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Werden wir wieder dümmer?
Aus Kultur kompakt vom 03.04.2024. Bild: IMAGO / Pond5 Images
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IQ stagniert Wird die Menschheit wieder dümmer?

Lange galt: Wir werden immer intelligenter. Doch seit einiger Zeit stagnieren die Leistungen in IQ-Tests, manchmal gehen sie sogar zurück. Was hat das zu bedeuten?

Intelligenztests sind umstritten, aber doch recht breit akzeptiert, wenn es darum geht, die Intelligenz zu messen. Da es keine einheitliche Definition von Intelligenz gibt, variieren auch die Tests. Manche gewichten das abstrakte Denken stärker, andere das räumliche Vorstellungsvermögen oder das Allgemeinwissen.

Was aber jeder Intelligenztest abfragt, ist die Fähigkeit, aus vorgegebener Information logische Schlüsse zu ziehen. Zum Beispiel Zahlenreihen zu vervollständigen: 3, 6, 9, 12 – was folgt als nächstes?

Was ist der IQ genau?

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Der Intelligenzquotient (IQ) gibt an, wie gut man in einem Intelligenztest abgeschnitten hat. Ermittelt wird der IQ immer im Vergleich zu einer grösseren Gruppe, die den Test gemacht hat, wobei der grosse Durchschnitt bei 100 festgelegt wird. Die meisten Menschen erzielen daher Werte irgendwo zwischen 85 und 115. Verändern sich die Intelligenzwerte der Gesamtgruppe, zum Beispiel über die Zeit hinweg, wird der IQ-Test so nachjustiert, dass der durchschnittliche IQ wieder bei 100 liegt.

Wer bei solchen Aufgaben 100 Punkte erreicht, gilt als durchschnittlich intelligent. Wer auf über 130 Punkte kommt, als hochintelligent. Die Tests und deren Auswertungsschlüssel werden laufend nachjustiert.

Würden wir die ersten Tests, welche zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufkamen, verwenden – dann würde der Grossteil unserer heutigen Bevölkerung als hochintelligent eingestuft werden. Denn die gemessene Intelligenz ist während des letzten Jahrhunderts laufend gestiegen.

Warum der IQ im 20. Jahrhundert anstieg

Dieser IQ-Höhenflug oder «Flynn-Effekt» ist nicht etwa eine Folge ungenügender Testqualität, sondern die Menschheit wurde tatsächlich klüger.

Der Flynn-Effekt

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James Flynn, ein US-Politologe, der in Neuseeland geforscht hat, hat den schleichenden Anstieg des IQ als erster festgestellt. Im Jahr 1987 hat er anhand von Testergebnissen aus 14 Industrienationen gezeigt, dass die Zunahmen der IQ-Werte im letzten Jahrhundert zwischen 5 und 25 Punkte pro Generation betrugen.

Der Grund: Die Lebensbedingungen haben sich im letzten Jahrhundert stark verändert, sagt Lernforscherin Elsbeth Stern von der ETH Zürich: «Nur schon die Schulzeit hat sich von sieben Jahren auf elf Jahre verlängert. Die medizinische Versorgung hat sich verbessert. Wir ernähren uns besser.» All das habe dazu geführt, dass immer mehr Menschen ihre Intelligenz «voll ausschöpfen konnten».

Schluss mit «immer besser und klüger»

Seit Mitte der 1990er-Jahre allerdings ist Schluss mit dem IQ-Anstieg. Seither stagniert die gemessene Intelligenz. Eine mögliche Erklärung: «Da ist man vielleicht so ein bisschen ans Limit gestossen», so Elsbeth Stern. Sprich: Man hat optimiert, was möglich war und stösst nun bei der Intelligenz an, die genetisch vorgegeben ist.

Sinkende IQ-Werte bei norwegischen Rekruten

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Sinkende Intelligenzwerte haben Studien etwa in Dänemark, Australien und Grossbritannien festgestellt. Die bekannteste Untersuchung stammt aus Oslo aus dem Jahr 2018.

In dieser Studie haben norwegische Rekruten und Rekrutinnen mit Geburtsjahrgang 1962 bis 1991 IQ-Tests gelöst. Dabei wurden sinkende IQ-Werte bei den Jüngeren festgestellt.

Zugleich stellten die beiden Forscher fest: Diese Veränderung lässt sich nicht durch genetische Veränderungen erklären, sondern muss durch Umweltfaktoren bedingt sein. Denn die etwas tieferen Intelligenzwerte der Jüngeren zeigten sich auch bei Geschwistern innerhalb der gleichen Familie. Welche Umweltfaktoren das sein könnten, konnten die Forscher bislang nicht zeigen.

Das wäre ja ganz okay. Bloss wurden in den letzten Jahren auch einzelne Studien publiziert, die jüngst etwa bei skandinavischen Rekrutinnen und Rekruten sogar wieder sinkende IQ-Werte feststellten.

Müssen wir uns Sorgen machen? Noch nicht. Denn ein allgemeiner Trend lasse sich noch nicht erkennen, so Elsbeth Stern. Aber genau hinschauen sollte man schon, vor allem bei der Generation, die jetzt mit Handy, iPads etc. aufwächst. «Wenn kleine Kinder nur noch visuelle Erfahrungen machen – zum Beispiel Katzen nur noch auf dem Bildschirm sehen, statt sie auch zu streicheln – kann sich das schon auswirken.» Ob und wie sich das auswirkt, wird man sehen.

Wir haben heute Probleme in der Schule
Autor: Elsbeth Stern ETH-Lernforscherin

Schon heute ein ernsthaftes Problem sieht die ETH-Lernforscherin hingegen beim Umsetzen von Intelligenz in Wissen. Gerade in Mitteleuropa hätten wir Probleme mit der Schule. «Der Lehrpersonenmangel spielt da mit rein. Zugleich bestimmt die soziale Herkunft immer mehr, ob es ein Kind ans Gymnasium schafft.» Man müsse daher in gute Schulen für alle investieren, betont Elsbeth Stern.

Nicht, dass das Rad der Zeit sich wieder zurückdreht – und wieder mehr Menschen ihre Intelligenz nicht voll ausschöpfen können. 

Kultur-Kompakt, 3.4.2024, 12:04 Uhr

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