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Das älteste Eis der Welt Was ein Schweizer Wissenschaftler in der Antarktis erlebte

Statt vom Büro aus Daten zu analysieren, bei minus 30 Grad im Eis bohren: Was den Klimaforscher und Physiker Fortunat Joos für zwei Monate in die Antarktis führte. Ein persönlicher Erlebnisbericht des Wissenschaftlers der Universität Bern.

«Das Eindrücklichste ist diese Hochebene, von der aus ich in alle Richtungen blicken kann. Rundherum ist es einfach flach – eine unglaubliche Weite. Wenn ich morgens um zwei Uhr in der Früh bei minus 40 Grad vors Zelt gehe, dann bin ich allein da draussen. Es steht die Sonne am Himmel, diese endlose Weite und alles in Weiss. Das ist fantastisch! Aber in zwei Minuten bin ich wieder zurück im warmen Schlafsack.

Fortunat Joos

Physiker und Klimaforscher

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Fortunat Joos ist Professor für Klima- und Umweltphysik an der Universität Bern. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören biogeochemikalische Kreisläufe, Treibhausgase und die Dynamik von Erdsystemen. Er entwickelt Klimamodelle mit, um Klimavorhersagen zu verbessern und die Mechanismen vergangener Klimaveränderungen zu verstehen. Zudem war der Forscher an zahlreichen IPCC Publikationen beteiligt.

Ich schlafe in einem der Zelte, das ich mit Kollegen teile. Im Zelt steht ein Ofen und es ist auch eine Elektroheizung installiert – es ist also angenehm warm. Also jetzt nicht gerade 25 Grad, aber schon so 10 Grad.

Das Projekt «Beyond Epica – oldest ice»

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Seit 2019 arbeiten Forschende in der Antarktis am Standort «Little Dome C», um zum ältesten Eis der Welt zu gelangen. Das Hauptziel des Projekts besteht darin, Eisbohrkerne zu gewinnen, die die Klimageschichte der letzten eineinhalb Millionen Jahre wiedergeben. Dafür bohren die Forschende 2700 Meter tief ins Eis. Diese Eisbohrkerne geben Informationen über vergangene Klimabedingungen und verbessern das Verständnis des aktuellen Klimawandels und der Umweltveränderungen.

Am internationalen Projekt sind insgesamt 14 europäische Institutionen beteiligt, darunter auch die Universität Bern. Das Projekt wird mit elf Millionen Euro von der Europäischen Kommission mitfinanziert, einen Teil der Kosten tragen auch der Schweizerische Nationalfond und andere teilnehmende Länder. Dazu zählen beispielsweise Italien, Frankreich, Deutschland, Dänemark, die Niederlande, Grossbritannien und Schweden. Das Projekt läuft insgesamt sieben Jahre.

Es ist ein luxuriöses Leben für antarktische Verhältnisse. Die Station verfügt über eine Dusche, Toiletten und sogar eine Waschmaschine. Zwei Generatoren liefern etwa 50 Kilowatt Elektrizität. Wir brauchen den Strom für die Bohrung und um weitere Forschungsgeräte zu betreiben. Wir brauchen ihn aber auch für ein einigermassen komfortables Leben im Eis.

Die Station ist im Inland angesiedelt, auf einer Höhe von 3'200 Meter über Meer. Dies ist vergleichbar mit dem Jungfraujoch in den Alpen. Die Höhe macht sich hier bemerkbar. Besonders wenn ich schwere Lasten trage, merke ich den geringen Sauerstoffgehalt.

Ich arbeite gut eingepackt – in mehrschichtiger Skikleidung. Trotzdem braucht man nach ungefähr zwei Stunden eine Kaffee-Pause zum Aufwärmen. Unser Team ist international und setzt sich aus Mitarbeitenden aus Italien, Deutschland, Grossbritannien, Frankreich, Dänemark und der Schweiz zusammen. Es herrschen babylonische Sprachverhältnisse – aber Englisch ist natürlich die Hauptsprache.

Nun bohren wir schon bis in eine Tiefe von 1800 Meter. Es dauert eine gute halbe Stunde, bis der Bohrer unten ankommt und ein nächster Eiskern gewonnen werden kann. Dank der Eisbohrkerne können wir kontinuierlich in der Zeit zurückreisen: Von unten in der Vergangenheit – das Ziel ist, bis in die Zeit vor eineinhalb Millionen Jahren vorzustossen – bis an die Oberfläche, wo das Eis aus den letzten Jahrzehnten liegt.

