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Emotionale Berg- und Talfahrt Angstbooster Corona: Was die Pandemie mit uns macht

Das Virus weckt Ängste und verstärkt sie noch. Speziell bei Menschen, die ohnehin nicht unbeschwert durchs Leben gehen – aber nicht nur bei denen.

Leere Strassen, verwaiste Bahnhöfe, «Bleiben Sie zu Hause. Bitte.»-Plakate. Maskierte Menschen, geschlossene Restaurants und Kinos. Homeoffice, Impfzelte, «G-Regeln». Seit dem Shutdown vom 16. März 2020 bestimmen das Coronavirus und die Massnahmen zu seiner Eindämmung unseren Alltag. Unterbrochen von kurzen Schönwetterphasen der Hoffnung und Entspannung – bis die nächste Ansteckungswelle anrollt.

Die emotionale Berg- und Talfahrt liegt den Menschen in der Schweiz seit bald zwei Jahren auf der Seele. Und sie beschert der Psychiatrie Arbeit in noch nie da gewesenem Ausmass.

«Wir hatten noch nie so viele Patientinnen und Patienten, die mit Angstthemen zu uns gekommen sind», bestätigt etwa Chefärztin Katja Cattapan vom Sanatorium Kilchberg. Speziell im ersten Corona-Jahr hätten deutlich mehr Angstpatientinnen und Angstpatienten die ambulanten und stationären Angebote der Klinik in Anspruch genommen. «In der Psychiatrie war das Thema Angst das Allübergreifende», bilanziert Psychiaterin Cattapan.

In der Psychiatrie war das Thema Angst das Allübergreifende.
Autor: Katja Cattapan Psychiaterin

Im Fokus standen vor allem konkrete Ängste, etwa vor Gesundheitsgefahren für sich selbst oder Angehörige. Oft wurden auch Existenzängste geäussert. Und die sich plötzlich verändernden Tagesabläufe durch Schulschliessungen oder den Wechsel ins Homeoffice machten speziell Menschen zu schaffen, die von ihrer Persönlichkeit oder den Lebensumständen her nicht sonderlich flexibel sind.

Sich den eigenen Ängsten stellen

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Plastiskspinne
Legende: imago

Der Sinn der sogenannten Expositionstherapie ist es, dass der Patient durch die Konfrontation mit seinen Ängsten die irrealen Befürchtungen ablegen kann.

Übertriebene oder unrealistische Fantasien befeuern Angstgefühle und führen mitunter zu starken körperlichen Symptomen wie Herzrasen, Schweissausbruch, Übelkeit oder Atemnot. Es entsteht eine Angstspirale mit immer stärker ausgeprägtem Vermeidungsverhalten. Aus diesem Teufelskreis gilt es auszubrechen.

Hält der Angstpatient die Konfrontation mit dem angstmachenden Objekt oder der angstmachenden Situation aus, lassen die negativen Empfindungen durch den Erfolg, es geschafft zu haben und die damit verbundene Ausschüttung von Glückshormonen immer mehr nach. Die positiven Erfahrungen führen schliesslich dazu, dass das alte Angstmuster umprogrammiert wird.

Besonders erfolgreich ist diese Art der Therapie bei sehr spezifischen Ängsten wie der Angst vor Spinnen oder Schlangen, Höhenangst, Flugangst oder der Angst, vor vielen Menschen reden zu müssen.

Auch bei übertriebener Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus und dem Verzicht zum Beispiel mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, kann es helfen, es trotzdem zu tun. Und sich einfach entsprechend an die geltenden Empfehlungen zu halten.

In Studien wurde übrigens auch eine gute Wirksamkeit für App-basierte Angebote und Angebote mit Virtual Reality nachgewiesen.

Die Corona-Pandemie hat dabei nicht nur bereits bestehende Ängste verstärkt, sondern auch schlummernde Ängste geweckt. Johannes Beck, Psychiater und Chefarzt der Klinik Sonnenhalde in Riehen, fasst es so zusammen: «Menschen, die bereits eine Angststörung haben, leiden in der Pandemie stärker. Es sind aber auch viele Menschen mit Ängsten konfrontiert, für die eine solche Angststörung komplett neu ist.»

Wie hoch die psychische Belastung durch die nicht enden wollende Pandemie ist, zeigt die vierte und neuste Umfrage der Swiss Corona Stress Study der Universität Basel. Neurowissenschaftler Dominique de Quervain hat zum wiederholten Mal Daten von über 11'000 Personen aus der ganzen Schweiz ausgewertet.

