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So beeinflusst «der Kopf» die sportliche Leistung

Welche Faktoren sind für besondere mentale Stärke entscheidend? Worauf kommt es beim Mentaltraining an? Und wie unterscheiden sich Männer und Frauen in diesem Bereich? «Puls» hat beim Sportpsychologen Hanspeter Gubelmann nachgefragt.

SRF: Was zeichnet Sporttreibende aus, die mental besonders stark sind?

Hanspeter Gubelmann: Aus meiner Sicht gibt es keinen Prototypen eines mental starken Athleten. Mentale Stärke muss immer in Verbindung mit dem psychologischen Anforderungsprofil der jeweiligen Sportart betrachtet werden: Ein Skispringer hat eine andere (mentale) Herausforderung zu bestehen als die Marathonläuferin. Sportartübergreifend dürften es aber insbesondere vier Hauptaspekte sein: Selbstvertrauen, Leistungsbereitschaft, Durchsetzungsvermögen und ein hohes Mass an Konzentrationsfähigkeit.

Ist mentale Stärke ein Stück weit angeboren oder zumindest ein früh erworbener Charakterzug?

Diese Frage wird häufig in Verbindung mit «Siegertypen» gestellt, also bei Athleten, die in hohem Masse über die oben beschriebenen mentalen Fähigkeiten verfügen. Grundsätzlich ist anzunehmen, dass der Ausprägung dieser Aspekte auch genetische Grundlagen zuzuordenen sind. Bedenkt man aber, dass eine Karriere im Spitzensport 20 Jahre und länger dauern kann, spielen meiner Meinung nach Sozialisierungsprozesse – eben auch das selbstbestimmte Erlernen, Entwickeln und Festigen spezifischer Fertigkeiten – eine wesentlich bedeutsamere Rolle.

Kann jeder und jede lernen, den «Kopf» im Sport besser zu nutzen?

Unbedingt! Wie im körperlichen Training gilt aber auch im Mentaltraining: Zielgerichtet, wiederholt und kontrolliert üben, um das Gelernte schliesslich situativ-variabel, eben unter sich verändernden (Wettkampf-) Verhältnissen, anwenden zu können. Den hierfür notwendigen Aufwand unterschätzen viele!

Welche psychologischen Techniken können verhindern, dass ich in einem aussichtslosen Wettkampf den Mut verliere?

Viele Athletinnen und Athleten setzen sich für den Wettkampf unterschiedliche Ziele, zum Beispiel als Minimalziel, den Lauf auf jeden Fall zu beenden. Im Sport kann viel passieren, Stürze, Materialdefekte oder äussere, nicht beeinflussbare Widrigkeiten. In solchen Situationen hilft eine innere Gelassenheit wohl am besten in Kombination mit der Erkenntnis, dass diese Erfahrungen einfach zum Sport dazu gehören und die Sportlerpersönlichkeit reifen lassen.

Ist es schlecht, während eines Wettkampfs wütend zu werden, zum Beispiel wegen eines Schiedsrichter-Entscheides?

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Porträtaufnahme von Dr. Gubelmann

Dr. phil Hanspeter Gubelmann ist Dozent für Sportpsychologie an der ETH Zürich (Bewegungswissenschaften und Sport), der Uni Basel und am IAP Zürich. Der ehemalige Leistungssportler arbeitet zudem als freischaffender Sportpsychologe mit Spitzensportler/-innen zusammen und ist Präsident der Swiss Association of Sport Psychology.

Die Sportpsychologie bezeichnet dieses Verhalten als «anger out»-Strategie – eben, der Frust soll raus! Solange dadurch kein unfaires Verhalten mit anschliessendem Spielausschluss die Folge ist, kann diese Bewältigungsstrategie durchaus zielführend sein. Der einstige Tennisstar John McEnroe liess seinem Frust sehr oft freien Lauf und kann als Modell für diese Verhaltensweise bezeichnet werden.

