Zum Inhalt springen

Müde Gesellschaft Innere Uhr vs. Schul- und Arbeitszeiten: ein ewiger Konflikt?

Wer seine Prüfung um die Mittagszeit ablegt, habe bessere Chancen, sie zu bestehen. Zu diesem Schluss kam kürzlich ein Forschungsteam anhand Daten aus Italien. Die mutmassliche Erklärung dafür: unsere innere Uhr. Die tickt nicht nur bei jedem anders, sondern verändert sich auch im Laufe des Lebens. Das hat weitreichende Konsequenzen – von Uni-Prüfungen bis hin zu Schul- und Arbeitszeiten ganz generell. Anlass genug, mit der Schlafforscherin Christine Blume über Rhythmen nachzudenken.

Christine Blume

Psychologin

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Christine Blume ist promovierte Psychologin und erforscht am Zentrum für Chronobiologie der Universität Basel, wie das Leben in der modernen Gesellschaft unsere innere Uhr und den Schlaf beeinflusst. Neben ihrer Forschung ist sie als Schlaftherapeutin in der Schlafambulanz der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel tätig.

SRF: Die Sommerferien neigen sich dem Ende zu. Da dürfte der Wecker in den Kinderzimmern wieder früher klingeln. Zu früh?

Christine Blume: Nicht unbedingt. Für viele Kinder passt ein Schulstart um acht ganz gut – zumindest aus wissenschaftlicher Sicht. Für die meisten Jugendlichen ist das allerdings tatsächlich zu früh.

Woher dieser Unterschied?

Ab der Pubertät entwickeln wir eine Tendenz zum Spättyp: Die innere Uhr verschiebt sich so, dass wir abends später müde und morgens später wach werden. Selbst wenn sie es wollten – viele Jugendliche können abends um zehn noch gar nicht schlafen.

Mittagszeit = Performance-Zeit?

Box aufklappen Box zuklappen

Nicht zu jeder Uhrzeit stehen die Chancen, eine Uni-Prüfung zu bestehen, gleich gut. So schneiden Studierende zwischen 10 und 13 Uhr am besten ab. Davor und danach seien die Chancen kleiner. Dieses Fazit zieht zumindest ein Forschungsteam anhand Daten der Universität Messina in einer kürzlich veröffentlichten Studie.

Über 100'000 Prüfungen haben die Forscherinnen und Forscher untersucht. Ihre Ergebnisse erklären sie sich dadurch, dass die Studierenden vor 10 Uhr noch wenig leistungsfähig sind. Anders ticken die Professorinnen und Professoren: Sie bewerten bereits frühmorgens aufmerksam. Nachmittags seien sie wiederum schon erschöpft und bewerten strenger, während bei den Studierenden die Konzentration langsam wieder nachlässt.

Eine Hypothese, die gemäss aktuellem Wissensstand plausibel ist: Die jungen Studierenden haben aufgrund ihres Alters nämlich eine grössere Tendenz zum Spättyp als die älteren Professorinnen und Professoren. Wie die Studienautorinnen und -autoren jedoch selbst zu bedenken geben, fehlen ihnen für eine verlässlichere Schlussfolgerung weitere Daten. Zu den Schlafgewohnheiten oder dem Schlaf in der Nacht vor der Prüfung beispielsweise.

Und das liegt nicht an der Bildschirmzeit der Jugendlichen?

Das greift sicherlich zu kurz. Zwar kann es sein, dass das blaue Licht des Bildschirms uns etwas länger wach hält. Aber die Pubertät ist und bleibt ein Wendepunkt, ab dem wir uns alle in Richtung Spättyp entwickeln. Mit etwa 20 Jahren erreichen wir ein Spättyp-Maximum, bevor wir uns ganz langsam wieder in Richtung Frühtyp entwickeln.

Ich kann mich gar nicht daran erinnern, diese Veränderung durchgemacht zu haben.

Das ist auch relativ. Wer als Kind ein ausgeprägter Frühtyp war, wird mit der Pubertät kaum plötzlich zum ausgeprägten Spättyp. Überhaupt weisen die allerwenigsten einen so extremen Typ auf, wie es die Begriffe «Lerche» und «Eule» suggerieren. Die meisten sind Mischtypen – also irgendetwas dazwischen. Wegen dieser Individualität sind Schul- und Arbeitszeiten stets ein Kompromiss. Für Jugendliche und junge Erwachsene ist dieser aber besonders schlecht gewählt: Ein Grossteil muss gegen die innere Uhr arbeiten.

Klingt anstrengend.

Das ist es auch. Sie schlafen oft zu wenig. Kurzfristig führt das zu Müdigkeit, Konzentrationsproblemen oder einem erhöhten Unfallrisiko. Langfristig steigt das Risiko für Übergewicht, Depressionen und Stoffwechselerkrankungen. Darum wünsche ich mir von Schulen und Arbeitgebern mehr Flexibilität.

Woran scheitert Ihr Wunsch denn?

Gerade im Schulkontext ist das ein Konflikt politischer Natur. Das liegt einerseits am langen Rattenschwanz: mangelnde Verkehrsverbindungen, Ressourcen oder Kinderbetreuung. Andererseits halten wir aber auch stark an Tugenden fest: «Früher Vogel fängt den Wurm», heissts oft. Schon die Bezeichnung «Langschläfer» ist irreführend. Korrekter wäre doch «Spätschläfer».

Was hätten wir davon, wenn wir uns von diesen Tugenden lösen?

Mehr Schlaf, bessere Konzentration, Stimmung, Aufmerksamkeit. Aber auch fairere Prüfungen, weil spätere Chronotypen nicht mehr systematisch benachteiligt werden. Firmen würden davon profitieren, dass die Angestellten während der Arbeitszeit leistungsfähiger sind.

Womöglich macht mehr Flexibilität sogar zufriedener und wir haben auch nach Feierabend mehr Energie.

Wir würden unsere produktivsten Stunden also der Arbeit widmen. Leiden darunter nicht andere Lebensbereiche?

Das denke ich nicht. Womöglich macht mehr Flexibilität sogar zufriedener und wir haben auch nach Feierabend mehr Energie. Und weil wir stärker nach der inneren Uhr leben, schlafen wir insgesamt mehr. Davon profitieren alle Lebensbereiche.

Das Gespräch führte Miriam Kull.

Regionaljournal Zürich Schaffhausen, 29.07.2025, 17:30 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel