Die Erwartungen waren enorm, als das «Human Genome Project» -Konsortium im Februar 2001 die Entschlüsselung des menschlichen Genoms publizierte. Krankheiten wie Krebs, Alzheimer oder Parkinson sollten bald heilbar sein – so die hochfliegenden Hoffnungen damals.
Nach der Freude kommt die Ernüchterung
Heute, mehr als 20 Jahre später, ist die Forschung längst nicht so weit. Es sei eben doch nicht ganz so einfach mit dem menschlichen Erbgut wie man noch im Jahr 2000 gedacht habe, sagt der Genetiker und emeritierte Professor Hans Lehrach rückblickend. Er war in den 1990er-Jahren Sprecher für den deutschen Teil des «Human Genome Project». «Das war nicht einfach ein Bauplan, den ein geschulter Ingenieur nur lesen musste.»
Hinzu kommt: Die Analysegeräte, mit denen die Forschenden damals für das «Human Genome Project» arbeiteten, konnten noch nicht das ganze menschliche Erbgut auslesen. Eugene Myers, einer der wichtigsten Bioinformatiker jener Zeit, erinnert sich: «Wir entschlüsselten damals jene Teile des menschlichen Erbguts, die wir technologisch überhaupt entschlüsseln konnten. Das waren nur ungefähr 85 Prozent des gesamten Erbguts.»
Übersetzt in die Sprache der Genetik bedeutet das: Das Buch, welches den Bauplan für einen Menschen enthält, konnte damals erst zu 85 Prozent entziffert werden. Mehrere Kapitel fehlten aber. Diese Kapitel waren besonders: Man kann sie sich vorstellen, wie wenn über viele Seiten hinweg immer wieder ein und dasselbe Wort stehen würde.
Mit diesen tausendfachen Wiederholungen kamen genetische Analysegeräte lange nicht zurecht.
Die restlichen 15 Prozent
Erst 2018 kamen die ersten Analysegeräte auf den Markt, die diese Wiederholungen im Erbgut auslesen konnten. Damit gelang es der Genetikerin Karen Miga von der Universität Kalifornien, zusammen mit fast hundert weiteren Forschenden, die verbleibenden 15 Prozent im Buch mit der Anleitung für den Menschen zu ergänzen. Dieser letzte Meilenstein in der Genforschung wurde vor wenigen Wochen in der Fachzeitschrift Science publiziert.
Nun, da sich Karen Miga und ihre Kolleginnen das gesamte Erbgut eines Menschen genau anschauen konnten, stellen sie überrascht fest: «Wir hatten erwartet, diese Abschnitte voller Wiederholungen seien sehr ähnlich zwischen zwei Menschen. Stattdessen fanden wir unerhört grosse Unterschiede zwischen Menschen aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen», so Karen Miga.
Forschung an mehreren hundert Menschen
Unser Erbgut scheint also stärker zu variieren als bisher angenommen. Dieser Aspekt war beim Start des «Human Genome Project» nicht berücksichtig worden. Die Blutproben, die damals benutzt wurden, stammten grösstenteils von nur einem knappen Dutzend Probanden; 70 Prozent des damals entschlüsselten Genoms stammte von einem einzigen Mann.
Diesen Schwachpunkt wollen nun verschiedene Projekte beheben. Eines davon ist das «Human Pangenome Project» , das die Erbsubstanz von mehreren Hundert Menschen aus verschiedenen Weltregionen untersuchen will. Die neuen Analysetechniken sollen Aufschluss darüber geben, ob spezifische Krankheiten bei bestimmten Bevölkerungsgruppen allenfalls genetisch bedingt sind – und wie man diese Erkrankungen gezielter behandeln kann.
Die US-Genetikerin Karen Miga ist sich sicher: Die nächsten Jahre würden zeigen, was die neu nun lesbaren Kapitel im menschlichen Erbgut an Überraschungen und Erkenntnissen bereithielten.