Zum Inhalt springen

Header

Video
Unnötige Schulteroperationen
Aus Puls vom 04.12.2017.
abspielen. Laufzeit 17 Minuten 38 Sekunden.
Inhalt

Unnötige Schulteroperationen

Eine neue Studie liefert den endgültigen Beweis: Einer der häufigsten Eingriffe bei schmerzenden Schultergelenken nützt dem Patienten nichts. Obwohl wissenschaftliche Daten schon länger in diese Richtung deuten, führen Orthopäden diesen Eingriff immer noch rund 2600 Mal pro Jahr durch.

Schmerzen im Schultergelenk lassen Patienten oft kaum noch schlafen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und oft droht ein Arbeitsausfall im Beruf. Rund zwei Drittel erhalten dann die Diagnose: Engpasssyndrom – also eine Verengung im Schultergelenk. Wenn Physiotherapie und Kortisoninjektionen nicht helfen, die gereizten Sehnen und Muskeln zu beruhigen, bieten Orthopäden chirurgische Lösungen an. Es klingt logisch: Die gereizten Sehnen sind eingeklemmt und brauchen Platz, deshalb muss man den Raum unter dem Schulterdach vergrössern. Im Fachjargon der Orthopäden heisst das «Akromioplastik» oder «Erweiterung des subakromialen Raumes». Dabei wird der Schleimbeutel zwischen Schulterdach und Sehnen entfernt und vorne am Schulterdach Knochen abgefräst. Dadurch können die Sehnen wieder besser gleiten und die entzündeten Stellen heilen ab – so zumindest die Theorie.

Der Schulterspezialist Dominik Meyer von der Uniklinik Balgrist sieht in dieser Operation allerdings nicht viel mehr als Gelenkkosmetik. Die aktuelle Studie aus England liefert ihm neue Argumente. «Diese Studie überrascht uns nicht und entspricht genau unserer Erfahrung und wie wir uns verhalten», sagt der Schulterspezialist Dominik Meyer von der Uniklinik Balgrist. Es gebe schon seit längerem Hinweise, die zeigen, dass das Herausputzen keinen Nutzen bringe für den Patienten, sagt Meyer. Er sieht die Operation nur als Option, wenn das Schulterdach hakenförmig nach unten schaut und dadurch auch Sehnen der Rotatorenmanschette beschädigt werden. Doch dies sei sehr selten, so Meyer.

Operation nicht wirksamer als Scheinoperation

In der Studie wurden rund 300 Patienten in drei Gruppen aufgeteilt. Bei der ersten Gruppe wurde Knochen abgefräst und Platz geschaffen. Bei der zweiten nur die Instrumente eingeführt ohne im Gelenk etwas zu verändern – eine Scheinoperation. Und die dritte Gruppe bekam gar keine Behandlung. Das Resultat nach einem Jahr: Die Operation war nicht wirksamer als die Scheinoperation und auch kaum besser, als gar nichts zu tun. Dieses Resultat überrascht auch den Schulterspezialisten Matthias Zumstein nicht: «Das ist ein Konzept aus den 60er- und 70er-Jahren. Raum schaffen für verengte Sehnen ist sehr logisch, deshalb wurde es so häufig gemacht.»

Diese Einsicht der Schulterexperten scheint sich in der Schweiz allerdings nur sehr zögerlich durchzusetzen. Immer noch wird der Eingriff etwa 2600-mal pro Jahr abgerechnet. Das belegen die Zahlen des Bundesamtes für Statistik. Sucht man aber auf den Webseiten vieler Orthopäden, wird gerade dieser Eingriff unter dem Begriff Impingement besonders hervorgehoben: «Bei ausbleibendem Therapieerfolg ist die operative Therapie zur Erweiterung des Engpasses angezeigt» oder «Schleimbeutel und störende Knochenanteile sind zu entfernen, um Platz zu schaffen», so die Patienteninformationen im Netz. Auf Nachfrage bestätigen einige Ärzte und Kliniken auch, dass sie den Eingriff durchführen. Ihre Begründung: Es sei die letzte Option, wenn Physiotherapie und Kortison-Spritzen keinen Erfolg brächten.

Physiotherapie als Methode der Wahl

Dieses Dilemma kennt auch Matthias Zumstein vom Inselspital: «Drücken Sie dagegen». Mit schmerzverzehrtem Gesicht versucht sein Patient die Tests an der Schulter hinter sich zu bringen. «Ja, hier, das tut sehr weh, hier vorne», antwortet der Patient Matthias Platz. Seit einem Jahr hat er Schulterschmerzen und ist nun seit drei Monaten in Behandlung. Seither trainiert er regelmässig in der Physiotherapie – bisher erfolglos. Sein Röntgenbild deutet auf beengte Platzverhältnisse hin. Abfräsen und Raum schaffen: eine verlockende Schlussfolgerung – nicht aber für Matthias Zumstein. Oft liege die Ursache an einem anderen Ort – so auch in diesem Fall. «Er hat ein funktionelles Problem mit seinem Schulterdach, das zu fest nach vorne kippt», sagt der Schulterspezialist. Solange er seine Schultern mit den Muskeln nicht nach hinten ziehen könne, würde eine Operation nichts bringen.

Man müsse die korrekte Ursache finden, sagt auch Dominik Meyer vom Balgrist. Das kann beispielsweise auch einen Riss einer Sehne sein, die für die Entzündungen sorgt. Noch einen Schritt weiter geht Matthias Zumstein: «Es ist eine Operation, bei der man wenig Schaden setzt und wenn dann die Leute nicht genau wissen, wo das Problem liegt, macht man es einfach». Am Schluss sei es nicht die Operation, sondern eher die Rehabilitation, die wirksam wäre.

Meistgelesene Artikel