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Mensch Landesausstellungen: Ein schweizerisches Unikum

Jeder und jede von uns erlebt irgendwann in seinem Leben eine nationale Expo. Was für die Schweiz die Regel ist, ist überall sonst unbekannt: Als einziges Land weltweit feiert sie sich und seine Bewohner regelmässig. Innerhalb von 120 Jahren fanden sechs Landesausstellungen statt. Eine Rückschau.

Zürich 1883: 6000 Aussteller und umstrittene Schulpflicht

Auf dem Zürcher Platzspitz präsentiert sich erstmals Schweizer Gewerbe und Industrie gemeinsam dem ganzen Land. Besondere Aufmerksamkeit geniesst der Kanton Tessin, der ein Jahr nach der Eröffnung des Gotthard-Eisenbahntunnels näher an die Deutschschweiz gerückt ist. Wichtig ist den Veranstaltern der ersten Schweizer Expo die Entwicklung des Nationalbewusstseins. Die Ausstellung ist deshalb eine rein schweizerische Leistungsschau, an der sich einheimisches Schaffen ohne Konkurrenz aus dem Ausland präsentieren kann.

Festakt zur Eröffnung der Landesausstellung 1883
Legende: Zürich 1883: Eröffnung der Landesausstellung im Tonhallesaal wikipedia

Der Bund nützt die Gelegenheit, um auf die Bedeutung der Schulpflicht aufmerksam zu machen, die in ländlichen Gebieten immer noch umstritten ist und erst seit neun Jahren in der Bundesverfassung steht. Schliesslich überzeugen die Resultate der Rekrutenprüfung viele Skeptiker: In Städten, wo Lehrer viel mehr verdienen und die Klassen viel kleiner sind als in Bergkantonen, schneiden die angehenden Soldaten wesentlich besser ab.

Die Landesausstellung 1883 in Zürich verbucht 1,75 Millionen Eintritte – vor allem Männer, heisst es. Frauen haben offenbar andere Aufgaben, als sich um Handel und Gewerbe zu kümmern...

Genf 1896: «Village Suisse» und schlechtes Wetter

Plakat Landesausstellung 1896
Legende: Genf 1896: Neben dem «Village Suisse» präsentierten die Ausstellungsmacher ein «VillageNègre» Bibliothèque nationale de France

Schon 13 Jahre nach Zürich findet wieder eine Landesausstellung statt. 2,3 Millionen Eintritte werden verkauft – deutlich weniger als erhofft, denn neben der Ausstellung steht ein Vergnügungspark. Aber das Wetter ist in diesem Sommer derart schlecht, dass viele die lange Reise nach Genf nicht antreten. Sie verpassen unter anderem das «Village Suisse«, den kitschigen Nachbau eines Schweizer Bergdorfs, inklusive Wasserfall, weidenden Kühen, Sennen, Trachtenträgerinnen und mehreren Dutzend Häusern, überwiegend im Chalet-Stil. Die Idylle löst auch Kritik aus, weil sie die gesellschaftlichen Probleme ausklammere.

Unkritischer wird das «Village Nègre» bestaunt: Ein Genfer Geschäftsmann holt 230 Sudanesen an die Landesausstellung und stellt sie aus. Dort leben sie in Lehmhütten und frieren in diesem Schlechtwetter-Sommer ziemlich oft.

Bern 1914: Beginn im Frieden, Ende im Krieg

Plakat Landesausstellung 1914
Legende: Bern 1914: Unbeschwerte Zeit bis zum ersten Weltkrieg wikipedia

Die Landesaustellungen beginnen, Tradition zu werden. Die dritte Ausgabe in Bern lockt 8'000 Aussteller und weit über 3 Millionen Besucher an. Statt einem «Village Suisse», wie 28 Jahre zuvor, prägte ein einheitliches Berner Dorf das Bild; statt Kitsch – wie 1896 in Genf – soll das Original gezeigt werden. Die Westschweizer, denen vieles etwas zu germanisch daherkommt, können sich damit weniger anfreunden als die Deutschschweizer.

So sind die zunehmenden Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich auch an der Ausstellung zu spüren. Mitten während der Ausstellung werden am 1. August 220'000 Männer zur Mobilmachung aufgerufen und man erwägt ernsthaft die vorzeitige Schliessung der Ausstellung. Der Bundesrat spricht sich dagegen aus. Was offiziell als «Messe zur Exportförderung» beginnt, wird umfunktioniert: Jetzt sollen die Besucher sich mit einheimischen Produkten identifizieren und Schweizer Waren kaufen.

Zürich 1939: Geistige Landesverteidigung, Schifflibach und Trudy Gerster

An der sogenannten «Landi» schöpfen Schweizerinnen und Schweizer Mut und Zuversicht für die folgenden Kriegsjahre. So jedenfalls wird es im Rückblick wahrgenommen. Die Darstellung der Wehrbereitschaft der Schweiz und der nationalen Einheit ziehen sich denn auch wie ein roter Faden durch die Ausstellung.

