Trost spenden, Freude teilen, Zuneigung schenken: Spätestens seit Corona wissen wir, wie wichtig Berührungen für uns sind. Aber haben Sie sich schon mal gefragt, warum das so ist?
Um das zu verstehen, hilft es, unser grösstes und sensibelstes Sinnesorgan unter die Lupe zu nehmen: die Haut. Dank Millionen von Rezeptoren spüren wir Wärme, Druck oder Geschwindigkeit einer Berührung – schon vor unserer Geburt.
Forschende des Haptik-Forschungslabors in Leipzig konnten zeigen, dass befruchtete Eizellen im Mutterleib bereits in der 6. Schwangerschaftswoche auf Berührung reagieren und so das Wachstum des Embryos stimulieren.
C-taktile Fasern sind Gamechanger
Für ihre Sinnesforschung erhielten die Forscher David Julius und Ardem Patapoutian 2021 sogar den Medizin-Nobelpreis.
Ausgezeichnete Sinne: Wie wir Hitze, Kälte und Umarmung spüren
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Angefangen hat alles mit einer Chilischote: In den späten 1990er Jahren wollte der Physiologe David Julius an der Universität Kalifornien herausfinden, warum der Körper beim Essen einer scharfen Chilischote ins Schwitzen gerät. Er untersuchte, wie der Mensch auf Capsaicin reagiert. Dieser Stoff in den Chilischoten suggeriert den Nervenzellen, der Körper hätte sich verbrannt.
Julius entdeckte, dass im Körper eine bestimmte Sinneszelle aktiviert wird, die dafür sorgt, dass wir eine Temperatur als schmerzhaft empfinden. Er nannte den Rezeptor, mit dem die Sinneszelle solche Hitze wahrnimmt, TRPV1.
Heisses Puzzleteil
Mit dieser Entdeckung schuf Julius die Grundlage, um zu verstehen, wie der Körper Hitze und auch andere Temperaturen wahrnimmt. Weil der Körper das Capsaicin aus Chilis als heiss wahrnimmt, reagiert er mit Schwitzen, um sich abzukühlen.
Tatsächlich werden von unseren Sinnesrezeptoren aber nicht nur Hard Facts übermittelt – sie geben auch eine emotionale Bewertung der Berührung ab. Schwedische Forschende entdeckten in den Nullerjahren in diesem Zusammenhang ziemlich smarte Nervenfasern in der Haut, die «C-taktilen Fasern». Werden sie aktiviert, fühlt sich eine Streicheleinheit besonders gut an.
Was eine Umarmung in uns auslöst
Die Erfolgsformel zur Aktivierung beinhaltet die Konstanten Geschwindigkeit, Druck und Temperatur. Genauer gesagt: Eine Geschwindigkeit von etwa drei Zentimetern pro Sekunde und eine Temperatur von etwa 32° C, sprich Handwärme, stimulieren die C-taktilen Fasern optimal, wie Forschende herausfanden. Zur nächsten Kuschelstunde also nicht ohne Stoppuhr und Lineal anrücken.
Die optimale Umarmung: Nicht zu kurz, nicht zu lang
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Es gibt sogar eine optimale Umarmung, wie
Forschende der japanischen Toho-Universität
durch Überwachung der Herzfrequenz von Neugeborenen nachweisen konnten. Die Umarmung von Mama oder Papa mit «mittlerem Druck» beruhigte am besten – und zwar sowohl die Babys als auch die Eltern. Länger als 20 Sekunden durfte die Knuddelei in den japanischen Familien aber nicht dauern, so die Forschenden. Dann wurden die Kinder unruhig.
Und es gibt noch einen kuschligen Nachweis aus dem Spitzensport: Durchschnittlich 3,17 Sekunden
haben Forschende der schottischen Universität Dundee gezählt
, als sie während der Olympischen Sommerspiele 2008 spontane Umarmungen zwischen Athletinnen, ihren Trainern und der Konkurrenz unter die Lupe nahmen.
