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Schutz vor Naturgewalten Starkregen und Erdrutsch: Ist die Schweiz parat dafür?

Von Hagel zu Überschwemmung hin zum Erdrutsch: In der Schweiz haben im vergangenen Jahr Extremwetterereignisse stattgefunden. Wie sind wir darauf vorbereitet und was haben wir für Lösungen parat? Denn Naturgefahren können alle Menschen in der Schweiz betreffen.

Vergangenes Jahr haben wir in der Schweiz die Gewalt der Natur spüren können: Extremwetter, Hagel, Überschwemmungen oder Erdrutsche. Wie gut sind wir gewappnet für solche Ereignisse?

Nach drei Tagen Dauerregen ging am 29. August 2023 in Schwanden im Kanton Glarus eine Schlammlawine ab und begrub Teile des Dorfes.

Der Erdrutsch in Schwanden

Die Häuser wurden vorher evakuiert und niemand kam zu Schaden. Kurz vor Weihnachten, am 23. Dezember, kam es nochmals zu einem Erdrutsch. «Es gibt kaum einen Ort in der Schweiz, an dem nicht eine Naturgefahr auftreten kann. Darum sind wir potenziell alle betroffen», sagt Gian Reto Bezzola vom Bundesamt für Umwelt Bafu.

Paratsein beginnt bei jedem einzelnen

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Auf dem Bild ist Gian Reto Bezzola zu sehen.
Legende: Gian Reto Bezzola vom Bundesamt für Umwelt Bafu. SRF

Bezzola ist seit 18 Jahren beim Bafu im Bereich Risikomanagement bei Naturgefahren tätig. Das Bafu schafft die Grundlagen, damit Kantone und Gemeinden Gefahren vorbeugen können. «Die Direktbetroffenen sind immer die Ersten, die reagieren können und müssen. Darum müssen sie wissen, was sie machen können.» Das sei eine Grundlage des «Paratseins» für das Bafu: Über Risiken informieren und beraten, und das ist Bezzolas Aufgabe.

Gefahrenkarten: eine wichtige Grundlage

Es gibt mehrere Mechanismen, die dazu dienen sollen, dass die Schweiz auf Naturgewalten vorbereitet ist. Ein Tool sind die Gefahrenkarten. Online abrufbar zeigen sie, wo wir durch Hochwasser, Rutschungen, Sturzprozesse oder Lawinen bedroht sind.

Es stecken viele Informationen in den Karten, zum Beispiel Chroniken, Messungen, Simulationen oder Geländespuren. Stärke und Häufigkeit von möglichen Gefahrenereignissen wie Hochwasser oder Erdrutsche können darin abgelesen werden. Dargestellt sind Ereignisse, die statistisch betrachtet alle 30, 100 und 300 Jahre auftreten.

Gefahrenkarte – ein Beispiel aus Zürich

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Auf dem Bild ist die Gefahrenkarte zu sehen.
Legende: GIS-ZH

Die Gefahrenkarten geben eine detaillierte Übersicht über die Gefährdungssituation in fünf Stufen – hier zum Beispiel für Zürich Sihlcity:  

Rot: erhebliche Gefährdung 

Blau: mittlere Gefährdung  

Gelb: geringe Gefährdung  

Gelb-weiss gestreift: Restgefährdung

Weiss: keine oder vernachlässigbare Gefährdung  

Rot-weiss gestreift: zurzeit in Revision/Teilrevision

Hier geht’s zur ganzen Karte.

Naturgefahrenberater sind Teil des Alarmsystems

Gefahrenkarten nutzen auch die Feuerwehr, Zivilschutz, aber auch Naturgefahrenberaterinnen und -Berater wie Irene Kallen aus Kandersteg. Stets mit offenen Augen und Ohren unterwegs nimmt sie Signale aus der Natur wahr.

Wenn ein Naturgefahrenereignis in ihrer Umgebung stattfindet, kommt sie zum Einsatz, schätzt die Lage ein, koordiniert und unterstützt die Arbeit der Gemeinde. Hauptberuflich ist die 36-jährige Geografin und eine von mehr als 500 Menschen in der Schweiz, die ihre eigene Umgebung neben ihrem Job immer auf Veränderungen beobachtet.

Auf dem Bild ist Irene Kallen zu sehen.
Legende: Als Naturgefahrenberaterin ist Irene Kallen in die Gemeinde Kandersteg eingebunden. Sie ist damit ein Teil der Schweizer Prävention und Aktion bei Naturereignissen. SRF

«Naturgefahrenberater helfen mit, besser parat zu sein, indem wir möglichst frühzeitig merken, dass eine Situation heikel werden kann», erklärt Kallen. Dadurch werde die Vorlaufzeit länger, beispielsweise um bessere, gründlichere Abklärungen zu machen.

«Dann hat man mehr Zeit, um zu reagieren.» Somit ist Kallen ein kleiner, aber wichtiger Teil des Alarmsystems der Schweiz, um die Gefahren der Natur frühzeitig zu erkennen.

Wenn eine Gefahr zur Bedrohung wird

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Es gibt verschiedene Stufen im Risikomanagement, die vorgeben, wie eine mögliche Bedrohung eingeschätzt wird und welche Massnahme ergriffen werden sollen.

Eine «generelle Gefahr» wird in den Gefahrenkarten dargestellt. So sieht man zum Beispiel, wo möglicherweise eine Lawine abgehen könnte.

Als «aktuelle Gefahr»  würde zum Beispiel eine Lawine beschrieben, die bereits morgen abgehen könnte. Aktuelle Gefahren sind auf dem Naturgefahrenportal ersichtlich.

Aber nicht aus jeder Gefahr entstehen Schäden. Denn erst, wenn es Mensch, Tier, Haus oder Infrastruktur betrifft, wird es riskant. Im Zuge dessen werden ab 2025 die Gefahrenkarten mit Risikoübersichten ergänzt.

Diese Risikoübersichten zeigen die möglichen Konsequenzen von Ereignissen auf und helfen zu beurteilen, ob die Risiken tragbar oder Schutzmassnahmen nötig sind.

Gefahr in Schwanden verändert sich

Die Natur verändert sich ständig. Daher müssen auch die Gefahrenkarten aktualisiert werden. Im Mittel werden sie alle zehn Jahre überarbeitet. So natürlich auch in Schwanden. Hier wurde eine ereignisbezogene Gefahrenkarte Mitte Dezember 2023 erstellt. Die Konsequenz: Personen, die im sogenannten Gefahrengebiet, rot eingefärbt, ihre Häuser haben, dürfen nicht zurückkehren. Dort herrsche eine «unmittelbare Gefahr für Leib und Leben».

Auf dem Bild ist die Gefahrenkarte zu sehen.
Legende: Die Gefahrenkarte für Schwanden zeigt auf, welche Bereiche stark gefährdet sind und welche weniger. Gelb: Gering. Blau: Mittel. Rot: Erheblich. Gemeinde Glarus Süd

Nach dem Erdrutsch kurz vor Weihnachten hat sich diese Lage aber wieder verändert. Die Natur gibt den Takt vor.

«Wir sind grundsätzlich gut vorbereitet. Die Natur hat aber immer Überraschungen parat. Die Natur verändert sich, das Klima verändert sich. Wir können uns nicht einfach ausruhen. Der Umgang mit den Naturgefahren ist eine Daueraufgabe. Und wir müssen immer dranbleiben und neue Erkenntnisse gewinnen», sagt Gian Reto Bezzola.

Einstein, 11.01.2024, 21:05 Uhr

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