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Silberstreifen in Spritzenform Rheumatoide Arthritis ausbremsen, bevor sie ausbricht

Hoffnung für Risikopatienten – eine Spritze könnte den Ausbruch von rheumatoider Arthritis verhindern.

Der Schmerz kommt häufig nachts. Er zieht an Knochen, Muskeln oder Sehnen. Am Morgen folgt die Steifigkeit. Die Gelenke sind entzündet und verformen sich über die Zeit, weil das Immunsystem den eigenen Körper angreift.

Die Symptome der rheumatoiden Arthritis

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Die rheumatoide Arthritis (RA) ist eine chronische-entzündliche Erkrankung. Sie bricht oft zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr aus. Aber auch Kinder- und Jugendliche können an RA erkranken. RA befällt die Gelenke und manchmal auch Organe. Ohne Behandlung führt die Erkrankung zur Zerstörung der Gelenke.

Die Symptome zu Beginn sind unspezifisch. Patientinnen und Patienten berichten über Müdigkeit, leicht erhöhte Temperatur, Nachtschweiss oder diffuse Muskelschmerzen.

Die typischen Symptome im weiteren Verlauf sind unter anderen: Schmerzen und Entzündungen symmetrisch an den kleinen Gelenken der Hände und Füsse, Morgensteifigkeit, Karpaltunnelsyndrom, Zysten im Bereich der Kniekehle, Abweichung des Handgelenks oder der Fingergrundgelenke Richtung Elle.

Herz, Lunge, Leber, Nieren, Augen und Gefässe können ebenfalls vielfältig betroffen sein.

Je früher die Krankheit behandelt wird, desto milder ihr Verlauf. Da liegt die Idee nahe, Menschen zu therapieren, bevor die Krankheit ausgebrochen ist. Genau das haben sich Rheumatologinnen und Rheumatologen am King’s College London vorgenommen. Sie starteten eine Studie mit Abatacept – einem Wirkstoff, der heute gegen rheumatoide Arthritis gespritzt wird und das Immunsystem zügelt.

Vielversprechende Resultate mit Einschränkungen

Die Versuchspersonen trugen ein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Sie hatten bereits Antikörper im Blut, entzündete Gelenke und Schmerzen, aber noch keine voll ausgebildete rheumatoide Arthritis mit Schwellungen oder Verformungen der Gelenke. Hundert Personen erhielten den Wirkstoff und weitere hundert ein Placebo.

Biologika – potente Medikamente gegen schwere Immunkrankheiten

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In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich die medikamentöse Therapie von Autoimmunkrankheiten wie der rheumatoiden Arthritis stark verbessert. Die Krankheiten werden nicht geheilt, aber deren Zerstörungskraft wird reduziert. Heute sitzen Patienten mit rheumatoider Arthritis kaum noch im Rollstuhl und stark verformte Gelenke sind nur noch bei jener kleinen Patientengruppe zu sehen, die nicht auf die Medikamente anspricht.

Die Medikamente der neuen Generation gehören zu den so genannten Biologika. Das sind nicht etwa natürliche Wirkstoffe, wie die Bezeichnung vermuten lässt. Biologika werden in einem komplizierten gentechnischen Verfahren aus menschlichen oder tierischen Zellen hergestellt und sind entsprechend teuer.

Abatacept (Handelsname Orencia) beispielsweise ist ein Fusionsprotein – zusammengesetzt aus einem Antikörperfragment des menschlichen Immunglobulins AgG1 und einem Teil des menschlichen Oberflächenproteins CTLA-4, das auf T-Zellen an der Immunregulation beteiligt ist. Abatacept wirkt wie ein Antikörper, indem es überschiessende Immunreaktionen und damit einhergehende Entzündungen unterdrückt.

Biologika müssen gespritzt werden, denn als Eiweisse würden sie bei oraler Einnahme im Magen und im Darm zerstört beziehungsweise verdaut.

Biologika sind zum Beispiel sehr erfolgreich bei der Behandlung von Morbus Crohn, Schuppenflechte und vor allem bei rheumatoider Arthritis. Sie haben aber auch Nebenwirkungen. Denn sie unterdrücken das Immunsystem, das den Körper vor Krankheitserregern, Schadstoffen und krankmachenden Zellveränderungen schützt. Eine gefürchtete Nebenwirkung sind schwere Infektionen. Die Patientinnen und Patienten lernen daher bei einer Erkältung etwa, die Medikamente zu pausieren. Da sich der immunsuprimierte Körper unter Umständen selbst von einem zunächst einfachen Infekt kaum noch erholt. In den Anfängen der Biologikatherapie gab es Bedenken, dass diese zu einem erhöhten Krebsrisiko führen könnten. Diese haben sich bisher nicht bestätigt.

Die Therapie zeigte Wirkung. Nach einem Jahr hatten nur wenige der Probandinnen und Probanden unter Abatacept eine rheumatoide Arthritis entwickelt, in der Placebogruppe jedoch jede vierte Person. «Das sind vielversprechende Resultate», sagt Raphael Micheroli-Konuk, Rheumatologe am Universitätsspital Zürich. Nach Absetzen des Medikaments allerdings verkleinerte sich der Unterschied zwischen Versuchsgruppe und Placebogruppe.

