«Als ich damals in der akuten Phase war, habe ich viel gesucht, ich habe mich händeringend umgeschaut im Internet nach Hilfsangeboten. Es gab nicht wie heute diese Seite, die klar Informationen vermittelt, die andere Betroffene zeigt.»
Das erzählt ein Mann, der einen Suizidversuch überlebt hat. Menschen wie ihm helfen will der Forschungsverbund MEN-ACCESS an der Universität Leipzig. Gemeinsam mit Forschenden aus Bielefeld und Berlin wurde ein Online-Angebot für Männer entwickelt, das Suizidversuche und Suizide verhindern möchte. Seit Februar ist es nutzbar.
Dort kommen Männer jeden Alters zu Wort, die einen Suizidversuch unternommen haben. Das Online-Portal möchte zeigen, dass es vielen Männern so geht – «man» nicht alleine ist und sich für seine Situation nicht schämen muss. Dank des Portals sollen Hilfen bekannt gemacht werden.
Traditionelle Bilder von Männlichkeit erschweren es, Hilfe zu suchen
Männer hätten oft Schwierigkeiten, die eigene Situation einzuschätzen, erklärt Psychologin Cora Spahn von der Universität Leipzig. Noch gängige Bilder von Männlichkeit könnten verhindern, dass Hilfe in Anspruch genommen wird. Dazu komme, sagt die Leipziger Psychologin Cora Spahn: Eine oft grosse Diskrepanz in der Kommunikation, zwei unterschiedliche Wahrnehmungsseiten.
An der Uni Zürich erarbeitet der Psychologe Andreas Walther mit seinem Team seit 2016 speziell auf Männer zugeschnittene Therapien bei Depressionen. Walther beobachtet, dass sich Männer in seelischen Notlagen oft reizbar oder aggressiv zeigen – oder ihre Not über ihr Handeln vermitteln möchten.
Walther analysiert mit den Betroffenen ihre möglicherweise traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit: «Um dabei herauszuarbeiten, welche davon womöglich schädliche Auswirkungen auf die Depression und auch die Suizidalität oder eben auch auf die Therapie haben könnten. Wie zum Beispiel ein Gedanke wie: ‹Nur wenn ich meine Familie versorgen kann, bin ich etwas wert.›»
Ich hoffe, dass man gerade als Mann, gerade wenn man männlich sozialisiert ist, diese gesellschaftliche Erlaubnis bekommt, darüber reden zu können.
Auch auf den Testosteronspiegel wird geschaut: Ist dieser zu tief, kann das die Symptomatik verschlechtern. Dann gibt es Möglichkeiten, mit Testosteron zu behandeln. Im Grossraum Zürich ist dies derzeit bei mehreren hundert Männern der Fall. Das Ziel: Männer mit Depressionen individuell behandeln zu können, bevor die Erkrankung chronisch wird, zu Suizidgedanken oder einem Suizid führt. Denn dieser stehe meist, so der Züricher Psychologe Andreas Walther, am Ende einer längeren Belastungsphase.
Walther sagt, auch das persönliche Umfeld könne hilfreich zur Seite stehen: «Seinen Partner, Sohn, Vater, Bruder unterstützen und direkt ansprechen: ‹Wie geht es dir gerade?›. Wenn man die Befürchtung hat, dass jemand in eine suizidale Krise kommen kann, die Person direkt ansprechen: ‹Gibt es Suizidgedanken bei dir?›. Männer sagen darauf meist eher die Wahrheit.»
Das Portal maenner-starken.de wird wissenschaftlich begleitet, die Zugriffszahlen werden überprüft. Diese verdoppeln sich monatlich. Ein Zeichen dafür, das sagt auch der Mann vom Anfang des Textes, der einen Suizidversuch überlebt hat, dass sich bei dem Thema Männer und Suizid in der letzten Zeit etwas ändert: «Das Schweigen darüber wird gebrochen. Ich hoffe, dass man gerade als Mann, gerade wenn man männlich sozialisiert ist, diese gesellschaftliche Erlaubnis bekommt, darüber reden zu können. Darüber reden zu dürfen.»