In 20 Jahren aus 20 Gletschern weltweit Eisbohrkerne gewinnen – so die Initiative der Ice Memory Foundation. Um aus den Gletscherproben ein globales Klimaarchiv aufzubauen. Denn in ihrem Eis sind Klimabedingungen und Atmosphärenzusammensetzungen vergangener Zeitalter konserviert: von Treibhausgasen bis zu Luftschadstoffen oder Pflanzenpollen.
Der Eisbohrkern vom Grand Combin im Wallis sollte eine dieser 20 Proben sein. Doch jetzt zeigt ein im «Nature Geoscience» veröffentlichter Bericht: Die Erderwärmung hat den Gletscher als Klimaarchiv weitgehend unbrauchbar gemacht.
Nur 25 statt 80 Meter Bohrtiefe
Ein Forschungsteam des Paul Scherrer Instituts (PSI) um Margit Schwikowski hat in den Jahren 2018 und 2020 Bohrungen am Grand Combin gemacht. Während jene von 2018 noch so verlief wie erwartet, stiess das Team zwei Jahre später bereits am Berg auf Schwierigkeiten.
Wenn Wasser schmilzt und wieder gefriert, bilden sich feste Eisschichten. Bei der Bohrung von 2020 trafen die Forschenden auf eine besonders dicke Eisschicht. Und gleich oberhalb davon: eine sehr wasserhaltige, weiche Schicht. Dieser Übergang hat technische Probleme bereitet. «Der Bohrer ist für diese Bedingungen nicht geeignet», erklärt Schwikowski. «Wir haben es insgesamt dreimal probiert, aber sind nicht weiter als 25 Meter gekommen.»
Eigentlich wollten sie bis auf den Felsgrund in 80 Meter Tiefe bohren. Um das gesamte, Tausende Jahre umfassende Archiv des Gletschers zu erfassen.
Die Klimadaten fliessen mit dem Schmelzwasser ab
Normalerweise schwankt die Menge an eingeschlossenen Feinstaubpartikeln im Eis mit den Jahreszeiten. Partikelgebundene Stoffe, wie beispielsweise Ammonium, Nitrat und Sulfat stammen aus der Luft und lagern sich durch Schneefall auf dem Gletscher ab. Im Sommer sind die Konzentrationen hoch, im Winter niedrig. Denn bei Kälte steigt weniger verschmutzte Luft aus dem Tal auf. So entsteht im Eis eine sogenannte Signatur.
Bei der Analyse des Eisbohrkerns von 2020 zeigt sich nun: Die Signatur ist verloren gegangen. Das Schmelzwasser ist von der Oberfläche bis auf 20 Meter hinunter gesickert. Dabei haben sich die wasserlöslichen Luftschadstoffe gelöst. «Einerseits verlieren wir damit die Information über die Schichtung», bedauert Schwikowski. «Andererseits fliesst das Schmelzwasser einfach vom Gletscher ab.» Die Information verliert also nicht nur ihre zeitliche Reihenfolge, sondern geht verloren.
Wettlauf gegen die Zeit
In den Alpen konnte das Team vom PSI bereits Eisbohrkerne gewinnen: am Mont Blanc und am Monte Rosa. «Wir könnten das wohl verkraften, dass wir nicht noch einen zusätzlichen Eiskern aus den Alpen einlagern», sagt Schwikowski. Sie macht sich vielmehr Sorgen um Gletscher aus Regionen, aus denen noch keine Informationen bestehen. Etwa den Gletscher des Kilimandscharo. Dort ist die Bohrung vergangenes Jahr an einer fehlenden Bewilligung der tansanischen Regierung gescheitert.
Etwa zwei Gletscher pro Jahr beproben die Eisbohrkernfachleute im Rahmen der Ice Memory Foundation. «Jetzt sehen wir aber, dass es viel dringender wäre», sagt Schwikowski. Der Corbassière-Gletscher zeigt, wie Klimadaten innerhalb von nur zwei Jahren verloren gehen.