Die Reisen des Walfängers William Scoresby ins Packeis (1806)
Die Reise: Wie viele Walfänger im 19. Jahrhundert segelte der britische Forscher William Scoresby fast schon routinemässig in die eisigen Gewässer zwischen Grönland und Spitzbergen. Aber kaum einer kannte sie besser als er, und kaum ein Walfänger beobachtete die Umwelt besser.
In einem seiner Berichte beschrieb Scoresby 18 verschiedene Eisarten auf dem Meer. Er berichtete auch, wie er aus transparentem Eis eine Linse schliff, mit der er das Sonnenlicht so bündelte, dass er sich eine Pfeife anzünden konnte.
Auch William Scoresbys Vater war Walfängerkapitän. Im April 1806 beschlossen sie, mit ihrem Schiff so weit ins Packeis vorzustossen, wie es nur ging.
Als sie steckenblieben, erfanden sie eine Methode, um trotzdem weiterzukommen: Sie liessen ihre Crew abwechselnd von einer Seite des Schiffs zur anderen rennen. Dadurch geriet es ins Schwanken und brach das Eis auf beiden Seiten auf.
Das Quecksilber im Thermometer gefriert.
Aus dem Bericht: «Extreme Kälte hat einmalige Auswirkungen. Das Blut fliesst schneller in den Adern, das Innere der Nase fühlt sich wie ausgedorrt an. Die Lippen zieht es völlig zusammen.
Wenn die Zunge ein Stück Metall berührt, friert sie sofort fest. Reisst man es los, bleibt ein Stück Haut daran kleben. Metall wird spröde, und das Quecksilber im Thermometer gefriert.»
Sir Edward Parrys Versuch einer Bootsreise zum Nordpol (1827)
Die Reise: Edward Parry war bereits ein gefeierter Arktisfahrer, als er 1826 der britischen Admiralität einen kühnen Plan vorschlug. Er wollte nach Spitzbergen segeln, das Schiff dort parken und mit Booten zum Nordpol vorstossen.
Zwischen Spitzbergen und dem Pol liegen 1000 Kilometer schwierigstes Gelände: ein Gemisch aus Packeis, offenem Wasser und Eisschollen. Parrys Boote sollten klein genug sein, dass seine Männer sie übers Packeis schleifen konnten.
Am 21. Juni 1827 starteten Parry und 27 Gefährten mit zwei Booten vom Mutterschiff, der «Hecla». Anfangs konnten sie segeln, aber bald stiessen sie auf das Packeis.
Die Männer mussten die 1,5 Tonnen schweren Boote über das zerklüftete Eis zerren. 150 Kilometer hielten sie durch, dann rang sich Parry zum Abbruch durch. Das Eis begann schneller nach Süden zu driften, als die Männer nach Norden vorwärtskamen.
Sie hatten eine nördliche Breite von 82° 45' erreicht – etwa 800 Kilometer vom Pol entfernt. So nah, wie kein Mensch vor ihnen. Der Rekord hielt 50 Jahre.
In diesem Gelände brauchten wir manchmal über zwei Stunden, um 100 Meter zurückzulegen.
Aus dem Bericht: «Es ist kaum zu vermitteln, wie schwierig es war, voranzukommen. Die Oberfläche der Eisscholle bestand aus einer Schneeschicht von etwa 25 Zentimeter Dicke. Darunter stand 20 Zentimeter tiefes Wasser. Oft sanken wir aber sogar einen Meter tief ein, sodass man sich fast nicht mehr aus dem Schnee befreien konnte.
Immer wieder gab es offene Wasserflächen, in denen uns das eisige Wasser bis über die Knie reichte. In diesem Gelände brauchten wir manchmal über zwei Stunden, um 100 Meter zurückzulegen.»
Die Entdeckungsreise von Carl Weyprecht und Julius Payer (1872)
Die Reise: Die beiden Österreicher Carl Weyprecht und Julius Payer segelten 1872 mit der «Admiral Tegetthoff» von Norwegen Richtung Nordosten, um die unbekannte Region zu kartieren. Bereits nach einem Monat blieb die «Tegetthoff» im Eis stecken.
Das Eis bewegte sich weiter und nahm das festgefrorene Schiff mit. Auf dieser Drift entdeckten Weyprecht und Peyer eine Inselgruppe, die sie zu Ehren Kaiser Franz I. Franz-Josef-Land tauften.
Die «Tegetthoff» wurde mehrfach vom Packeis fast zerdrückt. Als das Schiff auch nach einer zweiten Überwinterung nicht freikam, beschlossen die beiden Expeditionsleiter, die «Tegetthoff» zu verlassen und sich zu Fuss nach Süden durchzukämpfen – mit Booten im Gepäck.
