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Unglück von Blatten «Die Realität des Klimawandels ist überall»

Die Frage, wie viel der Klimawandel zum Unglück von Blatten beitrug, sei im Grunde irrelevant, sagt Permafrostforscher Martin Hölzle von der Universität Freiburg. Relevant sei das Gesamtbild.

Martin Hölzle

Permafrostforscher

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Martin Hölzle von der Universität Freiburg erforscht seit Jahrzehnten, wie Permafrost und Gletscher sich durch den Klimawandel verändern, und welche Folgen das hat.

SRF Wissen: Wie wichtig wäre es zu wissen, ob der Klimawandel das Unglück in Blatten ausgelöst hat?

Martin Hölzle: Aus meiner Sicht ist das irrelevant. Die Realität des Klimawandels ist überall. Die Erwärmung, die wir feststellen, in der Atmosphäre und in der Kryosphäre weltweit an allen Standorten, ist offensichtlich. Und sie hat Konsequenzen.

Es geschieht im Grunde genommen genau das, was wir seit Jahrzehnten haben kommen sehen, und wovor wir gewarnt haben.

Die Frage zu Blatten wäre ja, ob dieses eine Unglück auch ohne Klimawandel passiert wäre. Vielleicht können wir das sogar im Nachhinein noch klären. Aber die Frage ist doch, bringt uns diese Antwort wirklich weiter?

Sie erforschen Permafrost seit Jahrzehnten. Überrascht Sie, was Sie bei Ihren Messungen sehen?

Nein. Es geschieht im Grunde genommen genau das, was wir seit Jahrzehnten haben kommen sehen, und wovor wir gewarnt haben.

Frustriert Sie das?

Ja, schon. Wir schreiben seit Jahrzehnten immer das Gleiche in die IPCC-Reports rein. Wir haben vor Jahrzehnten schon gesagt, dass diese Folgen, die man jetzt sieht, kommen werden.

Permafrostforschung in der Schweiz

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Das erste Forschungsbohrloch im Permafrost wurde 1987 im Engadin nahe des Piz Corvatsch angelegt, damit gehört die Schweiz zu den Pionieren der Permafrostforschung im Gebirge. Die jüngsten Schweizer Bohrlöcher sind zugleich die höchstgelegenen, auf 4100 Metern über Meer knapp unter dem Gipfel der Jungfrau.

In den Bohrlöchern, die oft mehr als 50 Meter tief reichen, werden unter anderem Temperatur, Eisgehalt, Bewegung/Verformung, Wassergehalt und teilweise auch Druck gemessen. Insgesamt 30 Standorte hat das Messnetzwerk in der ganzen Schweiz. Auf der Webseite des Messnetzwerks sind alle Daten frei verfügbar.

Und jetzt kommen sie, und nun sind viele Leute erstaunt. Deshalb ist es für mich wichtig, dass ich das jetzt deutlich sage: Wir haben das kommen sehen.

Gleichzeitig können Sie und Ihre Kollegen im Einzelfall, wie jetzt in Blatten, nicht sagen, wie konkret sich tauender Permafrost in den Bergen auswirken wird. Wie geht das zusammen?

Es ist ein grosser Unterschied, ob man sich die grosse Entwicklung anschaut, global und grundsätzlich, oder ob man Einzelereignisse anschaut. Global gesehen kommt es tatsächlich so, wie die IPCC-Berichte es skizziert haben. Wenn man dann Einzelereignisse anschaut, wird es schwer, das herunterzubrechen, und konkret zu sagen, was genau, wann wo passiert.

Was passiert mit dem Fels, wenn Permafrost im Gebirge taut

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Eis hält den Fels wie Klebstoff zusammen, und wenn das Eis schmilzt, bröckelt der Fels. Diese Annahme ist weit verbreitet – und falsch. Permafrost wirkt vor allem als Versiegelung. Wo Fels und Eis gefroren sind, kann nämlich kein Wasser eindringen. Schwindet der Permafrost, dringt Wasser in den Fels ein, und bringt zwei Dinge mit: Druck und Wärme.

Druck entsteht, wenn Wasser in Felsspalten über grosse Höhenunterschiede hinweg steht. Wärme bringt das Wasser mit, weil es in jedem Fall wärmer ist als null Grad, also wärmer als der umgebende Permafrost. Das Wasser führt so dazu, dass zumindest lokal und zumindest zeitweise der Permafrost taut. Das eindringende Wasser ist also der destabilisierende Faktor.

Aber das ändert nichts daran, dass das grosse Ganze sehr eindeutig ist. Wir haben jetzt 420 ppm Kohlendioxid in der Atmosphäre. Das hat es in den letzten Millionen Jahren gar nie gegeben. Und das hat weitreichende Konsequenzen. Die Leute sollten endlich begreifen, dass das relevant ist.

Werden Sie da nicht zu politisch?

Die Wissenschaftler, die ich kenne, die geben sich extrem Mühe, ihre Arbeit sorgfältig zu machen und belastbare Ergebnisse zu liefern, und sie sind sehr vorsichtig mit den Aussagen, die sie dann darüber machen. Auch ich bin vorsichtig. Aber ich finde, man muss die Wissenschaft doch auch berücksichtigen. Wir wollen ja eigentlich der Gesellschaft helfen, sich vorzubereiten auf zukünftige Zustände.

Sie machen Forschung vor Ort, unter anderem an der ältesten Permafrostmessstelle der Schweiz – im Engadin. Spüren Sie die Veränderungen dort?

Ja, ganz klar. Wir sind dort auf 2600 Metern Höhe, nahe dem Piz Corvatsch. Wir hatten mehrere Steinschläge, und ein grösserer Felssturz hat uns viele Messgeräte zerstört. Wir müssen wirklich aufpassen, wo wir unsere Messungen machen in Zukunft, um uns nicht selber bei der Forschung zu gefährden.

Das Gespräch führte Katrin Zöfel.

Permafrost in der Schweiz

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Zwei bis drei Prozent der Landesfläche sind Permafrost. Noch 1980 war es doppelt so viel, schätzt WSL-Forscherin Marcia Philipps.

Grundsätzlich unterscheidet man zwei Formen von Permafrost: Solchen im massiven Fels, und solchen in sogenannten Blockgletschern. Blockgletscher sind Fels-Eis-Massen, die sich am unteren Ende von Felshängen ansammeln. Sie können 20 bis 100 Meter mächtig werden, und bis mehrere Kilometer lang.

Echo der Zeit, 12.6.2025, 18:00 Uhr ; 

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