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Klimawandel Aus der Dürre in die Überschwemmung – und wieder zurück

Der neue Bericht des Weltklimarats IPCC warnt, dass ärmere Länder und Menschen den Auswirkungen der Klimaerwärmung viel stärker ausgesetzt sind. Dies hat auch für reiche Länder weitreichende Folgen.

Vor zweieinhalb Wochen prallte der Zyklon Emnati auf den südöstlichen Teil des Inselstaats Madagaskar. Die Dächer vieler Häuser wurden weggerissen, Strassen überflutet. Emnati war der vierte schwere Sturm innerhalb eines Monats, der das bitterarme Madagaskar traf. Insgesamt starben über 100 Menschen, fast 50'000 wurden obdachlos.

Eine Warnung für die Zukunft

Was Madagaskar widerfahren ist, sei eine Warnung. Sie zeige uns, was künftig öfter passieren werde, wenn die erhitzte Erde noch heisser werde, sagt Rupa Mukerji, Klimaspezialistin bei der Hilfsorganisation Helvetas und Mitautorin des neuen IPCC-Berichts: «Bevor die Böden wieder trocken sind, kommt schon der nächste schwere Regen und die Überflutung wird mit jedem Sturm schlimmer. Die Menschen kommen aus der Katastrophenlage gar nicht mehr hinaus.»

Menschen aus Mananjary, Madagaskar stehen vor ihren zerstörten Häusern.
Legende: Nach den ersten drei Stürmen Menschen aus Mananjary, Madagaskar bereiten sich vor ihren zerstörten Häusern auf den wenige Tage später eintreffenden Zyklon «Emnati» vor. Keystone SDA / VIVIANE RAKOTOARIVONY

Mit steigenden Temperaturen nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass extreme Wetterereignisse wie Starkregen oder Hitzewellen kurz hintereinander oder sogar zusammen auftreten – so wie es Madagaskar aktuell erlebt.

«Seit vier Jahren leiden Teile der Insel unter einer Dürre. Es herrscht eine Hungersnot», sagt Rupa Mukerji. Anderthalb Millionen Menschen sind betroffen, Schlimmeres verhindert nur die Nothilfe von UNO und anderen Organisationen. Doch nach den Stürmen sind nun zusätzlich jene Strassen zerstört, über die bisher Hilfe ins Dürregebiet gelangte.

Grössere Schäden als früher

Die Auswirkungen der Klimaerwärmung sind bereits so zahlreich und ausgeprägt, dass sie sich immer öfter auf fatale Weise kombinieren. Zum Beispiel führt der gestiegene Meeresspiegel dazu, dass tropische Stürme, die vom Ozean her auf Land treffen, grösseren Schaden anrichten und ausgedehntere Gebiete betreffen als früher.

Wir wurden überrascht, das Wasser kam so schnell, dass wir nichts tun konnten.
Autor: Nadia Razanamamonjy Klimaspezialistin bei der Hilfsorganisation Helvetas

Nadia Razanamamonjy lebte im Küstenort Mananjary, im Südosten Madagaskars. Sie erzählte einer UNO-Organisation, was passierte, als der Zyklon Batsirai Anfang Februar auf ihr Dorf traf: «Das Meer stieg schon einen Tag an, bevor der Sturm kam. Wir wurden überrascht, das Wasser kam so schnell, dass wir nichts tun konnten. Es reichte uns bis zur Schulter. Wir mussten alles zurücklassen.» Die 46-Jährige ist alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Ihr Haus aus Holz und Wellblech ist zerstört.

