein von der individuellen Verantwortung abhängt, sondern vor allem von den Lebensbedingungen, die in unserer Gesellschaft ungleich verteilt sind.» Die Unterschiede zwischen den Gruppen scheinen gegenüber früheren Jahren grösser zu werden.
Was können wir tun?
Dazu Burla: «Soziale Ungleichheit verringern und den Zugang zur Gesundheitsversorgung verbessern.» Damit wir aber die vulnerabelsten Gruppen identifizieren könnten, brauche es mehr Daten.
Limitationen dieses Berichts
Box aufklappenBox zuklappen
Es gibt zwei wichtige Limitationen. Zum einen erlauben diese Ergebnisse keine Aussagen über Kausalität, also darüber, was die Ursache und was die Folge ist. In den Worten von Burla: «Ist es ‹Armut macht krank› oder ‹Krankheit macht arm›?»
Die andere Limitation sind sich überlappende Merkmale. Im Bericht konnten aufgrund der Datenlage nur einzelne Merkmale angeschaut werden.
Doch häufig führen Kombinationen verschiedener Merkmale zu einer grösseren Benachteiligung als nur die Summe der einzelnen Merkmale. Ein Beispiel für diese Intersektionalität erklärt Burla: «Die Ergebnisse zum chronisch risikoreichen Alkoholkonsum zeigen keine Unterschiede nach Bildung. Schlüsselt man aber noch zusätzlich nach Geschlecht auf, so sieht man, dass bei Frauen es durchaus einen Bildungseffekt gibt: Frauen mit Tertiärabschluss haben rund doppelt so häufig einen chronisch risikoreichen Alkoholkonsum wie Frauen ohne nachobligatorische Ausbildung. Bei den Männern zeigt sich dieser Unterschied nicht.» Das heisst, die Überschneidung von sehr guter Bildung und weiblichem Geschlecht zeigt einen Zusammenhang mit risikoreichem Alkoholkonsum.
Die Autorin des Berichts betont: «Ein intersektionaler Ansatz könnte die vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen und damit bestimmte Zielgruppen für Massnahmen identifizieren.» Doch dafür braucht es weitere Studien und grössere Datensätze.
Doch einfach alle gleichzubehandeln wäre nicht die Lösung. Eine gesundheitliche Chancengleichheit bedeutet anzuerkennen, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Unterstützung benötigen.
Legende:
Gesundheitliche Chancengleichheit
Im Bericht wird betont: Menschen brauchen unterschiedliche Unterstützung, um ihre Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen. Also nicht allen das Gleiche (Equality) – hier dargestellt als den gleich hohen Schemel, sondern Chancengleichheit (Equity) – im Bild das Erreichen derselben Höhe.
oatmealhealth, 2025
Damit alle inklusive Alma, Tobias und Kim unabhängig von ihren Finanzen, ihrer Ausbildung oder ihrer Geschlechtsidentität den gleich guten Zugang zu gesundheitlichen Leistungen erhalten.