  • Bei den Stressfaktoren bestehen erhebliche Unterschiede zwischen geimpften und ungeimpften Befragten : Ungeimpfte empfinden die Zertifikatspflicht als belastend, während die Mehrheit der Geimpften diese als entlastend erachtet. Geimpfte machen sich hingegen grössere Sorgen über die gesundheitlichen Konsequenzen von Covid-19.
  • Der Anteil der Befragten mit schweren depressiven Symptomen erreichte 2021 einen neuen Höchststand: Waren es im Frühjahr 2020 noch neun Prozent und während der zweiten Welle im Herbst 18 Prozent, berichten nun 19 Prozent der Studienteilnehmenden von Symptomen. Am stärksten betroffen sind weiterhin Junge und Menschen mit finanziellen Sorgen.

Angst vor dem beruflichen Versagen

Aktuell kreisen die Sorgen und Ängste der Menschen also primär um die Themen Ausbildung und Beruf und um die Einschränkungen durch die Corona-Massnahmen.

Auch Tamara Henderson machen die andauernden Unsicherheiten und die immer wieder ändernden Corona-Massnahmen zu schaffen. Die Geschäftsführerin des Chalet-Hotel Larix in Davos führt den Betrieb in dritter Generation und hat vor zehn Jahren das Zepter von ihren Eltern übernommen.

Was, wenn ich das Familienunternehmen jetzt an die Wand fahre?
Autor: Tamara Henderson Hotelchefin

Mittlerweile wird sie immer stärker von ungekannten Versagensängsten geplagt: «Einerseits geht es um meine Existenz. Andererseits geht es aber auch um ein Unternehmen, das schon ewig der Familie gehört. Wenn ich das jetzt an die Wand fahre, geht es der Familie verloren.»

Ende Dezember dann noch die Hiobsbotschaft, dass das WEF verschoben und ein weiteres Mal nicht in Davos stattfinden wird. Der Stresspegel steigt. Tamara Hendersons Existenzängste machen sich auch körperlich bemerkbar: «Ich kann nicht schlafen, stehe nachts wieder auf und gehe ins Büro.» Der Rückhalt in der Familie und ausgedehnte Spaziergänge mit ihrem Hund geben ihr im Moment die Kraft, durchzuhalten.

Bestehende Ängste werden noch verstärkt

Anders bei Maria, die seit ihrer Kindheit mit sozialen Ängsten lebt. Ihren richtigen Namen möchte die 60-Jährige nicht preisgeben. Maria hat Mühe mit dem Kontakt zu anderen Menschen, hat Hemmungen, etwas falsch zu machen, sich zu blamieren. Früher habe sie oft an der Türschwelle zu einem Vorstellungsgespräch kehrtgemacht und sei wieder nach Hause gegangen. Auch bei der Wohnungssuche waren die dafür notwendigen Kontakte eine Qual.

Soll es das jetzt gewesen sein? Geht das bis an mein Lebensende so weiter?
Autor: Maria Angspatientin

Schon früher habe sie deshalb professionelle Hilfe gesucht und dank einer Therapie gelernt, mehr auf Menschen zuzugehen. Die Corona-Pandemie habe nun aber alles noch schlimmer gemacht: «Ich habe generell Angst, dass ich mich isoliere. Jetzt fürchte ich, dass es noch tiefer in die Isolation geht.»

Fahrten im öffentlichen Verkehr machen ihr derzeit besonders zu schaffen. Obwohl Maria geimpft ist, hat sie Angst, doch jemanden anzustecken. «Jetzt werde ich 60 und frage mich: Soll es das gewesen sein? Geht das so bis zu meinem Lebensende weiter?» So etwas Schlimmes habe sie noch nie erlebt.

Seit einem Monat ist sie deshalb wieder in der psychiatrischen Tagesklinik Sonnenhalde. «Wenn jemand ohnehin schon sehr ängstlich ist und jetzt ganz wenig soziale Kontakte hat und sehr zurückgezogen lebt, dann fehlt das wichtige Übungsfeld und man hat praktisch ständig eine Vermeidungssituation», erklärt Chefarzt Johannes Beck.

Auf lange Sicht sei das bei einer Angststörung keine gute Situation. Deshalb prüft die Klinik ein Angebot mit virtueller Realität, das Maria nun testet. Ihre Aufgabe: ein Referat vor einem virtuellen Publikum halten und sich so an die Bewältigung der einschüchternden Situation im realen Leben herantasten.

«Angst ist sinnvoll, solange sie begründet ist»

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Dominique de Quervain im Gesprächmit Daniela Lager
Legende: Dominique de Quervain ist Professor für Neurowissenschaften und Direktor der Abteilung kognitive Neurowissenschaften an der Universität Basel und Autor der Swiss Corona Stress Study. SRF

SRF: Macht es Ihnen etwas Angst, wenn Sie die Resultate Ihrer Angst- und Stress-Studie anschauen?

