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Ein Paar in einem schummerigen Gang.
Legende: Wenn Paare Stress haben, leidet zuerst die Kommunikation – und dann die Beziehung. Getty Images

Volkskrankheit Stress «Stress ist auch eine Chance für die Beziehung»

Stress ist ein Beziehungskiller, sagt der Psychologe und Paarforscher Guy Bodenmann, der an der Universität Zürich lehrt. Viele Scheidungen seien auf Stress zurückzuführen. Unausweichlich seien Trennungen aber nicht. Für Guy Bodenmann ist klar: Wenn Paare Stress gemeinsam bewältigen, macht er die Beziehung noch stärker.

Guy Bodenmann

Paarforscher

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Guy Bodenmann erforscht seit fast 30 Jahren, wie sich Stress auf Paar-Beziehungen auswirkt. Dabei beschränkt er sich nicht aufs Feststellen und Analysieren: Er entwickelte das Präventionsprogramm «paarlife» zur Pflege der Partnerschaft und schrieb mehrere Bücher zum Thema (etwa: «Bevor der Stress uns scheidet», 2. Aufl. 2016). An der Universität Zürich hat Bodenmann einen Lehrstuhl für Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien inne.

SRF: Was macht Stress gefährlich für Beziehungen?

Guy Bodenmann: Stress führt zu weniger gemeinsamer Zeit, einer schlechteren Kommunikation, und er legt unangenehme Charakterzüge frei – er demaskiert. Unter Stress wird man häufig dominant, intolerant, aggressiv.

Oder man zieht sich zurück, um sich zu schützen. Das kann die Partnerschaft in Schieflage bringen, weil diese Verhaltensweisen häufig zu Missverständnissen führen.

Inwiefern?

Die Partner machen häufig den Fehler, den Rückzug oder die Gereiztheit des anderen auf sich zu beziehen. Ein klassischer Attributionsfehler. Man meint, die Partnerin sei gereizt, weil sie nicht mehr gerne heimkomme. Weil sie keine Lust auf den Partner habe. Dabei ist es der Stress, der ausserhalb der Partnerschaft entsteht, der für die Gereiztheit sorgt.

Die stressbedingte Entfremdung hat deutlich zugenommen.

Das zu erkennen ist ein wichtiger erster Schritt. Es ist der Schlüssel, um mit einer Nachfrage im Sinne von «Was ist passiert?» ein Gespräch in Gang zu bringen.

Sie beschäftigen sich seit fast 30 Jahren mit dem Thema. Haben die Stress-Trennungen in dieser Zeit zugenommen?

Wir haben eine Studie mit 662 Geschiedenen durchgeführt, die wir nach dem Grund für die Scheidung befragt haben. Stressbedingte Entfremdung war ein entscheidender Faktor. Im Vergleich zu früher hat die stressbedingte Entfremdung heute deutlich zugenommen.

Wie hängt denn Stress mit Entfremdung zusammen?

Unsere Untersuchungen zeigen, dass Paare oberflächlicher kommunizieren, wenn sie unter Stress stehen. Man spricht nicht mehr darüber, was einen emotional wirklich beschäftigt, sondern nur noch über die praktische Organisation des nächsten Tages. So verliert man den anderen aus den Augen, ist nicht mehr «up to date» über das, was im anderen vorgeht.

Eine Grafik über die zunehmende Entfremdung in Beziehungen.
Legende: Aus Nähe wird Distanz: Je länger Paare zusammen sind, desto wichtiger werden Gespräche. SRF

Man lebt sich auseinander, hat sich nichts mehr zu sagen. Stress steht oft am Anfang dieser ungünstigen Entwicklung, die man lange Zeit nicht bemerkt. Entfremdung ist ein schleichender Prozess. Um ihr entgegenzuwirken, braucht es regelmässige persönliche Begegnungen zum gefühlsmässigen Update.