Zwei Menschen laufen in Antananarivo, Madagaskar durch kniehohes Wasser.
Legende: Kampf gegen die Wassermassen Auch Zyklon Emnati löste grosse Überschwemmungen aus. Hier in der Hauptstadt Antananarivo. Keystone SDA / HENITSOA RAFALIA

15 Mal mehr Menschenleben als in reichen Ländern

Es ist kein Zufall, dass Madagaskar von dieser massierten Katastrophe getroffen wird. «Viele Entwicklungsländer liegen in Regionen, die von den Folgen der Klimaerwärmung besonders betroffen sind – und sie haben kaum die Mittel, um sich davor zu schützen», sagt Rupa Mukerji von Helvetas. Dazu gebe es erschütternde Zahlen: «In den letzten zehn Jahren haben Überflutungen, Stürme und Dürren in Entwicklungsländern 15 Mal mehr Menschenleben gefordert als in reichen Ländern.»

Ruperji zieht einen Vergleich zwischen mehreren Hurrikanen, die in den letzten Jahren auf New York getroffen sind, und Zyklonen, die das ostafrikanische Mosambik heimgesucht haben: «In New York gab es massive Schäden und auch einige Tote. In Mosambik haben wir nicht einmal gute Schätzungen darüber, wie viele Opfer es gegeben hat.»

Vielfältige Gründe

Die Gründe sind vielfältig, warum Arme von den Folgen der Klimaerwärmung stärker getroffen werden als Reiche. Es habe damit zu tun, wo die ärmeren Menschen leben müssen, sagt Rupa Mukerji und nennt die indische Metropole Mumbai als Beispiel: «Aus der Luft sieht man sofort, wo die Slums sind – auf den Hügelkuppen und in den tief liegenden Gebieten. Überall dort, wo es gefährlich ist, weil steil und rutschgefährdet oder von regelmässiger Überflutung betroffen.»

Luftbild der Dharavi Slums in Mumbai, Indien.
Legende: Erdrutsche und Überflutungen: Die Slums in Mumbai sind exponiert. Keystone SDA / DIVYAKANT SOLANKI

Arme Menschen arbeiten auch überdurchschnittlich oft in Branchen, die auf die Natur angewiesen sind, weshalb sie besonders unter den Auswirkungen der steigenden Temperaturen leiden: Lokalen Fischern beispielsweise schwimmen die Fische in kühlere Gewässer davon. Den Kleinbauern vernichten Dürren, Stürme oder Starkregen ganze Ernten und die grössere Hitze senkt den Ertrag einiger Anbaufrüchte.

Diese Menschen hätten keine Mittel, die negativen Folgen abzufedern, sagt Carolina Adler von der Universität Bern und ebenfalls Mitautorin des IPCC-Berichts: «Sie können es sich bei einer Dürre nicht leisten, zusätzliches Wasser oder Futter für ihr Vieh zu kaufen.»

Sie können es sich bei einer Dürre nicht leisten, zusätzliches Wasser oder Futter für ihr Vieh zu kaufen.
Autor: Carolina Adler Mitautorin des IPCC-Berichts

In einigen Weltregionen hat sich die Situation bereits so zugespitzt, dass die Arbeit im Freien in heissen Perioden kaum mehr möglich ist, weil der menschliche Körper die Kombination aus zu grosser Hitze und Luftfeuchtigkeit nicht aushält. Auch davon sind die armen Menschen besonders betroffen – Bauern, Bauarbeiter oder Müllsammler etwa.

Entwicklungsländer ergreifen durchaus Massnahmen, um sich und ihre Bewohner vor den Folgen der Klimaerwärmung zu schützen. Beispiel Bangladesch: Grosse Gebiete liegen nur knapp über dem Meeresspiegel. Regelmässig wird das Land von verheerenden Zyklonen heimgesucht, die noch vor einigen Jahrzehnten manchmal Hunderttausende Menschenleben forderten. Seither hat das Land einen Frühwarndienst eingerichtet und in den gefährdeten Dörfern Fluchtbunker errichtet. Anlass dazu war ursprünglich nicht die Klimaerwärmung, aber die Massnahmen bewähren sich nun auch in dieser Situation. Heute fordern auch schwere Stürme nur wenige Tote.

