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Vom Stöckli zur Seniorenresidenz: Ein geschichtlicher Überblick
Aus Puls vom 05.03.2012.
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Altern in der Schweiz Vom Stöckli zur Seniorenresidenz - Ein geschichtlicher Überblick

Stöckli, Altenteil, Hospiz, so hiessen vor hundert Jahren jene Orte, wo Betagte ihren Lebensabend verbringen konnten oder sogar mussten. Heute gibt es sogar «Seniorenresidenzen». Doch das täuscht nicht darüber hinweg, dass der Ruf des Altersheims schlecht ist.

Altwerden ist per se schon nichts für Feiglinge, aber dass Altersheime bis heute ein ziemlich schlechtes Image haben, liegt sicherlich schon im Namen selbst begründet: «Alt» und «Heim» rufen nicht gerade erfreuliche Bilder in uns hervor.

In einer Untersuchung des Zentrums für Gerontologie der Universität Zürich 2009 («Altersheim oder SenioCasa») hat eine Umfrage in drei städtischen Altersheimen zum Begriff Altersheim gezeigt: «Alt» wurde von der Mehrheit der Befragten als eine Herausforderung betrachtet. Mit «Heim» hingegen verband eine grosse Mehrheit der Befragten Schreckensbilder. Interessanterweise fanden die befragten Heimbewohner aber auch, dass ihr Altersheim ganz und gar nicht mit diesem altmodischen Altersheimbegriff gleichzusetzen sei.

Alter als Defizit

 Gemäss Definition sind Altersheime Institutionen, die sich um Betagte kümmern, die Aufsicht, Unterstützung und Pflege brauchen. In der Schweiz gibt es heute 1575 Alters- und Pflegeheime mit total 91‘737 Betten. Dass diese Einrichtungen für uns selbstverständlich sein würden, war vor hundert Jahren noch unvorstellbar.

Alter symbolisierte seit dem Mittelalter mehrheitlich Zerfall und Gebrechlichkeit und blieb bis ins frühe 20. Jahrhundert gleichbedeutend mit Armut und Invalidität. Das zeigt der Zürcher Altersforscher François Höpflinger in seiner Untersuchung «Zur Geschichte des Alters in der Schweiz». Da es damals noch keine Altersvorsorge in Form einer Rente oder Pension gab, waren gerade besitzlose alte Menschen oft gezwungen, «bis ins Grab zu arbeiten». Das Nachlassen der Kräfte bedeutete für Menschen der Unterschicht Verarmung und somit Abhängigkeit von wohltätigen Einrichtungen.

Altersheime: Von reiner Wohltätigkeit zur sozialen Errungenschaft

Im frühen Mittelalter waren es beispielsweise die Klöster, welche sich um alte und bedürftige Leute kümmerten, sofern diese nicht vorher von Kriegen oder Epidemien dahingerafft worden waren. Andere Wohltätigkeitseinrichtungen wie Armenhäuser oder Hospize entstanden im späten Mittelalter im 13. Jahrhundert. Auch Spitäler nahmen alte Menschen auf.

Im 16. Jahrhundert werden Heime für alte Menschen Sache der Gemeinden. Mit der Entstehung sogenannter Bürgerheime verloren Hospize und Spitäler ihre Anziehungskraft und wurden gemieden. Da Armut auch im 20. Jahrhundert noch weit verbreitet war, verlangte das Gesetz, dass der Bürgerort der Betroffenen für die Fürsorge verantwortlich war. Viele alte invalide Menschen mussten deshalb umplaziert werden. Das Fürsorgeprinzip war auch vielfach demütigend, denn für die Heiminsassen galt weiterhin Arbeitspflicht.

Die wirtschaftliche Lage und die gesellschaftliche Stellung älterer Menschen besserten sich erst in der Nachkriegszeit, genauer: 1948 mit der Einführung der Alters- und Hinterbliebenenversicherung AHV, des Renten- und Pensionssystems. Die Gesellschaft nahm das Alter fortan als eigenständige Lebensphase wahr, in der man seinen Lebensabend in Ruhe geniessen sollte. Städtische Altersheime, die den Bürgern kostenlos einen geruhsamen Lebensabend boten, galten als soziale Errungenschaft.

Doch all diese Errungenschaften können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Alter und Gebrechlichkeit in unserer Gesellschaft weiterhin als Defizit wahrgenommen werden. Die kopfstehende Alterspyramide hat die Pflege im Alter verlängert und somit aufwendiger und kostspieliger gemacht. Zudem haben Medienberichte über bauliche Missstände von Heimen, schlechte Ernährung bis hin zu Übergriffen des Pflegepersonals den schlechten Ruf der Altersheime in der Öffentlichkeit weiterhin zementiert. Bereits in den 1970er Jahren hat man das Konzept «Altersheim = Abstellgleis» immer wieder in Frage gestellt. Alternative generationenübergreifende Wohnideen, aber auch die Erhaltung von Selbstständigkeit in den eigenen vier Wänden oder betreutes Wohnen sind bereits seit 40 Jahren ein Thema.

Allerdings hat sich das Angebot in Altersheimen auch gewandelt: Heute bieten die meisten vielseitige Dienstleistungen und Kompetenzen an. Alternativbegriffe wie «Alterszentrum» oder auch «Altersdomizil» zeigen, dass man Wohnen im Alter als Konzept anders fassen möchte.

Alt werden im Schosse der Familie: Oft eine trügerische Idylle

Natürlich gab es nicht nur Altersheime als Wohnort für alte Menschen. In früherer Zeit war Wohnsituation betagter Menschen auch abhängig von der sozialen Schicht und den Familienverhältnissen.

Auf dem Land spielte das Erbsystem eine grosse Rolle. Je nachdem wie gross der Hof und wie arbeitsfähig die Leute waren, mussten individuelle Lösungen gefunden werden. Der Rückzug aufs Altenteil, respektive ins «Stöckli», fand erst ab Mitte des 17. Jahrhundert eine grössere Verbreitung. Dabei wurde die Versorgung der alten Bauern oder Bäuerinnen rechtlich detailliert vereinbart. Trotzdem kam es immer wieder zu Streitigkeiten. Die generationenübergreifende Hausgemeinschaft war nüchtern betrachtet eher eine rein wirtschaftliche Zwangsgemeinschaft und hatte nichts mit dem heute gerne zum Ideal hochstilisierten Bild vom Altwerden im Schosse der Familie gemeinsam.

Gegenüber dem Lande gab es in der Stadt eine grössere wirtschaftliche Unabhängigkeit der Generationen: Der alte Handwerker oder Zünfter lebte nicht mit seinen Kindern zusammen sondern bereits im eigenen Haushalt - die Existenzsicherung im Alter war dank der zünftischen Regeln gewährleistet. In der Nachkriegszeit setzte sich der Trend zum eigenständigen Wohnen in der Stadt fort. 1960 lebten noch 27 Prozent der Rentner bei einem der Kinder, 1990 nur noch 12 Prozent.

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