Luftaufnahme des Dörflis an der Landi 1939
Legende: Zürich 1939: Auch diesmal war ein Dörfli Teil der Landesausstellung Wikipedia / Walter Mittelholzer

Wieder ist ein «Dörfli» Teil der Ausstellung. Es liegt am einen Ufer des Zürichseees und kann vom anderen per Luftseilbahn erreicht werden. Kurz nach den wirtschaftlichen Krisenjahren besteht grosses Interesse an Industrie, Gewerbe und Handel. Diese nutzen die Gelegenheit und präsentieren sich in einer grossen Leistungsschau.

Besucherinnen und Besucher können sich im «Schifflibach» in kleinen Booten durch die Ausstellung treiben lassen. Das ungewöhnliche Transportmittel ist ein phänomenaler Erfolg. Zwei Millionen Besucherinnen und Besucher benutzen die bequemen Besichtigungsmöglichkeit. Bei Kriegsausbruch Anfang September wird die Ausstellung vier Tage geschlossen. Dem Erfolg tut dies keinen Abbruch: Insgesamt verzeichnet die «Landi» über zehn Millionen Eintritte.

Lausanne 1964: Zensierte Volksmeinung und technische Wunderwerke

Erstmals erhalten gesellschaftspolitische Themen grosse Bedeutung. Auf dem «Weg der Schweiz» stellt der Riese Gulliver den Besucherinnen und Besuchern Fragen zu ihrem Verhältnis zur Schweiz. Diese Befragung wirft hohe Wellen: Der Bundesrat interveniert nämlich schon im Vorfeld, verhindert viele kritische Fragen und später auch die Veröffentlichung der Daten. So dürfen beispielsweise keine Fragen zur Wehrpflicht, zum Schwangerschaftsabbruch oder zur 40-Stunden-Woche gestellt werden.

Igelförmiger Betonpavillon der Armee bei der Expo 1964
Legende: Lausanne 1964: Zeitgeist prägt Architektur, besonders gut sichtbar bei Armeepavillon Sozialarchiv

Audio-visuelle Ausstellungen haben enorm an Bedeutung gewonnen. In Pavillons mit Namen wie «Polyvision» oder «Circorama» werden mit technischen Innovationen spektakuläre Rundum-Bilder gezeigt. Die Armee präsentiert sich in einem igelförmigen Betonbunker mit einem aufwändig produzierten Film und natürlich ist auch das Fernsehen erstmals präsent. Auch sonst spielen Technik und Wissenschaft eine grosse Rolle: Die Monorail-Bahn führt die Besucher übers Gelände und das U-Boot «Mesoscaphe» auf den Grund des Genfersees.

Nach Anlaufschwierigkeiten wurde auch die Expo in Lausanne zu einem grossen Publikumserfolg: Wieder reisen über zehn Millionen Besucher zur Landesausstellung.

Murten, Yverdon, Neuenburg, Biel und Jura 2002: Nach Kontroversen zum Erfolg

Schon in den 1980er-Jahren beginnen die Diskussionen um die jüngste Landesausstellung. Vom 25-Jahr-Rhythmus her müsste sie 1989 stattfinden. Im Hinblick auf das 700-Jahr-Jubiläum der Eidgenossenschaft wird sie auf 1991 verschoben. Die Innerschweizer Kantone lehnen aber per Volksentscheid ab. Dann geht der Auftrag ins Tessin: Dort sieht man sich aber ausserstande, 1998 eine Expo durchzuführen. Schliesslich wird das Ziel erst für 2001 in Angriff genommen, mit einer Ausstellung im Drei-Seen-Land. Nach einer erneuten Verschiebung um ein weiteres Jahr geht dort schliesslich die Expo.02 über die Bühne.

Wolke von Yverdon an der Expo 2002
Legende: Expo.02: Die künstliche Wolke von Yverdon war eines der Highlights dieser Landesausstellung SRF

Sie wird nach dem schwierigen Start und vielen personellen Querelen, Kostenüberschreitungen und Sparübungen zum grossen Publikumserfolg: Das Konzept setzt auf Sinnlichkeit, Leichtigkeit, Symbolik und individuelles Erleben. Die Arteplages an den verschiedenen Standorten – künstliche Ausstellungsinseln in Bieler-, Neuenburger und Murtensee – überzeugen mit ihrem architektonischen Wagemut. Die Wolke in Yverdon, das Palais d'Equilibre in Neuenburg, die Türme in Biel oder der Monolith in Murten sind spektakuläre Bauten. Weil das dezentrale Gelände an der Sprachgrenze liegt, fördert die Expo.02 nach Meinung vieler Beobachter ausserdem das Zusammengehörigkeitsgefühl der Schweiz. Zehn Millionen Besucher reisten zur bisher letzten Landesausstellung.

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