Der Berührungsreiz löst ein Signal aus, das zum Gehirn weitergeleitet wird. Mehrere Hirnregionen werden aktiviert, Botenstoffe freigesetzt. Natürlich ist auch das Wohlfühlhormon Oxytocin und das Glückshormon Dopamin dabei. Der Blutdruck sinkt, Herzschlag und Atemfrequenz verlangsamen sich. Wir entspannen uns.
Das wiederum wirkt sich auf unser Immunsystem aus. So wiesen Forschende des Haptikinstituts in Leipzig mithilfe von immunologischen Markern im Blut nach, dass sich das Immunsystem nach intensiven Berührungen stabilisiert und entzündungshemmende Prozesse beschleunigt werden. Auch andere Studien zeigen, dass eine Umarmung von 20 Sekunden unter Paaren dazu führt, dass der Blutdruck deutlich sinkt.
Weitere Touch-Fakten zum Angeben
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Schon in der Jungsteinzeit sollen sich Menschen umarmt haben – Beleg dafür soll der Grabfund von Valdaro sein. In dem Örtchen nahe Mantua wurden 2007 die Überreste zweier Menschen entdeckt, die vor mindestens 5000 Jahren einander zugewandt und in einer engen Umarmung begraben worden waren.
Untersuchungen haben gezeigt, dass Servicepersonal, welches die Kundschaft vor dem Bezahlen kurz leicht berührt, durchschnittlich ein höheres Trinkgeld bekommen.
Frühchen, bei denen bis zu 15-mal die Stunde der Atem aussetzt, werden mit taktiler Stimulation behandelt: Bei einem Aussetzer werden die Säuglinge kurz und sanft an der Fusssohle massiert – so fängt das Baby wieder an zu atmen.
Bereits ein leichtes Schulterklopfen vor der Prüfung verringert den Blutdruck und das Stresslevel bei Studierenden messbar, wie verschiedene Untersuchungen zeigen konnten.
Aus der Beobachtung hunderter Begegnungen an den Ankunfts- und Abflug-Gates eines Flughafens schlossen Forschende aus Japan: Wenn Gefühle im Spiel sind, nimmt man das Gegenüber eher in den linken Arm. Das sei auf den Einfluss der rechten Gehirnhälfte zurückzuführen, die die linke Körperhälfte kontrolliert und sowohl positive als auch negative Emotionen verarbeitet. Bei Umarmungen interagieren emotionale und motorische Netzwerke im Gehirn und führten zu einer stärkeren Linksorientierung in gefühlsbetonten Zusammenhängen.
Kein Kuschel-Partner in Sicht? Es braucht keine Berührung von aussen für den beruhigenden Effekt. Wir regulieren uns selbst - ständig. Etwa 800 Mal täglich fassen wir uns ins Gesicht. Aber juckt es uns wirklich, wenn wir uns in einer peinlichen Situation ans Kinn fassen? Warum berühren wir uns am Ohrläppchen bei der Präsentation?
«Durch Selbstberührungen werden sehr positive oder sehr negative Emotionen auf ein mittleres Mass geregelt», schreibt Psychologe und Haptikforscher Martin Grunwald in einem
Abstract
. Zum anderen würden die Berührungen, Gedächtnisinhalte reaktivieren, die in Gefahr sind, verloren zu gehen. Wenn wir uns mit jemandem unterhalten und ein anderer das Gespräch stört, wird unser Arbeitsgedächtnis belastet. Wir laufen Gefahr, den Faden zu verlieren. Um das zu vermeiden oder den Faden wiederzufinden, helfen Berührungen im Gesicht, wie der Forscher und sein Team in diversen Untersuchungen zeigen konnte.
Vor der nächsten Präsentation also 20 Sekunden die Lieblings-Kollegin knuddeln und währenddessen immer wieder die Nasenspitze halten – dann dürfte nicht mehr viel schiefgehen.
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