Nach wochenlanger Plackerei trieb der Wind das Eis so weit nach Norden, dass die Mannschaft ihr Schiff wieder erblickte. Weyprecht trieb die entmutigten Männer an, und schliesslich erreichten sie doch noch den Rand des Packeises und ruderten nach Süden. Auf dem Weg wurden sie von russischen Schiffen aufgenommen.
Die Monate Juli und August verliefen mit der beschwerlichen Arbeit, das Schiff rings aus seinen Fesseln zu sägen.
Aus dem Bericht: «Am 25. Februar liess die bisherige Folter der Eispressungen fast plötzlich und für immer nach, nachdem sich rings um das sowohl achter gehobene als backbord geneigte Schiff eine wahre Ringmauer klippiger Eisgebirge emporgepresst hatte.
Mit dem Beginn des Sommers 1873 bestärkte sich in uns die langgehegte Hoffnung, dass die Zerstörung unserer Scholle und unsere Befreiung endlich bevorstehe. Alles aufbietend, ein solches Ereignis zu beschleunigen, verliefen die Monate Juli und August mit der beschwerlichen Arbeit, das Schiff rings aus seinen Fesseln zu sägen.
Doch das vielfach untergeschobene, bis zu 40 Fuss dicke Eis vereitelte alle Bemühungen, die Mitte des Schiffs und der hoch erhobene Achterteil blieben unbeweglich auf einer mächtigen Eistafel liegen.»
George De Long und die Katastrophe der «USS Jeannette» (1879)
Die Reise: Der US-amerikanische Kapitän George De Long fuhr 1879 mit dem Dampfsegler «USS Jeannette» durch die Beringstrasse im Nordpazifik und gelangte in den arktischen Ozean.
Noch im selben Jahr fror das Schiff vor Ostsibirien im Packeis ein. Im Januar 1880 wurde der Eisdruck so gross, dass das Schiff leck wurde. Es blieb fast zwei Jahre eingeschlossen.
Vergeblich versuchte die Mannschaft, das Leck abzudichten, unablässig liefen die Pumpen, und verbrauchten dabei die Kohle, die fürs Heizen nötig gewesen wäre.
Schliesslich zerdrückte das Eis 1881 die «Jeannette» endgültig, sie sank. De Long und seine Männer kämpften sich über das zerklüftete Packeis bis zum offenen Meer.
Im Sturm schafften zwei von drei Booten die Überfahrt zur sibirischen Küste, eines blieb verschollen. Die beiden erfolgreichen Boote verloren sich aus den Augen. Die Besatzung des einen fand zu Einheimischen und überlebte. De Long und einige Begleiter verhungerten in der nordsibirischen Einöde.
Der Schiffsingenieur George Melville durchstreifte nach seiner Rettung über ein halbes Jahr lang Sibirien und spürte schliesslich die Überreste seines toten Kapitäns samt Tagebüchern auf.
Um 10 Uhr 30 morgens hörte Sharvell, dass Wasser in den untersten Teil des Schiffs floss.
Aus dem Bericht: «19. Januar 1880. Ein Tag grosser Angst. Um 1 Uhr 30 in der Früh war lauter Lärm zu vernehmen, als ob die Spanten des Schiffs zersplitterten. Das Eis vor dem Schiffsbug zerbrach und türmte mächtige Bruchstücke auf.
Der Druck auf das Schiff war gewaltig. Da es fest im Eis eingefroren war, konnte es nicht ausweichen und auch nicht aus dem Eis aufsteigen. Um 10 Uhr 30 morgens hörte Sharvell, dass Wasser in den untersten Teil des Schiffs floss.»
Fridtjof Nansen und die Drift der «Fram» (1893)
Die Reise: Alles begann mit einem kühnen Plan des norwegischen Arktisforschers Fridtjof Nansen. Er hatte gerade als erster Mensch den Eisschild Grönlands auf Skiern überquert, hatte ein halbes Jahr bei den Inuit dort gelebt, kannte sich also aus im Eis. Und er kannte das Schicksal der «USS Jeannette», die vor Ostsibirien vom Packeis zerdrückt wurde, und sank.
Wrackteile der «Jeannette» wurden an der Südwestküste Grönlands gefunden. Nansen schloss daraus, dass es eine Eisströmung von Ostsibirien über die Polregion bis nach Grönland geben musste.
Er entwarf ein besonders robustes Schiff mit einem stark gerundeten Rumpf. Durch diese Form sollte das Schiff bei grossem Eisdruck angehoben statt zerdrückt werden.
Das Schiff wurde «Fram» getauft. 1893 dampfte Nansen mit ihr nach Ostsibirien und liess sie einfrieren. Doch die Reise dauerte länger als erwartet. Nach zwei Überwinterungen liess Nansen die Mannschaft auf der Fram zurück und versuchte, mit einem Gefährten auf Skiern und mit Hundeschlitten übers Packeis zum Nordpol zu gelangen.