Dominique de Quervain: Was tatsächlich nicht gut ist, ist diese doch hohe Rate an Menschen, die schwere Symptome haben und dass vor allem die Jungen stark betroffen sind. Unsere jüngste Gruppe ist zwischen 14- und 24-jährig. Diese Gruppe zeigt in der Umfrage die höchsten Werte. Das widerspiegelt sich eben auch in den psychiatrischen Kliniken, dort gibt es im Moment Versorgungsengpässe.

Was macht das mit unserem Körper, wenn wir über längere Zeit Ängsten und Stress ausgesetzt sind?

Da kann es zu einer chronischen Stresssituation kommen, deren Schädlichkeit bekannt ist. Eine solche Situation ist zum Beispiel ein Risikofaktor für Depression mit Symptomen von Motivationsverlust über Schlafstörungen bis zu noch stärkeren körperlichen Zeichen.

Angst macht evolutionsgeschichtlich doch durchaus Sinn – ohne Angst vor dem Säbelzahntiger wären wir vielleicht bereits ausgestorben?

Das ist richtig. Das Gefühl der Angst hilft uns zu überleben. In einer akuten Bedrohungssituation setzt der Körper Energien frei, damit wir eine Chance zur Flucht oder zum Kampf haben.

Angst ist also sinnvoll, solange sie begründet ist. Wenn aber eine Person im gut gesicherten Turm des Basler Münsters Höhenangst hat, dann ist diese Angst irrational. Und das ist dann auch der Moment, in dem die Angst eine klinische Bedeutung bekommt. Dann nämlich, wenn die Angst unbegründet und übertrieben ist und belastend wird.

Während die einen eher zum Angsthasen tendieren, zeigen sich andere draufgängerisch und suchen die Angstlust beim ungesicherten Klettern zum Beispiel. Wie bewerten Sie diesen Umstand als Angstforscher?

Ich denke nicht, dass es die Lust an der Angst ist. Angst ist eigentlich kein positives Gefühl. Ich denke, es geht dabei mehr um die Lust an der Überwindung. Oder um die Belohnung, wenn man die Angst überwunden hat und die Sache gelungen ist.

Man beweist sich selbst und anderen etwas und erlebt durch die Ausschüttung von entsprechenden Hormonen dieses intensive Glücksgefühl. Dieser Trieb an Grenzen zu gehen, hat der Gesellschaft viele Erkenntnisse und Entdeckungen gebracht.

Ohne die Mutigen hätten wir uns wahrscheinlich nicht so entwickelt, wie wir uns entwickelt haben. Wenn man die Risiken aber falsch einschätzt, dann ist vom Heldentum schnell nicht mehr viel übrig.

Sind Sie angstfrei?

Nein. Ich glaube, jeder Mensch hat vor etwas Angst. Ich hatte eine leichte bis mittlere Höhenangst. In der Zwischenzeit ist diese fast verschwunden, da ich fleissig mit der von uns an der Universität Basel entwickelten virtuellen Technologie zur Bekämpfung der Höhenangst herumgespielt habe.

Das Gespräch führte Daniela Lager.

Der Ansatz hat Potenzial, ersetzt aber nicht die herkömmliche Verhaltenstherapie. Mit ihrem Therapeuten übt Maria deshalb weiterhin das Verhalten im ganz normalen Alltag, damit nicht jede Coronawelle die kleinen Fortschritte im Kampf mit der Angst wieder wegspült.

Hier finden Sie Hilfe in der Coronazeit

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Corona beschäftigt uns alle. Unten finden Sie eine Liste mit Hotlines und Ratgebern rund um Corona.

BAG Infoline Coronavirus : 058 463 00 00 (täglich 6 bis 23 Uhr)

BAG Infoline Corona-Impfung : 058 377 88 92 (täglich 6 bis 23 Uhr)

Dureschnufe : Plattform für psychische Gesundheit rund um das neue Coronavirus

Angst und Panikhilfe Schweiz , Hotline: 0848 801 109 (10 bis 12 und 14 bis 17 Uhr)

Eltern-Notruf Schweiz , Hotline: 0848 35 45 55 (24x7)

Pro Juventute , Hotline für Kinder- und Jugendliche: 147 (24x7)

Schweizer Sorgen-Telefon : 143 (24x7)

Suchthilfe Schweiz : Hotline für Jugendliche im Lockdown 0800 104 104 (Di. bis Do. 9 bis 12 Uhr)

Branchenhilfe.ch : Ratgeberportal für Corona betroffene Wirtschaftszweige

Puls, 10.01.2022, 21:05 Uhr

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