Früher führte Chantal Britt ein aktives, «normales» Leben: Sie lief Marathon, fuhr Ski und spielte Tennis. Dies hatte Platz neben einem vollen Arbeitspensum als Wissenschaftskommunikatorin und den Aufgaben als Familienfrau und Mutter. Krank war sie nie.
Dann kam der 6. März 2020. Britt besuchte ein Chorkonzert ihrer Tochter an deren Schule. 200 Jugendliche auf der Bühne, im Saal 400 weitere Personen. «Fünf Stühle neben mir hustete eine Frau ständig, und ich dachte: Wenn ich mich jetzt infiziere, dann wird es wohl hier gewesen sein.»
Vier Tage später hat sie die ersten Corona-Symptome – die sich rasch verschlimmern. Sie hat Herzrasen, Atemprobleme, Aufmerksamkeitsstörungen. Eine bleierne Müdigkeit macht ihr zu schaffen. Die Symptome ähneln dem «chronischen Fatigue-Syndrom» CFS, ebenso wie der «myalgischen Enzephalomyelitis» ME: Beide Krankheiten sind von der Weltgesundheitsorganisation WHO seit Jahren klassifiziert, aber schlecht erforscht.
Längst nicht alle erholen sich
Chantal Britts Beschwerden halten bis heute an. Ausdauersport kann sie keinen mehr machen. Sie hat zwischendurch Mühe, sich zu konzentrieren, hat deshalb ihren früheren Job verloren. Gegen das Herzrasen schluckt sie Betablocker, dazu kommen weitere Medikamente – Schmerzmittel, Blutverdünner, manchmal Schlafmittel und Antihistamine.
Am Anfang habe sie noch Hoffnung gehabt, es werde besser. Irgendwann dämmert es ihr: Das ist jetzt die neue Realität. «Vor ein paar Tagen habe ich zu Hause aufgeräumt», erzählt sie, «dabei sind mir die alten Marathon-T-Shirts und -Schuhe in die Hände gefallen. Ich wurde sehr traurig und dachte: Schon unverständlich, dass dies alles nicht mehr möglich ist.»
Mindestens zehn Prozent aller Corona-Erkrankten entwickeln Long Covid. Zu diesem Schluss kommt eine Übersichtsstudie um den amerikanischen Mediziner und Sachbuchautor Eric Topol im Fachmagazin Nature . Viele erholen sich irgendwann, aber längst nicht alle. Long Covid ist «systemisch», betrifft den ganzen Körper und mehrere Organe: das Herz, die Lungen, die Bauchspeicheldrüse, das Immunsystem, den Magen-Darm-Trakt. 200 Symptome haben die Autorinnen und Autoren identifiziert.
«Es gibt keine Behandlung»
Eine besonders schlechte Prognose haben Patienten mit chronischer CFS/ME: Sie dürften sich gemäss Nature kaum mehr erholen.
Das deckt sich mit dem, was Chantal Britt selbst und im Verein Long Covid Schweiz erlebt, den sie präsidiert: «Wir beobachten, dass von den Leuten, die nach sechs Monaten noch Symptome haben, die Mehrheit nicht gesund wird, nicht nach einem Jahr, nicht nach zwei oder drei Jahren.» Erwachsene im besten Alter seien nicht mehr arbeitsfähig, Kinder könnten nicht mehr zur Schule gehen.
In der Schweiz gibt es inzwischen 40 spezialisierte Long-Covid-Sprechstunden. Das ist mehr als in anderen Ländern – und trotzdem nicht befriedigend, sagt Chantal Britt: «Es ist zwar wunderbar, dass es diese Sprechstunden gibt und wir eine Diagnose bekommen – aber es gibt keine Behandlung.» Sie zum Beispiel sei austherapiert.
Die Autorinnen und Autoren der Nature-Studie bestätigen das: Therapiemöglichkeiten für Long Covid gebe es kaum. Es brauche dringend klinische Studien, um neue Wirkstoffe zu testen. Auch Chantal Britt hat klare Vorstellungen: «Wir brauchen Daten», betont sie. Daten und Forschung, um zu verstehen, wie Long Covid funktioniere.