Zum Inhalt springen
Kleines Röhrchen mit Sand auf der Spitze.
Legende: Aus solchen Sedimentproben kann menschliche DNA extrahiert werden. Sylvio Tüpke / Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology

Bedeutende Entdeckung Forscher finden Erbgut von Urmenschen in Höhlensand

Erstmals suchten Forscher in sieben Höhlen in aller Welt gezielt nach menschlicher DNA – und wurden überall fündig. Das eröffnet der Wissenschaft neue Möglichkeiten.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Forscher suchten in Höhlensand nach Erbgut von Urmenschen – und wurden fündig.
  • Wissenschaftler reagieren mit Euphorie. Mit der Methode wollen sie neue Erkenntnisse gewinnen.
  • Womöglich können so auch bisher unbekannte Vorfahren identifizieren werden.

Nach den Spuren unserer Vorfahren zu suchen, ist Schwerarbeit. Forscher müssen sich dazu durch meterdicke Erdschichten graben.

Dass es auch anders geht, zeigt der Anthropologe Matthias Meyer mit einer neuen Methode. Um die Präsenz von Urmenschen nachzuweisen, muss man keine Tonnen von Sedimenten bewegen. «Eine Probe, wie wir sie verwenden, passt auf die Spitze eines Steakmessers. Wir kommen also mit sehr, sehr wenig Sand aus.»

Suche in vormals bewohnten Höhlen

Matthias Meyer vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig arbeitet mit einem internationalen Team von Kollegen zusammen. Gemeinsam analysierten sie 85 solcher winziger Sedimentproben. Sie stammen aus sieben Höhlen aus aller Welt, von Kroatien bis Spanien, von Frankreich bis Sibirien.

Frau mit Mundschutz in Erdloch übergibt Sedimentsprobe an Kollegin.
Legende: Eine Forscherin nimmt im französischen Les Cottés Sedimentsproben für die DNA-Analyse im Labor. Matthew Wilson

Alle diese Höhlen haben eine Gemeinsamkeit: «Wir hielten uns an die Erkenntnisse der Archäologen und suchten dort, wo man – wenn schon nicht Knochen – zumindest Werkzeuge gefunden hat», erklärt der Anthropologe. Dass diese Höhlen einmal bewohnt gewesen waren, stand also ausser Zweifel.

Konkret suchten die Forscher nach Erbgutspuren der Neandertaler sowie der Denisova-Menschen. Diese wurden erst 2010 in einer sibirischen Höhle entdeckt.

Erbgut überdauert in Sedimenten

Forscher untersuchen schon seit einigen Jahren, ob und wie gut sich DNA von Pflanzen und Tieren über die Jahrtausende in Sedimenten hält. Als quasi Testlauf suchten Matthias Meyer und sein Team daher zuerst nach Säugetier-DNA. Sie fanden in der Tat reichlich Erbmaterial von den längst ausgestorbenen Mammuts, von Wollnashörnern und Höhlenhyänen.

Nach dieser Probe aufs Exempel suchten die Forscher gezielt nach menschlicher DNA. In 40‘000 bis 250‘000 Jahre alten Sedimenten wurden sie überall fündig.

Menschliche Evolution

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: Imago

Eine neue Ära in der Anthropologie?

Die Kollegenschaft reagierte auf die Studie des Forscherteams mit verständlicher Euphorie. Denn nun eröffneten sich mit einem Mal neue Fragestellungen, freut sich Christoph Zollikofer von der Universität Zürich: «Es gibt viele Fundstellen mit Werkzeugen, wo wir aber keine Knochen finden. Ohne Erbinformation ist es unklar, wer diese Werkzeuge tatsächlich hergestellt hat.»

Ginge es nach dem Neandertalerspezialisten, würde er Höhlen mit Werkzeugen der so genannten Mousterién-Kultur näher untersuchen. Es besteht ein Konsens, dass sowohl Homo sapiens als auch die Neandertaler Werkzeuge von diesem Typus herstellten.

Aber: «In Nordafrika werden diese Funde Homo sapiens zugeschrieben, in Frankreich jedoch den Neandertalern», erklärt Christoph Zollikofer. «Wenn wir nun in nordafrikanischen Höhlen DNA-Spuren von Neandertalern fänden – das wäre eine Sensation!»

Die Entdeckung neuer Verwandter

Der grosse Traum ist, mit dieser Methode neue, noch unbekannte Vorfahren zu identifizieren. Daher beginnen Matthias Meyer und sein Team nun, systematisch Höhlen ohne Knochen- und Werkzeugfunde zu analysieren.

Für den Anthropologen ist es jedoch nicht gesagt, dass Höhlen die einzigen Fundstellen alten menschlichen Erbgutes sein könnten. Urmenschen lagerten gezwungenermassen auch entlang von Flussläufen. Denn auf ihren Wanderungen mussten sie Regionen durchqueren, in denen es einfach keine Höhlen gab.

Warum also nicht einfach in die Natur gehen, meint Matthias Meyer, und an Stellen drauflosgraben, wo die Sedimente aus der Eiszeit stammen? Niemand habe je überprüft, wie lange DNA in tieferen Schichten überdauert. Wer weiss, welch grossartige Entdeckungen auf diese Weise zu machen sind?

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Wissenschaftsmagazin, 27.5.2017, 12:40 Uhr

Meistgelesene Artikel