Sie kamen bis 86° 14' Nord – so nah zum Pol wie niemand zuvor. Aber dann drehten sie um: Auch für Nansen und Fredrik Johansen war das zerklüftete Packeis ein zu grosses Hindernis.
Mühevoll kämpften sie sich bis nach Franz-Josef-Land durch, wo sie eine primitive Hütte bauten und überwinterten. Im Sommer stiessen sie auf eine britische Expedition, die sie 1896 nach Norwegen mitnahm. Sonst hätten Nansen und Johansen noch den offenen arktischen Ozean bis Spitzbergen im Kajak überqueren müssen. Die Fram traf nach drei Jahren Drift eine Woche nach Nansen wohlbehalten in Norwegen ein.
Gedanke folgt auf Gedanke, aber einer sticht heraus: Warum bist Du auf diese Reise gegangen?
Aus dem Bericht: «Still sitze ich hier alleine in der Winternacht auf einer driftenden Eisscholle und sehe nur Sterne über mir. Gedanke folgt auf Gedanke, aber einer sticht heraus: Warum bist Du auf diese Reise gegangen? Hätte ich anders gekonnt? Kann ein Fluss seinen Lauf umdrehen?
Mein Plan funktioniert nicht. Das Theorie-Gebäude, das ich stolz und selbstbewusst errichtet habe – wider alle dummen Einwände – es ist beim ersten Windhauch eingestürzt.
Du kannst Dir sicher sein: Die genialsten Theorien werden von der Realität widerlegt. War ich mir so sicher? Ja, manchmal schon. Aber wenn ich falsch liege, was dann? Nur enttäuschte menschliche Hoffnungen, nichts weiter. Selbst wenn wir umkommen, was bedeutet das im endlosen Lauf der Ewigkeit?»
Die tragische Ballonreise des Salomon Andrée (1897)
Die Reise: Der schwedische Ingenieur Salomon Andrée war Ballon-Enthusiast. Mit einem Gasballon wollte er von Spitzbergen zum Pol reisen. Er bastelte lange an einem System, um einen Gasballon lenkbar zu machen: Er liess Seile vom Ballon herunterhängen, deren Enden auf dem Boden schleiften, und dem Gefährt so eine Trägheit gegenüber dem Wind verschafften. Mit einem Segel, das am Ballon befestigt war, konnte Andrée dies zum Lenken ausnutzen.
Am 11. Juli 1897 startete er mit zwei Gefährten von der Insel Danskøya bei Spitzbergen. Beim Start verhedderten sich die Leitseile und gingen verloren, der Ballon war vollends eine Geisel des Windes.
Oft war es neblig, und die Feuchtigkeit setzte sich auf dem Ballon ab, der immer schwerer wurde und absank. Nach anderthalb Tagen trieben Andrée, Nils Strindberg und Knut Fraenkel nur knapp über dem Eis, ihre Gondel schlug immer wieder darauf auf. Nach drei Tagen landeten sie auf dem Eis.
Die drei Männer mussten zu Fuss über das Gemenge aus Eisschollen und Wasser Richtung Süden flüchten, um eine der Inseln im Spitzbergen- oder Franz-Josef-Land-Archipel zu erreichen.
Sie konnten ihre schweren Lastschlitten kaum über die Klüfte und Kanäle zerren. Der Wind trieb die Eisschollen immer wieder nach Norden, oft hungerten sie. Entkräftet erreichten sie nach knapp drei Monaten die unwirtliche Insel Kvitøya, wo sie überwintern wollten. Vermutlich starben sie wenige Tage danach.
Das Rätsel ihres Verbleibs wurde erst 33 Jahre später gelüftet, 1930, als ihr Camp zufällig entdeckt wurde. Mitsamt ihren Überresten, Aufzeichnungen und belichteten Filmen, die noch entwickelt werden konnten.
Wir essen die ganze Robbe, ausser das Fell und die Knochen. Ich nehme dabei den Magen nicht aus.
Aus dem Bericht: «Am 15. konnten wir endlich eine Robbe erlegen. Ich hatte das Glück, ihr direkt eine Kugel in den Kopf jagen zu können. Sie war auf der Stelle tot, und so konnten wir sie gut aus dem Wasser fischen.
Dies verschaffte uns ganz passable Essensrationen für drei Wochen. Wir essen die ganze Robbe, ausser das Fell und die Knochen. Ich nehme dabei den Magen nicht aus und auch nicht den Inhalt des Magens und der Gedärme. Aber der Mageninhalt bestand fast nur aus leeren Krebsschalen.
Jeder Teil der Robbe schmeckt sehr gut (angebraten). Wir mögen speziell das Muskelfleisch und die Fettschicht (Blubber).
Die Eisbären scheinen verschwunden zu sein, nur Elfenbeinmöwen sind zu sehen. Wir verschmähen sie nicht, aber es braucht zu viel Munition.»