«Wir spinnen doch nicht», das ist einer der grossen Irrtümer rund um die Paartherapie. Dieses Vorurteil kennen die Psychotherapeuten Sandra und Patrick Figlioli nur zu gut aus ihrem Alltag. Die beiden sind selbst Paartherapeuten. «Wenn ich mir das Bein breche, gehe ich doch auch zum Arzt», sagt Sandra Figlioli und nimmt dem Vorurteil sogleich den Wind aus den Segeln.
Warum also fällt der Gang in die Paartherapie so schwer? «Viele Paare haben Angst davor, sich zu streiten», sagt die Psychotherapeutin. «Als ob sie sich davor fürchten, ein Streit mindere ihre Liebe.» Dabei könne gerade in einer Paartherapie die Beziehung wachsen, weil das Paar lernen kann, konstruktiv zu streiten, sagen beide Therapeuten einstimmig.
Wie lange dauert eine Therapie?
Auch das ein gängiges Vorurteil: Wer sich in Paartherapie begibt, muss endlos Termine wahrnehmen. Und anstrengend sei das Ganze auch noch. Klar, einen gewissen Einsatz braucht es, wenn man sich in eine Therapie begibt. Die Zahl der Sitzungen für eine Paartherapie ist aber absehbar, vier bis fünf Sitzungen genügen meistens.
Bis Männer zu einer Paartherapie bereit sind, ist es oft zu spät. Natürlich versuchen wir, das Paar darin zu unterstützen, dass es zusammenbleibt
Ein Termin dauert zwischen 90 bis 120 Minuten – so haben beide genügend Zeit, zu Wort zu kommen. Zudem belegen Studien, dass eine Paartherapie umso erfolgreicher ist, je früher man einen Therapeuten oder eine Therapeutin aufsucht.
Frauen ergreifen eher die Initiative
Studien haben auch gezeigt, dass mehrheitlich Frauen die Initiative zur Therapie ergreifen. Und: Greift die Frau zum Telefonhörer, um einen Termin zu vereinbaren, hat die Therapie mehr Aussicht auf Erfolg. «Mein Appell an alle Männer: Nehmen Sie Ihre Frauen ernst, wenn diese etwas für die Beziehung tun wollen», sagt Sandra Figlioli. Bis Männer zu einer Paartherapie bereit sind, ist es oft zu spät und eine Trennung unausweichlich.
«Bis Männer zu einer Paartherapie bereit sind, ist es oft zu spät. Natürlich versuchen wir, das Paar darin zu unterstützen, dass es zusammenbleibt», sagt Patrick Figlioli. Deshalb raten die Therapeuten auch zu einer Paartherapie, wenn noch kein grosser Handlungsbedarf besteht. «Wir sehen sehr oft, dass Paare sich zu spät zu einer Therapie entscheiden. Dann, wenn schon zu viel Geschirr zerschlagen ist und nur noch an einer einigermassen guten Trennung gearbeitet werden kann.»
Worum geht’s in den Sitzungen?
In den ersten Sitzungen wird eine Auslegeordnung gemacht. Dazu gehört auch die Sexualität. Schliesslich ist diese ein Bestandteil der Beziehung – ob sie nun stattfindet oder nicht. Gängige Themen sind die Pensionierung, der Auszug der Kinder, ein Jobwechsel – alles, was das Leben und die Tagesstruktur umkrempelt, bereitet Paaren Schwierigkeiten.
Lernen, wieder das Gute zu sehen
Gerade in den ersten Sitzungen geht es auch darum, das Gute an der Beziehung wieder zu sehen und herauszuarbeiten. Wichtig sind die Anfänge der Beziehung, wissen die Therapeuten.
Erzählen die beiden dann über ihr Kennenlernen und wie sie sich verliebt haben, bemerke ich oft ein Strahlen auf ihren Gesichtern.
«Es gibt ja einen bestimmten Grund, warum ein Paar zusammen ist», sagt Sandra Figlioli. «Erzählen die beiden dann über ihr Kennenlernen und wie sie sich verliebt haben, bemerke ich oft ein Strahlen auf ihren Gesichtern.» Dieses Leuchten wieder zu aktivieren ist meistens ein «Icebreaker», so die Therapeutin.
Und wenn man beim Therapeuten oder der Therapeutin kein gutes Gefühl hat? Das könne es immer geben, sagen die beiden aus Erfahrung. «Das ist völlig normal. Dann aber ist es wichtig, dass man den Mut hat und den Therapeuten oder die Therapeutin wechselt.»