Den Stress einfach aus unseren Leben zu verbannen, ist illusorisch. Was können wir also tun?

So paradox es klingt: Stress ist auch eine Chance für die Beziehung. Der Partner ist eine der wichtigsten Ressourcen bei der Stressbewältigung.

Voraussetzung dafür ist, dass man miteinander in Kontakt tritt. Sich dem anderen anvertraut und mitteilt. Und zwar dort, wo es persönlich wird. Wo es vielleicht auch wehtut, peinlich oder für einen selbst unangenehm ist.

Wenn man über das spricht, was die Situation für einen bedeutet, was in einem nachhallt, statt sich allgemein über Fakten und Oberflächliches auszulassen, entstehen Nähe und die Möglichkeit zur angemessenen Unterstützung.

Hinter stressigen Situationen verbergen sich oft Kränkungen, Unsicherheiten oder Zweifel. Wer diese offen anspricht, eröffnet die Möglichkeit, einander besser kennenzulernen und zu verstehen.

Diese Selbstöffnung schafft Intimität zwischen den Partnern. Wichtig in diesem Zusammenhang: Erst einmal zuhören, statt gleich mit Ratschlägen aufzuwarten. Wenn das gelingt, wird der Stress vom Beziehungskiller sogar zum Beziehungshelfer.

Miteinander reden und sich gegenseitig zuhören – das sind ja eigentlich Binsenwahrheiten. Warum fällt es uns trotzdem so schwer, sie umzusetzen?

Einfach mehr reden ist nicht der Schlüssel. In Studien stellten wir fest, dass zwar viel geredet wird, aber ohne Tiefgang. Es geht nicht um Quantität, sondern um Qualität und Intimität. Ein gutes Gespräch bietet die Chance, sich über seinen Gefühlshaushalt klarer zu werden.

Man sollte auch nicht jedes banale Stress-Ereignis in der Partnerschaft verarbeiten.

Aber die Selbstöffnung, die dafür zentral ist, ist nicht einfach. Dazu müssen wir raus aus der Komfortzone. Eine perfekte Fassade nach dem Motto «Alles im Griff» zu zeigen, ist natürlich angenehmer. Substanzielle Gespräche sind anstrengend. Nach einem vollgepackten Tag hat man oft nicht mehr die Energie dafür.

Soll man sich einfach zwingen?

Das funktioniert nicht. Man sollte auch nicht jedes banale Stress-Ereignis in der Partnerschaft verarbeiten.

Persönlich relevanten Stress erkennt man daran, dass er nachhallt und einen bitteren Nachgeschmack hat. Nur dieser Stress sollte gegenüber dem Partner oder der Partnerin zum Thema werden.

Frauen fällt es oft leichter, über ihren Stress zu reden.

Dafür gilt es, den richtigen Augenblick zu finden. Direkt nach dem Nachhausekommen ist meist kein passender Moment. Aber mit etwas Abstand, wenn sich die erste Erregung gelegt hat, sollte man das Thema aufgreifen. Das gilt für Frauen wie Männer, obgleich unsere Studien zeigen, dass dies Frauen leichter fällt.

Tatsächlich?

Ja, es sind oft die Frauen, denen es leichter fällt, über ihren Stress zu reden oder beim Partner nachzufragen. Und die Männer brauchen das oft. Sie sind Meister im Verdrängen.

Können Frauen einfach besser reden, oder sind sie stressresistenter?

In einer Studie haben wir untersucht, wie sich Partner unter Stress unterstützen. Wenn die Frau gestresst wurde, unterstützte der Mann sie ebenso gut wie sie es umgekehrt tat, wenn er gestresst wurde.

Ein Mann mit grauem Haar im dunkeln Jackett.
Legende: Erforscht seit 30 Jahren den Beziehungsstress: Paarforscher Guy Bodenmann. SRF

Wurden aber beide, unabhängig voneinander, gleichzeitig gestresst, unterstützten die Frauen weiterhin angemessen, während die Qualität der Unterstützung der Männer einbrach.