Gibt es aus sportpsychologischer Sicht Unterschiede zwischen Frauen und Männern?

Ich möchte nicht von generellen Unterschieden sprechen, die sich durchgehend zeigen, sondern mehr von Präferenzen und Tendenzen. In meiner Praxisarbeit verhalten sich Frauen oft emotionaler, selbstkritischer und äussern Zweifel an ihrem Selbstvertrauen, zeigen aber oft mehr Interesse an den sportpsychologischen Hintergründen und den Prozessen. Männer sind vermehrt an einem lösungsorientierten Vorgehen interessiert und möchten es gerne auf den Punkt bringen – auch im Sinne von: «Sag mir, wie’s geht und dann werde ich das versuchen!»

Besteht nicht die Gefahr, dass Sportler, die sich mental zum Sieger-Typ formen, im normalen Leben die Bodenhaftung verlieren?

Skirennfahrer Marco Büchel hat einmal gesagt: «Siege kannst du geniessen, in der Niederlage reifst du aber!» Falls ein Sieger-Typ die Bodenhaftung aufgrund seiner Erfolge verlieren sollte, hiesse dies auch, dass er nicht begriffen hat, was die Niederlage für ihn bedeutet. In einem solchen Fall hätte aber nicht nur der Sportler versagt, sondern auch sein Umfeld! Gerade in diesem Thema sehe ich eine bedeutsame pädagogische Verpflichtung seitens der Trainer und Trainerinnen, den Athleten in dieser Lektion der «Lebensschule Spitzensport» zu unterstützen.

Hilft es wirklich, sich bei sportlicher Leistung vorzustellen, man sei ein Adler oder ein Löwe?

Sie nehmen damit Bezug auf die Energiebilder, deren sich beispielsweise Triathletin Natascha Badmann bedient, um in entscheidenden Wettkampfsituationen ihre Stärken ausspielen zu können. Es sind Trigger, also Verstärker der eigenen Leistungsbereitschaft, die der Sportlerin zudem Selbstvertrauen und Motivation einflössen. Wichtig ist, dass diese Bilder zur entsprechenden Person passen und eben genau jene individuellen Merkmale und Attribute symbolisieren können. Was für Frau Badmann passt, muss nicht für andere stimmen!

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Wie wichtig ist die «psychologische Kriegsführung» im Leistungssport?

Diese Worthülse gefällt mir überhaupt nicht! Sport, so wie ich ihn verstehe, hat nichts mit Krieg oder kriegerischem Verhalten zu tun. Es geht um leistungs- und zielorientiertes Handeln, um Taktik und Strategie vielleicht, manchmal um Risikobereitschaft und Mut, immer aber auch um Selbstkontrolle und insbesondere sportlichen Respekt gegenüber den anderen Sportlerinnen, Funktionären und Betreuern. Das im Spitzensport verwendete Arsenal an Kraftausdrücken bis hin zum erwähnten Kriegs-Jargon ist häufig die Folge einer fragwürdigen medialen Überhöhung.

Wie kann «der Kopf» helfen, dass gute Vorsätze – zum Beispiel: sich allgemein mehr zu bewegen – nicht immer wieder im Sand verlaufen?

Der Kopf ist bei der sportlichen Handlung nur «die Hälfte» – das tatsächliche Tun und Ausführen die andere. Aus sportpsychologischer Sicht ist die Verbindung dieser beiden Hälften das Entscheidende. Hier helfen sogenannte «wenn-dann»-Verknüpfungen: Ich lege meine Sportbekleidung bereits morgens in den Hausflur, um dann am Abend quasi «genötigt» zu werden, die Laufschuhe anzuziehen und loszurennen.

Andere Strategien arbeiten mit sozialem Druck («Ich darf meine Laufkollegen nicht im Stich lassen!»), Belohnungen («Nach dem Laufen gönn' ich mir ein Bier!») und persönlichen Zielsetzungen («In einem Jahr laufe ich einen Halbmarathon»).

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