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Was war zuerst: die Religion oder das Fasten?

Fasten ist in allen Kulturen, Weltreligionen und auch bei Naturvölkern verbreitet. Über die Jahrtausende hat sich der Sinn des Fastens immer wieder gewandelt. Theologe Niklaus Brantschen bringt es auf den Punkt: «Fasten ist tot, es lebe das Fasten!»

Fasten ist in allen Kulturen, Weltreligionen und auch bei Naturvölkern verbreitet. Schon die alten Ägypter und die alten Griechen – wie etwa Pythagoras oder der Philosoph Platon – sollen gefastet haben.

Der Ursprung geht aber weiter zurück als die Menschheitsgeschichte, erklärt Niklaus Brantschen, Jesuit und Zen-Meister am Lassalle-Haus in Edlibach im Kanton Zug: «Bevor es den Menschen gegeben hat, gab es dieses Phänomen schon bei den Tieren, also bei anderen Viechern.» Tiere verzichten ja phasenweise im Winter auf Nahrung.

Die evangelische Pfarrkirche von Grumbach (Sachsen) hat eine Renaissancekassettendecke von 1674 mit Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament von dem Freiberger Maler Friedrich Unger nach Radierungen des Virgil Solis des Älteren.
Legende: Renaissancegemälde von 1674: Jesus wird beim Fasten vom Teufel versucht. imago

Nur fasten Tiere nicht. «Zum Fasten braucht es den freien Willen. Aber die Fähigkeit, sich von innen her aus den eigenen Depots zu ernähren, hat der Mensch von den Vorahnen, sprich von den ‹Viechern›, übernommen.»

Durch Fasten die Sinne schärfen

Die alten Griechen und Ägypter fasteten oder verzichteten auf bestimmte Nahrungsmittel, um die Sinne zu schärfen und der Gesundheit zuliebe. Gläubige fasten, um Busse zu tun und ihrem Gott näher zu sein.

In allen heiligen Schriften der Religionen ist vom Fasten die Rede. Moses fastete 40 Tage, als er auf dem Berg Sinai die zehn Gebote empfing. Jesus wanderte 40 Tage und Nächte durch die Wüste und fastete, um zu sich selbst und Gott zu finden. Der Teufel versuchte ihn zu verführen, scheiterte aber. «Man kann sich fragen, was zuerst war: Das Ei oder das Huhn, die Religion oder das Fasten?», sinniert Niklaus Brantschen. «Ich denke, dass beides gleich ursprünglich war. Das Fasten hat das Entstehen der Religion begünstigt, und die Religion ihrerseits hat immer wieder das Fasten geregelt.»

Die Ausnahmen von den Regeln

Fasten-Tagebuch

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Wie es «Puls»-Redaktorin Sarah Allemann eine Woche lang beim Vollfasten ergangen ist, können Sie in ihrem Fasten-Tagebuch nachlesen.

Unzählige alte Predigten, Flugschriften und theologische Abhandlungen verdeutlichen, wie streng die Kirche ihre Gläubigen zeitweise hat fasten lassen.

Bis zu 130 Fastentage schrieb das Christentum den Gläubigen im Mittelalter vor. Neben Fleisch galt es auf Milchprodukte, Eier und Wein zu verzichten. Und ganz grundsätzlich weniger zu essen. Die Not machte immer wieder erfinderisch: Mönche brauten etwa Starkbier, das ihnen durch die Fastenzeit half. Vögel und Wassertiere wie der Biber wurden kurzerhand als Fisch deklariert, der gegessen werden durfte.

Unsinnig, findet Theologe Niklaus Brantschen: «Das waren dann so Ausnahmen, mit denen man die Fischküche aufgewertet hat, also die eine Art gutes, währschaftes Essen durch eine andere Art gutes Essen ersetzt hat. Das konnte aber nicht sinnvoll sein, denn das war pure Heuchelei! Und deshalb sage ich, Gott sei Dank ist das traditionelle Fasten gestorben.»

Dazu beigetragen hat vor allem die Reformation. Mit einem provokativen Wurstessen am ersten Sonntag in der Fastenzeit protestierte in Zürich Buchdrucker Christoph Froschauer mit Unterstützung von Ulrich Zwingli 1522 gegen die Regeln aus Rom – der Anfang vom Ende der Fastengebote.

Fasten in den Weltreligionen heute

  • Heute gibt es im Christentum die vorösterliche Fastenzeit von 40 Tagen. Aber nur am Aschermittwoch und Karfreitag ist Katholiken der Verzicht auf Fleisch und Alkohol empfohlen.
  • Die Juden fasten an ihrem heiligsten Feiertag, dem Versöhnungstag Jom Kippur 25 Stunden am Stück und verzichten vom Sonnenuntergang an auf feste und flüssige Nahrung.
  • Muslime fasten während dem Ramadan einen Monat lang jeweils von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Essen ist nur nachts erlaubt. Das Fastenbrechen geschieht gewöhnlich mit einer Dattel.
  • Im Buddhismus und Hinduismus existieren keine fest geschriebenen Fastenregeln. Oft wird vor grossen Festen gefastet. Gurus und Mönche leben allerdings einige Wochen im Jahr in Askese und verzichten auf alles, was sie nicht unbedingt zum Überleben brauchen.

Der Christ/Buddhist Niklaus Brantschen fastet seit 40 Jahren regelmässig und hat bereits zwei Bücher zum Thema veröffentlicht. Dass heute zum grössten Teil aus freien Stücken gefastet wird, kann er nur unterstützen: «Man kann nicht alles per Dekret festlegen und zig Regeln aufstellen. So macht man eine Sache kaputt!»

Da sei heute die nötige Freiheit gegeben, den einstigen Schatz, der im Acker der Kirche begraben ist, hervorzunehmen, zu betrachten und zu sehen, wie das damals war. «Dank medizinischer Erkenntnisse wird das Fasten heute ganz anders ausgeübt und für die Zukunft wie neu erfunden. Die Wurzeln aber liegen ganz weit zurück.»

Heilfasten: Der Gesundheit zuliebe hungern

Die Rede ist vom Heilfasten. Seit den 1920er-Jahren bieten Fastenkliniken dieses an. Im Fokus steht kein religiöser Hintergrund, sondern die Reinigung des Körpers durch Nahrungsentzug. Als Pionier des Heilfastens gilt der deutsche Arzt Otto Buchinger. Unter Aufsicht liess er Patienten bei nur 250 Kalorien bis zu drei Wochen fasten – mit Obst- und Gemüsesäften.

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«Wir Geistlichen können uns von der Medizin inspirieren lassen, wie man gesundheitlich richtig fastet – und die Ärzte können von uns lernen, dass Fasten auch eine spirituelle und sozialpolitische Dimension hat und wie diese Dimensionen auch in der Moderne entwickelt und gelebt werden können», ist Theologe Niklaus Brantschen überzeugt. Für ihn ist klar: Zum richtigen Fasten gehören neben dem Verzicht auf Nahrung auch Meditation oder Gebet und der Wille, anderen in dieser Zeit etwas Gutes zu tun.

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