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Überschiessendes Immunsystem Wenn das Immunsystem gefährlicher wird als das Virus

Das eigene Immunsystem kann bei einer Covid-19-Infektion gefährlicher werden als das Virus selbst.

Die Heilung von Covid-19 ist in erster Linie Sache unseres Immunsystems. In einigen Fällen kann dieses überreagieren und lebensgefährlich werden. Für behandelnde Ärzte wie Chefarzt Urs Karrer, Infektiologe am Kantonsspital Winterthur, eine Gratwanderung.

«Das Virus führt dazu, dass sich das Immunsystem massiv aktiviert. Das muss es auch, denn es muss das Virus in der Lunge bekämpfen», sagt Urs Karrer. «Aber es schädigt auch das Lungengewebe. Und manchmal ist diese Schädigung durch das Immunsystem stärker als durch das Virus selbst.» Zu dieser sogenannten «überschiessenden Reaktion» kommt es oft, wenn die lokale Entzündung nicht im Rachen bleibt, sondern in das tiefe Lungengewebe vordringt.

Von einem Moment auf den anderen

Diese Überreaktion des Immunsystems ist für die behandelnden Ärzte eine grosse Herausforderung – und verursacht eine anspruchsvolle Intensivbehandlung. Solche Fälle bedeuten für Urs Karrer: ständiges Abwägen. Zweimal täglich trifft sich deshalb das Ärzteteam am Kantonsspital Winterthur und bespricht die Situation jedes Covid-19-Falles auf der Station.

Denn das Immunsystem kann sehr schnell und sehr stark reagieren. «Ganz entscheidend ist das Timing. In welchem Moment machen wir was. Das kann sich von Stunde zu Stunde ändern, oder von Tag zu Tag», sagt der Infektiologe.

Medikamente lassen zu wünschen übrig

Bei Covid-19 hat Urs Karrer gelernt: Wenn das Immunsystem zu stark reagiert, muss er es medikamentös bremsen. Nachdem sich der ursprüngliche Hoffnungsträger Remdesivir laut neuesten Studiendaten als nur wenig wirksam herausgestellt hat, wird es in Winterthur nur noch in einer frühen Phase eingesetzt. Gegen die überschiessende Immunreaktion behilft man sich mit dem Cortison-Medikament Dexamethason – und schafft es so, die Überlebensrate zu verbessern.

Allerdings: «Das Wundermittel haben wir noch nicht. Auf der Medikamentenseite haben wir noch nichts in der Hand, was ich Herr Meier oder Herr Müller sagen könnte, dass es sie heilt», sagt Urs Karrer. Ob eine Impfung dieses Problem löst, muss sich noch zeigen.

Puls, 30.11.202, 21:05 Uhr

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