Zum Beispiel Lotte Albers: Nach mehreren unbezahlten Stellen wurde die Ärztin im April 1940 in einem Hamburger Kinderspital angestellt. Dort wurde sie für die «Aktion T4» eingespannt, die erste Tötungswelle von Hitlers 1939 lanciertem «Euthanasieprogramm». Lotte Albers soll mindestens 14 behinderte Kinder getötet haben.
Wie die Ärzteschaft die «Rassenhygiene» vorantrieb
Ärzte waren während des Dritten Reichs die zentralen Akteure der von den Nazis propagierten «Rassenhygiene». Sie halfen systematisch mit, den «deutschen Volkskörper» von «unwertem Blut», wie sie es nannten, zu säubern. Zunächst mit Massensterilisationen, später mit gezielten Tötungen von Erwachsenen und Kindern, die als «genetisch minderwertig» klassifiziert wurden.
Das Töten behinderter Kinder besorgten die «Kinderfachabteilungen» von Spitälern und Irrenanstalten: Die Ärzte liessen die Kinder entweder verhungern oder spritzten ihnen gezielt eine Überdosis Medikamente.
Doch nicht nur Männer waren Täter. Gerade in die sogenannten Krankenmorde waren sehr häufig auch Frauen eingebunden, wie der deutsch-britische Mediziner Edzard Ernst in einem kürzlich erschienenen Buch darlegt.
Ärztinnen waren damals anteilmässig in der Medizin zwar krass untervertreten, aber punkto Barbarei und dem Ausmass der Taten standen sie ihren männlichen Kollegen in nichts nach: «Beide Geschlechter agierten mit einer enormen, widerlichen Brutalität», sagt Edzard Ernst.
Viele waren enthusiastische Anhängerinnen der Naziideologie: Sie glaubten tatsächlich, dass man mit diesem Vorgehen den Genpool des deutschen Volkes reinigen sollte.
Die Frauen wurden gemäss Ernst von unterschiedlichen Motiven zu ihren Taten angetrieben. Die einen waren blosse Befehlsempfängerinnen, andere hätten sich aus finanziellen Gründen einbinden lassen. «Viele waren jedoch enthusiastische Anhängerinnen der Naziideologie: Sie glaubten tatsächlich, dass man mit diesem Vorgehen den Genpool des deutschen Volkes reinigen sollte.»
Das Monster Herta Oberheuser
Und dann gab es unter diesen Ärztinnen auch Monster. Ein solches war Herta Oberheuser: Obwohl Frauen der Zutritt zur SS verwehrt war und sie somit keine leitenden Positionen in einem KZ einnehmen konnten, schaffte es Herta Oberheuser zur Lagerärztin im Konzentrationslager Ravensbrück. Dort führte sie grausamste Menschenversuche durch.
Herta Oberheuser war die einzige Medizinerin, die nach dem Krieg im Nürnberger Ärzteprozess auf der Anklagebank stand und verurteilt wurde. Trotzdem durfte sie in den 1950er-Jahren wieder als Ärztin praktizieren.
Nur milde Strafen
Auch die meisten anderen Nazi-Ärztinnen wurden nur milde oder gar nicht bestraft, viele führten ein normales, bürgerliches Leben mit Ehe, Kindern und Arbeit in der eigenen Privatpraxis. «Es gab nach dem Krieg zwar Anstrengungen, die Krankenmorde juristisch aufzuarbeiten», sagt Edzard Ernst. «Doch dieses Interesse erlahmte bald, Deutschland hat sich für diese Verbrechen geschämt und das Ganze versanden lassen.»
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Bild 1 von 2. Herta Oberheueser im Nürnberger Ärzteprozess. Sie wurde für schuldig befunden und zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, nach fünf Jahren aber wegen guter Führung bereits wieder aus der Haft entlassen. Bildquelle: United States Holocaust Memorial Museum.
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Bild 2 von 2. Im KZ Ravensbrück bezeichneten sich die Opfer medizinischer Experimente selbst als «Kaninchen» – eine bittere Anspielung auf ihre Rolle als Versuchspersonen. Einige von ihnen konnten im Herbst 1944 heimlich Fotos ihrer verstümmelten Beine anfertigen. Bildquelle: United States Holocaust Memorial Museum.
Einige Medizinerinnen und vor allem Mediziner machten später sogar Karriere an den Universitäten, erhielten trotz Nazivergangenheit Auszeichnungen und Ehrentitel. Auf einige von ihnen stiess Edzard Ernst während seines Medizinstudiums in München. Für ihn der Anstoss, sich als Nicht-Historiker zeitlebens mit der Rolle der Medizin in der Nazizeit zu befassen.