Die Anpassung hat Grenzen

Anpassung an die Folgen der Klimaerwärmung hilft, das ist eine wichtige Botschaft im Bericht des Weltklimarats. Aber sie hat Grenzen, vor allem, weil die Temperaturen weiter steigen werden. Übertrifft die globale Erwärmung anderthalb Grad oder mehr, könnten manche Orte unbewohnbar werden, sagt Caroline Adler von der Universität Bern: «Manche Dörfer in den Anden oder im Himalaja könnten zum Beispiel ihre Wasserversorgung einbüssen, wenn die Gletscher weggeschmolzen sind.»

Das Dorf Gokyo im Himalaja.
Legende: Auch am höchsten Punkt der Erde – hier das Dorf Gokyo im Himalaja – sind die Folgen der Klimaerwärmung spürbar. IMAGO / Zoonar

Rupa Mukerji von Helvetas berichtet, dass Bangladesch trotz aller Anstrengungen prüft, ob die Menschen in besonders exponierten Küstengebieten umgesiedelt werden sollen. «Die Sachschäden durch die Stürme werden grösser, und der steigende Meeresspiegel führt zur Versalzung der Böden.» Dadurch können die Bauern einige Feldfrüchte gar nicht mehr anbauen.

Vor solchen Folge-Kaskaden warnt der neue IPCC-Bericht ausdrücklich. Sie werden künftig häufiger werden und sie können sehr viele Menschen und Weltregionen betreffen.

Bei über anderthalb Grad Erwärmung werden auch zahlreiche Korallenriffe kaum noch lebensfähig sein. Viele Menschen leben heute vom Fischreichtum in den Riffen. Sie werden ihre Nahrung verlieren – der Anfang einer verhängnisvollen Kette: Weniger Fischfang bedeutet weniger Einkommen für die Fischer, aber auch steigende Lebensmittelpreise und damit Hunger für viele in der betroffenen Region. Manche ziehen weg, um ein anderes Einkommen zu suchen; viele in die Slums in den Städten, in denen sie wiederum neuen Klima-Risiken ausgesetzt sind.

Für mehr Schutz fehlt das Geld

Die Entwicklungsländer müssten sich dringend besser vor den Folgen der Erwärmung wappnen, warnt der IPCC. Schon heute klaffe zwischen den Anpassungsmassnahmen und dem, was eigentlich nötig sei, eine grosse Lücke. Und diese werde in Zukunft wachsen.

Doch die ärmeren Länder haben zu wenig Geld, um ihre Bevölkerung zu schützen. Im Rahmen der UNO-Klimakonvention leisten die Industrieländer zwar Unterstützung, aber diese reicht nicht aus. Carolina Adler von der Universität Bern: «Die Geldflüsse für Anpassungsmassnahmen sind ungenügend.»

Die Geldflüsse für Anpassungsmassnahmen sind ungenügend.
Autor: Carolina Adler Mitautorin des IPCC-Berichts

Die Industrieländer haben den Entwicklungsländern seit 2009 versprochen, dass sie jährlich 100 Milliarden Dollar Klimahilfe bekommen sollen. Bisher ist diese Summe in keinem Jahr komplett zusammengekommen, nächstes Jahr soll es zum ersten Mal klappen. Doch der Grossteil der bisherigen Unterstützung wurde für Massnahmen ausgegeben, die den CO2-Ausstoss reduzieren – und nicht für die Anpassung.

Die Länder des globalen Südens fordern seit langem, dass die reicheren Länder sie besser unterstützen, vor allem beim Schutz vor den Folgen der Klimaerwärmung. Die nächste Klimakonferenz der Vereinten Nationen findet im Spätherbst statt – Gastgeber Ägypten hat angekündigt, dieses Thema ins Zentrum zu stellen.

Letztlich werden alle Länder von den Auswirkungen der Klimakrise stark betroffen sein, warnt der Weltklimarat – durch steigende Lebensmittelpreise zum Beispiel, durch mögliche Konflikte, durch Flüchtlinge. Vor diesem Hintergrund ist es höchste Zeit, die ärmeren Länder bei der Anpassung zu unterstützen. 

Wissenschaftsmagazin, 05.03.2022, 12:40 Uhr

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