Wer konnte längerfristig profitieren

Dennoch war da auch ein Jahr nach der letzten Dosis noch ein Unterschied. Ein kleiner zwar, aber ein aussichtsreicher, so Diego Kyburz, Rheumatologe am Universitätsspital Basel. Bereits frühere Studien mit anderen Wirkstoffen hätten gezeigt, dass sich die Krankheit teilweise verzögern lasse: «In dieser neuen Studie aber besteht auch zwölf Monate nach der letzten Medikamentendosis noch ein Unterschied.» Ein Jahr nach der Therapie waren aus der Placebogruppe 37 Prozent der Versuchspersonen erkrankt. Bei jenen Menschen, die Abatacept erhalten hatten, waren es 25 Prozent.

Die Frühmedikation scheint bei jenen Menschen besonders gut zu wirken, die vor der Behandlung sehr hohe Autoantikörperwerte hatten.
Autor: Diego Kyburz Rheumatologe am Universitätsspital Basel

Manche Personen aus der Abatacept-Gruppe hatten offenbar nachhaltig von der Therapie profitiert. Warum gerade sie? Das sei jetzt die spannende Frage, sagt Diego Kyburz. Am amerikanischen Kongress für Rheumatologie kürzlich präsentierte Nachanalysen der Studie zeigten: «Die Frühmedikation scheint bei jenen Menschen besonders gut zu wirken, die vor der Behandlung sehr hohe Autoantikörperwerte hatten.»

Grosse therapeutische Fortschritte in den vergangenen Jahren

Heute gibt es mehr und bessere Medikamente als vor wenigen Jahren. Nur noch wenige Patientinnen und Patienten haben stark verformte Gelenke. «Wir müssen sehr selten Patientinnen und Patienten zu Chirurgen schicken», sagt Raphael Micheroli-Konuk.

Oft aber ist der Weg zum richtigen Medikament steinig. Bis der passende Wirkstoff gefunden ist, kann es lange dauern.

Der lange Weg zum richtigen Medikament

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Trotz neuer Behandlungsansätze lässt sich nicht vorhersagen, welche Arznei bei welchem Patienten am besten wirkt. Bis das passende Medikament gefunden ist, kann es schmerzhaft lange dauern.

Diego Kyburz (Universitätsspital Basel) und Rafael Micheroli (Universitätsspital Zürich) im Verbund mit anderen europäischen Teams an Analysemethoden, die es in Zukunft ermöglichen sollen, die heute üblich Versuch- und Irrtumsphase zu umgehen. Das Ziel ist es, Merkmale im Blut, in der Gelenkschleimhaut oder im Gewebe direkt am Gelenk zu identifizieren, die eine massgeschneiderte Therapie von Anfang an ermöglichen – Stichwort personalisierte Medizin.

Ursachen und Risikofaktoren

Die genauen Ursachen der rheumatoiden Arthritis sind nicht klar. Einige Risikofaktoren aber sind bekannt. Dazu gehören die Gene, Autoantikörper, Rauchen, Parodontitis, Viren und nicht zuletzt das Geschlecht. Frauen sind dreimal häufiger von rheumatoider Arthritis betroffen als Männer.

Frauen leiden häufiger an Autoimmunkrankheiten

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Einer von hundert Menschen in der Schweiz ist von rheumatoider Arthritis geplagt. Frauen erkranken generell häufiger an Autoimmunkrankheiten als Männer. Drei von vier Personen mit rheumatoider Arthritis sind weiblich. Warum Frauen öfter an Autoimmunerkrankungen leiden, ist eine ungeklärte Frage. Die Hormone spielen sicher eine grosse Rolle bei der Krankheitsentstehung und der -aktivität. Die Beschwerden nehmen bei Frauen zyklusabhängig zu oder ab. Zu Beginn des Zyklus sind die Autoantikörperwerte höher. Während der Schwangerschaft fährt das Immunsystem etwas runter, damit das Baby mit seinen «fremden» Zellen nicht angegriffen wird. Bei zwei von drei Frauen gehen die Symptome der rheumatoiden Arthritis häufig schon im ersten Schwangerschaftsdrittel zurück.

Schon länger wird vermutet, dass das unterschiedliche Erkrankungsrisiko auch mit der Anzahl der X-Chromosomen zusammenhängt. Frauen haben zwei X-Chromosomen. Männer nur eines und zusätzlich ein Y-Chromosom. Männer mit dem Klinefelter -Syndrom, die ein Y und zwei X-Chromosomen haben, tragen ebenfalls ein erhöhtes Risiko für Autoimmunerkrankungen.

Heilbar ist die Krankheit noch nicht, sie zu verhindern ein Traum. Immerhin, die aktuelle Studie zum sehr frühen Medikamenteneinsatz zeigt: Für eine kleine Risikogruppe könnte sich dieser erfüllen.

Wissenschaftsmagazin, 24.2.2024, 12:40 Uhr

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