Das Thema ist ein Tabu, dabei betrifft es uns alle: «Die Bindung zur Mutter ist die engste, die ein Mensch erlebt», sagt die Psychologin und Psychotherapeutin Sandra Figlioli-Hofstetter. Genau wegen dieser besonderen Nähe könne die Mutter so unglaublich nerven und uns wie niemand sonst zur Weissglut treiben. Nicht nur, wenn wir Teenager sind, sondern bis ins hohe Erwachsenenalter.
Der erste Schritt ist es, sich zu hinterfragen, warum die Mutter mich nervt.
Doch viele getrauen sich nicht, sich gegen die Mutter aufzulehnen. Schliesslich hat sie uns geboren und – in den meisten Fällen – grossgezogen. Vielleicht spielt da tief verwurzelt in der Gesellschaft sogar eines der Zehn Gebote eine Rolle: «Du sollst Vater und Mutter ehren.»
Sich den Dämonen stellen
Was also tun? «Der erste Schritt ist es, sich zu hinterfragen, warum die Mutter mich nervt», empfiehlt die Psychologin. Häufig sind es die alten Rollenmuster Mutter – Kind, über die wir stolpern. Daran kann man arbeiten, das sei schwierig, würde aber ungemein guttun. Denn die Beziehung zur Mutter ist voller Widersprüche: «Man will ja nicht mehr Kind sein, auch wenn man es durchaus geniesst, mal wieder wie in früheren Tagen von der Mutter bekocht und umsorgt zu werden.»
Das Ziel sei, sich auf Augenhöhe zu begegnen. «Die Beziehung Mutter-Kind sollte sich mit den Jahren wandeln», sagt die Psychologin. Damit das passieren kann, ist es wichtig, dieses Verhältnis immer wieder bewusst zu hinterfragen und sich auch trauen, es zu verändern. Denn Augenhöhe entsteht nur, wenn sich zwei Erwachsene begegnen und nicht die Mutter und das längst erwachsene Kind.
Es bringt nichts, wenn man sich wöchentlich trifft, nach jedem Treffen aber total genervt ist.
Was dabei hilft, ist Abgrenzung. «Es bringt nichts, wenn man sich wöchentlich trifft, nach jedem Treffen aber total genervt ist», so die Therapeutin.
Stattdessen könnte man die Treffen reduzieren, zum Beispiel auf einmal pro Monat. «Vielleicht kann man dieses Treffen dann auch eher geniessen, mit allen Ecken und Kanten, welche die Mutter hat», sagt Figlioli-Hofstetter. Der Versuch lohnt sich allemal. Hilft das nicht, lohnt es sich auch, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Besonders schwierig wird es, wenn die Mutter langsam betagt wird und ein neues Abhängigkeitsverhältnis entsteht – eine umgekehrte Bedürftigkeit. Plötzlich ist die Mutter auf Hilfe oder Pflege angewiesen und die Abgrenzung fällt noch schwerer. Dann kann professionelle Unterstützung angezeigt sein. Denn oftmals geht es auch um die letzte Möglichkeit, sich auszusprechen und das nicht immer einfache Verhältnis zu bereinigen.