So funktionieren die Eisbohrungen

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Fast 3000 Meter tief ins Eis zu bohren, ist ein aufwendiger Prozess. Der Bohrer ist fast zehn Meter lang. Hinter dem Bohrkopf mit den Messern sind Rohre für das Eis und den Elektromotor. Mit einer Winde wird der Bohrer am langen Stahlseil in die Tiefe gelassen. Ein Eiskern – viereinhalb Meter lang – wird herausgeschnitten, hochgezogen und herausgenommen, bevor der Bohrer wieder heruntergelassen wird und sich die nächsten Meter in die Tiefe frisst. Der Staub und Späne, die beim Bohren entstehen – ähnlich wie beim Sägen von Holz, werden auch nach oben wegtransportiert. So verstopft das Bohrloch nicht. Ist ein Eisbohrkern gewonnen und oben angekommen, folgt die Verarbeitung des Eises. Der Eisbohrkern wird genau ausgemessen und mit einer Kreissäge in meterlange Stücke zerteilt. Diese Stücke werden dann der Länge nach halbiert. Die eine Hälfte wird tiefgekühlt nach Europa transportiert, wo die Eisbohrkerne in verschiedenen Laboren analysiert werden. Die andere Hälfte bleibt für spätere Analysen in einem Eisbohrkern-Archiv in der Antarktis.

Dank der eingeschlossenen Luftbläschen können wir sehr genau bestimmen, wie die Luft zusammengesetzt war, also beispielsweise wie viel CO2, Methan, Lachgas und andere Spurengase enthalten waren. Keine Analysen sind dafür so geeignet und so genau wie jene des alten Eises. Doch diese Arbeiten machen wir dann erst wieder in Europa in den Laboren. Das Eis gibt uns noch viel mehr Informationen: Wann welche Temperaturen herrschten, wie grosse Teile der Erde vergletschert waren und wann es grössere Vulkanausbrüche gegeben hat zum Beispiel.

Das Eis – eine wertvolle Zeitkapsel

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Wenn Schnee fällt, bildet sich zunächst eine lockere Schicht auf der Oberfläche. Diese Schneedecke enthält viel Luft und ist nicht kompakt. Auf vergletschertem Gelände, wie in der Antarktis, bildet sich eine etwa 100 Meter mächtige Firnschicht mit dem Schnee der letzten Jahrzehnte. Darin befinden sich noch Zwischenräume und es geschieht ein Austausch mit der Atmosphäre.

In der Tiefe bildet sich unter dem Druck des Firnschnees schliesslich kompaktes Gletschereis. Bei diesem Übergang wird die Luft in Form von Bläschen im Eis eingeschlossen und so konserviert. Sprich: Im Eis wird die Zusammensetzung der Atmosphäre gespeichert und kann datiert werden.

Es gibt noch weitere natürliche Klimaarchive, in denen Informationen über die klimatischen Veränderungen der Vergangenheit gespeichert sind. Beispielsweise werden Baumringe, Wachstumsringe bei Korallen, Tropfsteine in Höhlen oder Ablagerungen am Grund von Seen und dem Ozean untersucht. Jedoch kann man anhand von Baumringen nur ungefähr 10'000 bis 15'000 Jahre zurückblicken. Zudem können die Parameter oft nur lokale Informationen liefern. Anders ist dies bei Treibhausgasen. Sie verteilen sich über die Atmosphäre auf der ganzen Welt. Die CO2-Messungen im Eis der Antarktis gelten also weltweit.

Unser Umgang mit der Klimaerwärmung macht mir immer wieder Kopfzerbrechen. Wir müssten schneller und konsequenter handeln. Aber obwohl wir unterdessen sogar befürchten, dass ganze Teile der Antarktis abschmelzen – wenn man oben auf den Hochebenen der Antarktis steht, dann denkt man nicht ständig daran. Die Stille da draussen und die endlose Weite, die werde ich nie vergessen.»

Das Klimarätsel – Wie sich Warm- und Eiszeiten abwechselten

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Vor etwa drei Millionen Jahren bildeten sich Eisschilder in Nordamerika, Skandinavien und Grönland. Zyklen von Eis- und Warmzeiten setzten ein. Dies, weil sich die Ausrichtung der Erdachse und die Umlaufbahn um die Sonne über die Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg verändern. Bis vor etwa einer Million Jahre folgten Warmzeiten in einem Rhythmus von 40’000 Jahre. Danach, während der letzten Million Jahre, gab es nur noch alle 100’000 Jahre Warmzeiten. Dieser Wechsel im Eiszeit-Warmzeit-Rhythmus soll mithilfe von Eiskernen genauer untersucht und erklärt werden.

Diese natürlichen Schwankungen sind nicht mit der aktuellen vom Menschen verursachten Klimaerwärmung gleichzusetzen. Die derzeitige Erwärmung von unterdessen mehr als ein Grad global verläuft so schnell wie nie zuvor gemessen und wird hauptsächlich verursacht durch das Verbrennen von Öl, Gas und Kohle. In der letzten Warmzeit vor 125’000 Jahren lag der Meeresspiegel bis zu neun Meter höher als heute. Damals war es ein Grad wärmer im Vergleich zum 19. Jahrhundert und es lebten noch nicht Millionen von Menschen an der Küste.

Protokolliert von Nina-Lou Frey. Das Gespräch führte Christian von Burg.

Wissenschaftsmagazin 10.02, 12:40 Uhr ; 

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