Wie äussert sich das?

Männer unter Stress scheinen mehr Schwierigkeiten zu haben, ihre Partnerin zu unterstützen. Das bedeutet, dass man ihnen zuerst einen kurzen Moment zugestehen sollte, wenn sie gestresst nach Hause kommen, bevor man ihre Unterstützung einfordert.

Man sollte nicht vorschnell an eine Trennung denken.

Sie benötigen eine Art «Dekompressionskammer». Wenn man ihnen diesen Raum gibt, können sie anschliessend ebenso gut unterstützen wie die Frauen.

Vielleicht stellt man durch den Stress fest, dass man sich eigentlich gar nicht mag. Ist dann nicht Trennung die bessere Option?

Das ist natürlich immer eine Option, aber man sollte diese Karte nicht zu schnell spielen. Wenn man weiss, wie der andere unter Stress reagiert und weshalb, schafft das Verständnis. Jeder hat seine Lebensgeschichte, die schwierige Seiten an einem hervorgebracht hat. Seine Schwächen zuzugeben, macht einen sympathisch und schafft Gleichwertigkeit.

Man sucht nicht den perfekten Partner, neben dem man sich minderwertig vorkommt. Man möchte auf gleicher Augenhöhe sein. Viele denken, dass sie besonders stark und gut sein müssen, um dem anderen zu genügen. Sie halten mühsam eine Fassade aufrecht.

Zeichen der Zeit – Burnout & Stress

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Eine Frau stützt sich erschöpft den Kopf aufs Knie.
Legende: Colourbox

Stress bestimmt unseren Alltag und macht immer mehr Menschen schwer zu schaffen. Führt kein Weg am Burnout vorbei?

Dabei möchte man den anderen ungeschminkt so lieben wie er ist, mit allen Stärken und Schwächen. Die Angst, dass man vom anderen verlassen wird, wenn man Schwächen zeigt, ist unbegründet. Unsere klinische Erfahrung zeigt, dass das Gegenteil der Fall ist.

Wichtig ist die kontinuierliche Pflege der Beziehung.

Man sollte daher nicht vorschnell an eine Trennung denken – Beziehungen sind etwas vom wertvollsten, was wir haben. Und sie werden mit jedem Tag wertvoller, wenn wir in sie investieren. Selbstöffnung auf der einen Seite und Unterstützung auf der anderen Seite sind solche Investitionen.

Heisst das im Umkehrschluss, mit der richtigen Methode kann's mit jedem funktionieren?

Das natürlich nicht. Aber man wählt den Partner oder die Partnerin ja bereits aus einem selektiven Kreis. Wir haben heute das Glück, dass diese Wahl aus freien Stücken erfolgt. Allerdings sind damit oft überhöhte Erwartungen verbunden, die nicht erfüllt werden können.

Ein Mann und eine Frau haben Stress.
Legende: Sich dem Partner öffnen, auch wenn's weh tut: Das beste Mittel gegen Stress in der Beziehung. Colourbox

Viele Paare starten mit einem prall gefüllten Rucksack voller Liebe und Zuneigung auf den gemeinsamen Weg. Bei manchen ist dieser Rucksack innert kürzester Zeit geplündert.

Andere starten unter weniger idealen Bedingungen mit einem kleineren Rucksack und tragen dem Inhalt umso mehr Sorge. Und weil sie sorgsam damit umgehen, kann mit der Zeit ihre Zuneigung und Verbundenheit sogar wachsen.

Wichtig ist also die kontinuierliche Pflege der Beziehung. Die perfekten Ausgangsbedingungen sind weniger entscheidend.

Das Gespräch führte Thomas Kobel.

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Zwei Hände halten ein Tablet, dahinter steht SRF Kultur.
Legende: Getty Images / Bildmontage

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